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Vorerst keine Verschärfung des Bürgerrechtsgesetzes im Kanton Zürich

22.10.2015

Schweizweit klaffen die verschiedenen Regelungen zum Bürgerrecht auseinander. Im Vergleich der kantonalen Bürgerrechtsgesetze fallen verschiedene Unterschiede auf. Bereits die erste Anlaufstelle für ein Einbürgerungsgesuch kann je nach Wohnkanton der Bund, der Kanton oder die Gemeinde sein. Weiter gibt es Kantone, welche einen tadellosen Leumund fordern, während andere strafrechtliche Bedingungen gar nicht erwähnen, diese also gänzlich den Gemeinden überlassen.

Anfang März 2011 hat der Bundesrat einen Entwurf auf Bundesebene verabschiedet, der vorsieht, die Einbürgerungsverfahren in den Kantonen stärker zu harmonisieren. Die entsprechende Revision des Bürgerrechtsgesetzes wurde im Juni 2014 vom Parlament angenommen und der Verordnungsentwurf des Bundesrates ist zurzeit in der Vernehmlassung (hier finden Sie unseren Artikel dazu). Die Eignungsverfahren sollen landesweit vereinheitlicht und genauer ausformuliert werden. Obwohl das Gesetz und insbesondere die Verordnung den Handlungsspielraum der Kantone beträchtlich einschränken, soll es diesen weiterhin freistehen, eigene Konkretisierungen vorzunehmen.

Beispiel Kanton Zürich

Die Kantone sind teilweise bestrebt, die Einbürgerungsverfahren zu vereinheitlichen, so etwa der Kanton Zürich. Am 11. März 2012 hat das Zürcher Stimmvolk zwei Vorlagen zum Bürgerrechtsgesetz abgelehnt und sich gegen strengere Auflagen ausgesprochen. Zur Wahl standen ein Vorschlag des Kantonsrats, welcher etwa die erleichterte Einbürgerung für junge Ausländer/innen gekippt hätte, sowie ein Gegenvorschlag der Zürcher SVP. Dieser hatte zum Ziel, dass eine Einbürgerung nicht mehr auf dem Rechtsweg erstritten werden kann.  Dies führte im Vorfeld der Abstimmung zu einer Debatte über die Verfassungsmässigkeit der Vorlage.

Im Dezember 2009 hatte der Zürcher Regierungsrat (anlässlich der Revision des Gemeindegesetzes von 1926) den Entwurf für ein kantonales Bürgerrechtsgesetz verabschiedet, welches die unterschiedlich hohen kommunalen Hürden bei Einbürgerungen vereinheitlichen sollte. Dieses sah unter anderem vor, dass Einbürgerungswillige keinen Eintrag in ihrem Strafregisterauszug sowie in den letzten 3 Jahren vor Einreichung des Gesuchs keine Sozialhilfe bezogen haben durften. Ein  Ladendiebstahl von über 300 Franken oder eine Geschwindigkeitsübertretung von mehr als 25 km/h hätten somit eine Verzögerung für das Einbürgerungsverfahren bedeutet. Der Entwurf wurde anschliessend dem Kantonsrat übergeben.

Das Bürgerrechtsgesetz des Zürcher Kantonsrats

Daraufhin hatte  der Kantonsrat Zürich im November 2010 das neue kantonale Bürgerrechtsgesetz gegenüber dem Entwurf des Regierungsrats weiter verschärft. So hätten Einbürgerungswillige zusätzlich die Niederlassungsbewilligung C besitzen müssen und  keine Leistungen der Arbeitslosenversicherung beziehen dürfen. Ebenso wäre die bisher angewendete erleichterte Einbürgerung für junge Ausländerinnen und Ausländer, welche in der Schweiz die Schule besucht haben, weggefallen.

