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Ganzkörperfesselungen bei Zwangsausschaffungen nach Nigeria wieder zugelassen

08.08.2011

Laut Pressemeldungen vom 7. Aug. 2011 sollen künftig Ganzkörperfesselungen bei Zwangsausshaffungen nach Nigeria in Einzelfällen wieder möglich sein. Dies hat das BFM nach Verhandlungen mit nigerianischen Behörden verlauten lassen. Einen Monat zuvor war die Ausschaffung von zwei Nigerianern aufgrund derer Gegenwehr gescheitert.

Ebenfalls im Juli 2011 hat die Menschenrechtsorganisation augenauf in einer detaillierten filmischen Rekonstruktion (vgl. unten) schonungslos aufgezeigt, was «Ganzkörperfesselung» in der Praxis bedeutet. Es ist nicht abwegig, das Prozedere als Variante einer «unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung» einzustufen.

Zwangsrückführungen nach Nigeria

Nachdem am 17. März 2010 ein nigerianischer Ausschaffungshäftling während der an ihm praktizierten Zwangsfesselung gestorben war, hatte das Bundesamt für Migration (BFM) die Sonderflüge zur Ausschaffung zeitweilig gestoppt und später unter der Auflage der Begleitung durch ein medizinisches Begleitteam wieder aufgenommen.

Zwangsrückführungen in andere Staaten werden bereits seit Juni 2010 wieder durchgeführt, nach Nigeria erstmals wieder im Januar 2011 per Frontex-Flug. Die erste Zwangsausschaffung nigerianischer Staatsbürger unter schweizer Federführung nach dem Todesfall wurde am 7. Juli 2011 vollzogen. Allerdings akzeptierte Nigeria die Level IV-Ausschaffung nicht mehr. Die zurückzuführenden Personen durften also für die Flüge nicht mehr am ganzen Körper sondern nur noch leicht gefesselt werden.

Ein neuer Vorfall

Fernsehaufnahmen der Sendung «10vor10» zu einer Rückschaffung nach Nigeria vom 7. Juli 2011 haben aufgezeigt, wie brutal die Vorgehensweise der Polizei dennoch sein kann. Ein an Händen und Füssen gefesselter Nigerianer wehrte sich dagegen, ins bereitstehende Linienflugzeug zu steigen. Daraufhin wurde er von bis zu acht Polizisten zum Flugzeug getragen, später mit Fäusten und einem Schlagstock geschlagen.

Denise Graf von Amnesty International bestätigte in der Sendung «10vor10», dass es sich dabei nicht um einen Einzelfall handle: Immer wieder erhielte sie Klagen von Betroffenen, welche während des Vollzugs der Zwangsausschaffung geschlagen worden seien.

Die Organisation CRAN (Carrefour de Réflexion et d'Action Contre le Racisme Anti-Noir) betonte in Bezug auf den Vorfall ausserdem die übertriebene Brutalität des Vollzugs: Nicht-kriminelle Asylbewerber würden wie gefährliche Schwerverbrecher behandelt, an Händen und Füssen gefesselt und von einer ganzen Gruppe von bewaffneten Polizisten bewacht. Der Sprecher des BFM hingegen bezeichnete den betreffenden Ausschaffungsflug als «gut verlaufen».

Entgegengesetzte Forderungen

Amnesty International fordert nun den zuständigen Regierungsrat dazu auf, eine unabhängige Untersuchung des gesamten Ablaufes – von der Vorbereitung bis zur Begleitung zurück in die Zelle des Flughafengefängnis – in Auftrag zu geben. Auch die Gruppe augenauf will Aufklärung: Sie fordert die Untersuchung des Falles durch eine Justizbehörde eines unbeteiligten Kantons.

Von Seiten der Polizei wie auch des Bundesamts für Migration (BFM) wurden nach dem Vorfall ebenfalls Forderungen laut – allerdings in eine andere Stossrichtung: Ein strengeres Fesselungsregime müsse je nach Situation wieder eine Option sein, sagte Michael Glauser vom BFM gegenüber dem «Bund» (Ausgabe vom 9. Juli 2011). Diese Einschätzung wurde vom Verband Schweizerischer Polizeibeamter geteilt, der seinerseits öffentlichen Druck auf das BFM machte.

Wiedereinführung von Fall zu Fall

Laut einem Artikel auf NZZ online vom 7. Aug. 2011 beabsichtigt das BFM nun die Wiedereinführung von Level IV-Ausschaffungen nach Nigeria in Fällen, bei denen sich Ausschaffungshäftlinge gegen die bevorstehende Ausschaffung wehren.

Filmische Rekonstruktion von Level IV-Ausschaffungen

Die Menschenrechtsgruppe augenauf Zürich hat in einem Kurzfilm den Ablauf einer Fesselung und Zwangsausschaffung aus der Schweiz rekonstruiert. Der Ablauf basiert auf Aussagen von Betroffenen sowie auf internen Ausbildungsunterlagen der Polizei. Die Zwangsausschaffungen finden unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt.

Der Vollzug der Ausschaffung aus der Schweiz kennt drei Intensitätsstufen: Level I, Level II und Level IV. Die Szenen des nachgedrehten Films der Gruppe augenauf Zürich zeigen eine Zwangsausschaffung der Stufe IV. Bei solchen werden Ausschaffungshäftlinge, die sich weigern, an der Ausschaffung zu kooperieren, unter «verstärkter Fesselung» in einem Sonderflug in ihr Heimatland zurückgeführt. Diese Art der Ausschaffung wird sehr häufig angewendet: Laut der Gruppe augenauf sind zwischen dem 1. Januar 2006 und dem 17.März 2010 nicht weniger als 111 Ausschaffungscharter mit 1282 Level IV-Ausschaffungshäftlingen ab Zürich Kloten gestartet.

Die Gruppe augenauf kritisiert an den Stufe IV-Ausschaffungen insbesondere deren systematisch entwürdigenden Charakter. Es würden dabei auch Methoden angewandt, welche «in die Kategorie der international geächteten unmenschlichen Behandlung» fielen sowie Prozeduren, die ausschliesslich der Einschüchterung und Abschreckung dienten.