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Aufenthaltsbewilligung bei ehelicher Gewalt

05.04.2010

Ein Opfer häuslicher Gewalt geworden zu sein stellt einen wichtigen persönlichen Grund dar, welcher einen weiteren Aufenthalt in der Schweiz nötig machen kann. Vorausgesetzt wird dabei jedoch eine gewisse Schwere der Gewalt. Nicht erforderlich ist jedoch, dass zusätzlich die Wiedereingliederung im Herkunftsland gefährdet ist. Ein Mann aus Kamerun muss nach der Scheidung von seiner Schweizer Ehefrau die Schweiz verlassen. Er hatte geltend gemacht, seine Gattin habe ihn während der Ehe angebrüllt und einmal geschlagen, womit häusliche Gewalt im Sinne des Opferhilfegesetzes vorliege. Die häusliche Gewalt ist gemäss Auffassung des Bundesgerichts indes vorliegend nicht ausreichend, um einen Anspruch auf Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung zu verfügen (BGE 136 II 1).

Sachverhalt

Der Beschwerdeführer reiste am 3. Oktober 2002 als Asylsuchender in die Schweiz ein. Sein Asylgesuch wurde durch das damalige Bundesamt für Flüchtlinge (heute Bundesamt für Migration) mit Entscheid vom 16. Oktober 2002 abgelehnt. Ein dagegen eingereichter Rekurs wurde von der vormaligen Asylrekurskommission am 7. Dezember 2002 abgelehnt. Am 25. September 2003 verhängte das Bundesamt für Migration ein bis am 24. September 2005 gültiges Einreiseverbot.

Am 12. Oktober 2004 heiratete der Beschwerdeführer eine Schweizerin und erhielt aufgrund der Heirat eine Aufenthaltsbewilligung. Am 14. Januar 2005 hob das Bundesamt für Migration das am 25. September 2003 ausgesprochene zweijährige Einreiseverbot auf. Am 21. August 2007 erhielt  die zuständige Migrationsbehörde («Service cantonal de la population de canton de Vaud») Kenntnis davon, dass die Verheirateten nicht mehr zusammenlebten. Die Ehe wurde am 4. Juli 2008 geschieden. Mit Urteil vom 3. Dezember 2008 lehnte der «Service cantonal de la population de canton de Vaud» ein Gesuch des Beschwerdeführers um Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung ab. Der Entscheid wurde vom Kantonsgericht Waadt am 24. Juni 2009 bestätigt. Das Kantonsgericht vertrat die Ansicht, es seien keine wichtigen Gründe für einen weiteren Aufenthalt gegeben. Das vom Beschwerdeführer dagegen erhobene Rechtsmittel wurde vom Bundesgericht mit Urteil vom 4. November 2009 abgewiesen.

Die gesetzlichen Bestimmungen

Gestützt auf Art. 50 Ausländergesetz (nachfolgend: AuG) besteht der Anspruch des Ehegatten auf Erteilung und Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung nach den Artikeln 42 und 43 AuG weiter, wenn a. die Ehegemeinschaft mindestens drei Jahre bestanden hat und eine erfolgreiche Integration besteht; oder wenn b. wichtige persönliche Gründe einen weiteren Aufenthalt in der Schweiz erforderlich machen. Nach Absatz 2 können wichtige persönliche Gründe nach Absatz 1 Buchstabe b namentlich vorliegen, wenn die Ehegattin oder der Ehegatte Opfer ehelicher Gewalt wurde und die soziale Wiedereingliederung im Herkunftsland stark gefährdet erscheint.

Bemessung der Dauer des 3-jährigen Bestehens einer Ehegemeinschaft

Verlangt wird als zeitliches Kriterium eine dreijährige Dauer der Ehegemeinschaft. Die Ehegemeinschaft besteht in jedem Fall solange als die Eheleute zusammenleben.