Das Referendum der Zürcher SVP

Diese Bestimmungen gingen der SVP Zürich allerdings noch zu wenig weit: Sie ergriff daraufhin das konstruktive Referendum namens «Kein Recht auf Einbürgerung für Verbrecher». In einer Pressemitteilung vom 3. Dezember 2010 kritisierte die Kantonalpartei einerseits, das neue Bürgerrechtsgesetz schaffe einen Rechtsanspruch auf Einbürgerung. So könne eine Einbürgerung künftig auf dem Rechtsweg erstritten werden. Sie verlangte deshalb das Gesetz müsse ausdrücklich festhalten, dass kein Rechtsanspruch auf Einbürgerung bestehe.

Auch störte sich die SVP Zürich daran, dass straffällig gewordene Personen (verzögert) eingebürgert werden können. Ausländerinnen und Ausländer, die im Verlaufe ihres Lebens ein Verbrechen begangen haben, sollten laut der SVP aber zeitlebens von der Einbürgerung ausgeschlossen bleiben. Zudem sollte das Strafregister des Gesuchstellers und nicht lediglich der Strafregisterauszug entscheidend sein, da Einträge im Strafregister entgegen dem Strafregisterauszug für wenigstens zehn Jahre verbleiben müssten (Art. 369 Abs. 3 StGB). Der Gegenvorschlag der SVP sah weiter vor, dass die Wartefristen für Jugendliche, die wegen eines Vergehens (im Gegensatz zur schlimmeren Form des Verbrechens) verurteilt worden sind, von drei auf fünf Jahre erhöht werden.

Forderung nach einer Teilungültigkeitserklärung

Am 21. April 2011 hatte der Zürcher Regierungsrat in einer Medienmitteilung die Teilungültigkeitserklärung des Gegenvorschlages der SVP zum Bürgerrechtsgesetz verlangt, da dieser teilweise gegen übergeordnetes Recht verstosse. Zur Debatte standen folgende zwei Punkte:

  • Kein Rechtsanspruch auf Einbürgerung: Gemäss dem Regierungsrat ist die Einbürgerung keine politische Frage sondern eine Frage der Rechtsanwendung. Wer die Einbürgerungsvoraussetzungen erfülle, habe deshalb einen Anspruch auf Erteilung des Bürgerrechts. Der Gegenvorschlag hingegen sah ausdrücklich vor, dass kein Rechtsanspruch auf Einbürgerung bestehe. In der Begründung wird dazu ausgeführt, dass der Einbürgerungsentscheid in der Autonomie der Gemeinden verbleiben und nicht Sache von Gerichten werden soll. Der Gegenvorschlag verstösst deshalb nach Auffassung des Regierungsrates gegen das Willkürverbot der Bundesverfassung sowie gegen die ausdrückliche Rechtsweggarantie des Bürgerrechtsgesetzes des Bundes.
  • Keine Verurteilung wegen eines Verbrechens: Der Gegenvorschlag verlangte, dass einbürgerungswillige Personen zu keinem Zeitpunkt in ihrem früheren Leben wegen eines Verbrechens verurteilt worden sein dürfen. Als Verbrechen gelten neben Mord und Vergewaltigung unter anderem auch Diebstähle, welche Freiheitsstrafen ab sechs Monaten oder Geldstrafen nach sich ziehen, Kreditkartenmissbrauch oder Veruntreuung. Die Schweizer Rechtsordnung sieht hingegen vor, dass eine gesühnte Tat dem Täter nicht mehr vorgeworfen wird. Der Gegenvorschlag hätte zur Folge gehabt, dass einem Einbürgerungswilligen auch Urteile wegen Verbrechen entgegengehalten worden wären, die bereits aus dem Strafregister entfernt worden sind. Die Anwendung des Gegenvorschlags hätte somit einerseits gegen das in der Bundesverfassung garantierte Willkürverbot und den Schutz der persönlichen Freiheit, andererseits gegen die im Strafgesetzbuch festgehaltene vollständige Rehabilitation nach der Entfernung von Einträgen im Strafregister verstossen.

