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Strenge Voraussetzungen und Diskriminierungen beim Familiennachzug

15.05.2012

Wenn Ausländer/innen und Schweizer/innen ihre ausländischen Familienangehörigen zu sich in die Schweiz holen wollen, sind sie mit vielen Schwierigkeiten konfrontiert. Zum einen sind die Regeln des Familiennachzugs je nach Aufenthaltsstatus unterschiedlich und ein Rechtsanspruch besteht nur teilweise. Zum andern haben die Kantone in der Praxis viel Ermessensspielraum. Regelmässig messen die kantonalen Behörden dem öffentlichen Interesse an einer restriktiven Einwanderungspolitik mehr Gewicht bei als dem Interesse der Betroffenen. Damit nehmen die Kantone in Kauf, dass die Menschenrechte der betroffenen Familien und Kinder verletzt werden. Zu diesem Schluss kommt ein Bericht der Schweizerischen Beobachtungsstelle für Asyl- und Ausländerrecht (SBAA), der anhand von 11 Einzelfällen auf die Problematik eingeht.

Der Familiennachzug erlaubt es Personen, welche über eine Aufenthaltsbewilligung in der Schweiz verfügen, ihre nächsten Verwandten aus dem Ausland zu sich zu holen. Fast ein Drittel der Neuzuzüge in die Schweiz gründen auf dem Familiennachzug, weshalb ein öffentliches Interesse bestehen mag, den Familiennachzug zu regulieren. Nicht zu vergessen sind dabei aber die Rechte der Betroffenen - insbesondere das Recht auf Familienleben (Art. 8 EMRK sowie Art. 13 BV) und das Kindeswohl (KRK Art. 3 Abs. 1) -, welche die Behörden in jedem Einzelfall sorgfältig dagegen abzuwägen haben.

Die gesetzlichen Vorgaben

Schweizer/innen (Art. 42 AuG) und Inhaber/innen einer Niederlassungsbewilligung C (Art. 43 AuG) haben ein Recht auf Familiennachzug für Kinder und Ehegatten innerhalb restriktiv gehandhabter Fristen (5 Jahre, bzw. 1 Jahr bei einem Kind, das zwischen 12 und 18 Jahre alt ist). Auch EU-Bürger/innen (Art. 3 Freizügigkeitsabkommen FZA) haben dieses Recht. Das Freizügigkeitsabkommen gewährt ihnen darüber hinaus das Recht, volljährige Kinder und (Schwieger-)Eltern nachzuziehen. Der Nachzug aller Familienangehörigen ist jederzeit möglich, das Abkommen sieht keine einschränkenden Fristen vor.

Das bedeutet, es besteht eine Ungleichbehandlung zwischen EU-Bürgern/-innen und Schweizern/-innen, bzw. Personen mit Niederlassungsbewilligung C. Diese störende Ungleichbehandlung ist auch schon vom Bundesgericht als ungerechtfertigt und Verstoss gegen die Bundesverfassung beurteilt worden. Dennoch sind dem Gericht die Hände gebunden, solange der Gesetzgeber die störende Regelung nicht ändert. Ein politischer Vorstoss von Andy Tschümperlin (SP/SZ) forderte genau dies, scheiterte aber 2011 im Nationalrat.

Für Inhaber/innen einer Aufenthaltsbewilligung B sind die Regeln für den Nachzug schwieriger. Das Gesetz hält fest, dass die Behörden in diesen Fällen ausländischen Ehegatten und ledigen Kindern unter 18 Jahren eine Aufenthaltsbewilligung erteilen können (Art. 44 AuG). Es enthält für diese Personen zahlreiche Hürden, wie etwa restriktive Fristen (Art. 47 AuG) und die Bedingung, dass eine bedarfsgerechte Wohnung vorhanden sein muss (Art. 44 AuG) sowie die finanzielle Eigenständigkeit.

Resultat der Analyse

Als stossend und wenig familienfreundlich erweisen sich diese zahlreichen gesetzlichen Hürden und Beschränkungen gegenüber Personen aus Staaten, die nicht unter das Freizügigkeitsabkommen fallen. Für Migranten/-innen, die sich erst kurze Zeit in der Schweiz aufhalten, sind die materiellen Voraussetzungen («bedarfsgerechte» Wohnung und finanzielle Eigenständigkeit) unter Einhaltung der knappen Nachzugsfristen nur sehr schwierig zu erfüllen, wie die SBAA zu ihrem Bericht «Familiennachzug und das Recht auf Familienleben» festhält. Aufgrund der gesetzlichen Grundlagen und der Gesetzesanwendung durch die Kantone komme es immer wieder zu schwierigen und ausweglosen Situationen für die Betroffenen. Der beträchtliche Ermessensspielraum, der den kantonalen Migrationsämtern zufällt, führe dazu, dass je nach Kanton sehr unterschiedliche Anforderungen an einen Familiennachzug gestellt werden.

Dokumentation

Weiterführende Informationen