Das Ende der Ehegemeinschaft ist erreicht, wenn, zumindest faktisch, von einer definitiven Auflösung der Familiengemeinschaft auszugehen ist. Dies ist in der Regel vorliegend, wenn sich die Ehegatten definitiv getrennt haben und keine ernsthafte Aussicht mehr besteht, dass sie sich wieder vereinigen könnten. Demzufolge ist für die Annahme einer Auflösung der Familiengemeinschaft weder eine eheschutzrichterliche noch eine gerichtliche Trennung oder Scheidung der Ehegatten notwendig. Andererseits darf auch aus einem anhaltenden blossen Getrenntleben nicht automatisch gefolgert werden, dass die Ehegemeinschaft definitiv aufgelöst sei. Zusätzlich muss auch der Ehewille erloschen erscheinen. Hierbei ist nebst den diesbezüglichen Willensäusserungen der Ehegatten hinsichtlich der Gründe des Getrenntlebens auch auf die Dauer desselben und die Art und Häufigkeit der ehelichen Kontakte abzustellen. Für das definitive Scheitern einer Ehe bedarf es klarer Hinweise (BGE 128 II 145, E. 2.2).

Dauer der Ehegemeinschaft im vorliegenden Fall

Dem BGE lässt sich entnehmen, dass die zuständige Migrationsbehörde («Service cantonal de la population de canton de Vaud») am 21. August 2007 Kenntnis davon hatte, dass die Verheirateten nicht mehr zusammenlebten. Hintergründe, wie sie zu dieser Information kam, sind dem Entscheid nicht zu entnehmen. Es ist nach dem Gesagten jedoch davon auszugehen, dass die Ehe, welche am 12. Oktober 2004 vollzogen wurde, noch nicht während 3 Jahren Bestand hatte. Dieser Schluss ergibt sich bei der Annahme, dass die zuständige Behörde die am 21. August 2007 erhaltene Information des Getrenntlebens der Ehegatten als klaren Hinweis dafür wertete, dass die Ehe zu diesem Zeitpunkt bereits definitiv gescheitert war. Somit war vorliegend die Voraussetzung des dreijährigen Bestehens der ehelichen Gemeinschaft gemäss Art. 50 Abs. 1 lit. a AuG nicht erfüllt.

Bleiberecht bei Vorliegen wichtiger persönlicher Gründe – Opfer häuslicher Gewalt

Im Zuge von Ehestreitigkeiten hatte die Frau ihren Gatten angebrüllt und ihm einmal eine Ohrfeige verpasst. Gemäss Art. 50 Abs. 1 lit. b i.V.m. Abs. 2 gelten als wichtige persönliche Gründe, welche einen Aufenthalt in der Schweiz erforderlich machen insbesondere wenn der betreffende Ehegatte Opfer häuslicher Gewalt wurde und die soziale Wiedereingliederung im Herkunftsland stark gefährdet erscheint.

Das Kantonsgericht vertrat die Auffassung, es könne im vorliegenden Fall offen bleiben, ob der Ehegatte durch das Verhalten seiner Ehegattin (Anbrüllen, Ohrfeige) Opfer häuslicher Gewalt geworden sei, da zumindest die zweite Bedingung (Gefährdung der sozialen Wiedereingliederung) zweifellos nicht erfüllt sei, weshalb kein Aufenthaltsrecht bestehe. Nach Auffassung der Vorinstanz müssten folglich die beiden Bedingungen, Opfer häuslicher Gewalt einerseits und Gefährdung der sozialen Wiedereingliederung im Herkunftsland andererseits, kumulativ erfüllt sein, damit ein Anspruch auf Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung bestehe.

Opfer häuslicher Gewalt zu sein bei Vorliegen einer gewissen Schwere ausreichend für ein Bleiberecht

Das Bundesgericht wies die Beschwerde des Betroffenen gegen den Entscheid des Kantonsgerichts zwar ab, widersprach jedoch der Rechtauffassung des Kantonsgerichts, wonach es erforderlich sei, dass beide Bedingungen zusammen erfüllt sein müssten. Das Bundesgericht führte aus, für ein Bleiberecht genüge es, wenn einer der beiden Gründe eine gewisse Schwere erreiche. Die häusliche Gewalt müsse indes eine so grosse Intensität erreichen, dass vom Opfer nicht erwartet könne, die Ehe weiter zu führen (BGE 136 II 1, E. 5.3). Im konkreten Fall sei keiner der beiden Gründe erfüllt. Zwar sei der Mann Opfer häuslicher Gewalt geworden. Diese habe jedoch nicht eine Intensität erreicht, um ihn schwer zu beeinträchtigen. Eine Rückkehr in sein Heimatland sei ihm ebenfalls zuzumuten.