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Eine menschenrechtliche Zähmung der Schweizer Aussenwirtschaftspolitik?

25.01.2013

Das Forum Aussenpolitik foraus hat im Januar 2013 ein Diskussionspapier zur Neugestaltung des Spannungsfeldes zwischen Menschenrechten und Aussenwirtschaft in der schweizerischen Aussenpolitik vorgelegt.

Traditionell werden menschenrechtliche und aussenwirtschaftliche Interessen als zwei gleichberechtigte konfliktträchtige Anliegen eingestuft, welche im konkreten Einzelfall austariert werden müssen. In der Praxis bedeutete dies bisher, dass die aussenwirtschaftlichen Bestrebungen nur ausnahmsweise von menschenrechtlichen Bedenken gebremst werden. Nicht einmal dort, wo eine solche Bremse institutionalisiert ist, nämlich bei der Kriegsmaterialausfuhr und in der Exportrisikoversicherung, könnte man behaupten, dass der Vorrang der wirtschaftlichen Interessen durch eine transparente, überprüfbare Anwendung von menschenrechtlichen Kriterien gebändigt sei.

Vorrang der Menschenrechte vor den Wirtschaftsinteressen

Die Autoren der foraus-Studie «Ein Legitimitätsmodell für die Schweizer Aussenwirtschaftspolitik» kennen diese Ausgangslage selbstverständlich; doch sie lassen sich davon nicht  beirren. Sie drehen den Spiess um und fragen sich: Wie sähe eine Aussenwirtschaftspolitik als Teil einer kohärenten, menschenrechtspolitisch glaubwürdigen  Aussenpolitik aus? Systematisch gesehen gibt es dafür nur eine saubere Lösung, nämlich den Vorrang der Menschenrechts-Standards gegenüber den aussenwirtschaftlichen Interessen. Erstere geben die Kriterien, an welchen die wirtschaftspolitischen Bestrebungen beurteilt werden müssten.

Utopisches Modell, aber praxisnah

Im Zentrum des Diskussionspapiers steht ein Modell, wie ein solcher Vorrang der Menschenrechte in der Aussenwirtschaftspolitik in die Praxis umgesetzt werden könnte. Der Ansatz ist zwar utopisch (im Sinne, dass niemand weiss, wie wir in der Praxis zur neuen Ausgangslage gelangen können), doch auf diesem Niveau der Utopie durchaus praxisbezogen. Das Modell sieht zwei Stufen der Überprüfung vor, wenn die Schweiz zu einem andern Land aussenwirtschaftliche Beziehungen aufnehmen und/oder intensivieren möchte:

  • Erste Stufe:
    Erfüllt das Partnerland den Mindeststandard im Bereich der Menschenrechte?

Falls nein, sind aussenwirtschaftspolitische Beziehungen mit diesem Land verboten. Falls ja, folgt der Eintritt in die

  • Zweite Stufe:
    Sind die Schweiz und das Partnerland gegenseitige Verpflichtungen eingegangen, um die Auswirkungen der intensivierten Wirtschaftsbeziehungen auf die Menschenrechtslage zu überprüfen und wo nötig Korrekturen vorzunehmen?

Falls nein, verzichtet die Schweiz auf eine Intensivierung der bilateralen wirtschaftlichen Beziehungen. Falls ja, ist eine solche Intensivierung legitim.

Denkanstoss mit Haken

Wie bei jeder guten Utopie liegt die Stärke des Papiers darin, neue Perspektiven und Problemstellungen zu öffnen. Zum Beispiel die Frage der menschenrechtlichen Mindeststandards als Bedingung der Möglichkeit wirtschaftspolitischer Aussenbeziehungen. Was die Autoren inhaltlich zu den Mindeststandards vorlegen, vermag allerdings nicht zu überzeugen. Zum Beispiel wird das eminent wichtige Thema Folter nicht einmal erwähnt.

Doch es ist auch nicht der Anspruch der Autoren, bereits erhärtete inhaltliche Lösungen vorzulegen. Es geht ihnen vielmehr um die «Förderung des politischen Diskurses», und dafür taugt der Diskussionsanstoss allemal. Dasselbe trifft auch auf die inhaltlichen Schwierigkeiten der zweiten Stufe zu; hier haben die Autoren geschickt das neuartige Instrumentarium von Menschenrechtsverträglichkeitsprüfungen ins Spiel gebracht.

Ein realistischer Zwischenschritt

Da nicht davon auszugehen ist, dass sich das politische Establishment ohne weiteres auf diese Grundsatzdiskussion einlassen wird, wäre als Zwischenschritt denkbar, das Modell in die Handlungsfelder von Kriegsmaterialausfuhr und Exportrisikoversicherung einzubringen, mit dem Ziel, dass hier, wo bereits gewisse menschenrechtliche Pflöcke gesetzt sind, eine öffentliche Diskussion über menschenrechtliche Minimalstandards sowie über das menschenrechtliche Monitoring von heiklen Wirtschaftsbeziehungen zustande käme.