Gültigkeitserklärung des Gegenvorschlages

Kurz nach der Bekanntgabe dieser Forderung des Zürcher Regierungsrates hatte der Kantonsrat als dafür zuständiges Gremium den SVP-Gegenvorschlag zum Bürgerrechtsgesetz jedoch für gültig erklärt. Die Ratsmitglieder der FDP lehnten zusammen mit denjenigen von SVP und EDU die Teilungültigkeitserklärung geschlossen ab, alle übrigen Parteien unterstützten die Haltung von Regierung und Kommission. Die Zürcher Stimmbürger/innen hatten  in der Abstimmung zu den neuen Einbürgerungsbestimmungen, welche  am 11. März  2012 stattfand, also die Wahl zwischen «scharf» und «sehr scharf» , wie der Tages-Anzeiger kommentierte.

Beide Vorlagen vom Stimmvolk abgelehnt – vergeblich?

Schliesslich wurde sowohl die verschärfte Vorlage des Regierungsrats als auch die noch schärfere Variante der SVP deutlich abgelehnt. Nur 43 bzw. 40% der Stimmbürger/innen stimmten dem Gesetz bzw. dem Gegenvorschlag zu. Die Regierung, welche sich aufgrund der Verschärfungen durch den Kantonsrat schliesslich gegen die eigene Gesetzesrevision ausgesprochen hatte, zeigte sich erleichtert.

Doch nun sieht es so aus, als wäre dieser Widerstand gegen die geplanten Verschärfungen vergeblich gewesen. Denn das neue Bürgerrechtsgesetz des Bundes und die entsprechende Verordnung haben viele Aspekte und Kriterien etwa im Bereich Integration, Straffälligkeit und Sozialhilfe aufgegriffen. Somit sind nun zahlreiche Einbürgerungsbedingungen und –Hindernisse vom Bund vorgegeben, welche das Zürcher Stimmvolk vor wenigen Jahren noch abgelehnt hatte.

Kommentar von humanrights.ch

Aus Menschenrechtssicht ist festzuhalten, dass Einbürgerungswillige, welche alle gesetzlich vorgeschriebenen Voraussetzungen für eine Einbürgerung erfüllen, diese auch rechtlich durchsetzen können müssen. Anders als Individuen wird dem Staat durch das Willkürverbot (BV Art. 9) ausdrücklich jegliche subjektive Entscheidungsfreiheit abgesprochen.  Das Willkürverbot leitet sich vom allgemeinen Gleichheitssatz der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (Artikel 1 Satz 1: Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren) ab und ist in der Schweizer Bundesverfassung anders als etwa in der EMRK explizit erwähnt. Dieser Grundsatz würde nun aber durch die Umsetzung des Gegenvorschlages der SVP verletzt, weil dieser ausdrücklich festhält, dass kein Rechtsanspruch auf Einbürgerung besteht. Auch ist die Begründung, das neue Bürgerrechtsgesetz schaffe einen Rechtsanspruch auf Einbürgerung irreführend, da dieser tatsächlich nur bedingt besteht, nämlich dann, wenn alle vorgegebenen Bedingungen erfüllt sind.

Zum Willkürverbot muss allerdings angemerkt werden, dass dieses als selbständiges Grundrecht einen Sonderfall darstellt und ohne Berufung auf eine durch das Gesetz oder ein spezielles Grundrecht geschützte Rechtsstellung (rechtlich geschütztes Interesse) gemäss Rechtsprechung des Bundesgerichts nicht durchgesetzt werden kann (vgl. Artikel auf humanrights.ch vom 30.04.2007). Allfällige Willkürklagen müssten sich also auf weitere Rechte beziehen, etwa auf das Diskriminierungsverbot oder ähnliches.

Weiter gilt festzuhalten, dass weitere wichtige übergeordnete Prinzipien des Schweizer Rechtsstaates gegen den Vorschlag der SVP sprechen. Neben dem Willkürverbot muss der Rechtsweggarantie der Bundesverfassung (Art. 29a) entsprochen werden, was der Gegenvorschlag der SVP ausdrücklich verneint. Ebenfalls ist im Landesrecht (Art. 369) festgehalten, dass Straftaten, welche aus dem Strafregisterauszug entfernt wurden, nicht rekonstruierbar sein und dem Betroffenen nicht mehr entgegengehalten werden dürfen.

Dokumentation