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Menschenrechtskonforme Regulierung des Internets

20.05.2014

Die Auswirkungen des Internets auf die Menschenrechte sind äusserst ambivalent: Als Mittel zur Einforderung von Rechten beeinflusst es gewisse Rechte positiv, so etwa das Recht auf Information und Bildung, die Meinungsäusserungs- oder die Versammlungsfreiheit. Die Kehrseiten: Das Internet ist nicht allen Menschen zugänglich, denn staatliche Massnahmen, fehlende Infrastruktur oder nicht vorhandenes Wissen schliessen viele von der Nutzung aus. Dies beeinträchtigt ihre Möglichkeiten, am gesellschaftlichen Leben teil zu nehmen zunehmend. Problematisch ist auch die Auswirkung des Internets auf den Schutz der Privatsphäre. Das Internet vermag sogar das Leben von Menschen zu bedrohen, etwa wenn jemand online zu Gewalt aufruft.

Das Internet ist kein rechtsfreier Raum. Die Regulierung hinkt jedoch in vielen Bereichen der technologischen Entwicklung hinterher. In gewissen Staaten ist der Onlinebereich deshalb zu wenig reguliert, in andern wiederum viel zu stark. Für eine menschenrechtskonforme Regulierung stellt sich denn auch die herausfordernde Frage, welche Voraussetzungen zu schaffen sind, damit eine möglichst freie und verantwortungsvolle Nutzung der Technologie gewährleistet ist. Oft ist der Gesetzgeber gezwungen zwischen zwei Menschenrechten abzuwägen, denn selbst wichtige Rechte wie die Meinungsäusserungsfreiheit gelten nicht absolut. 

Die menschenrechtlichen Grundsätze

Jeder Mensch hat das Recht, das Internet als Kommunikationsmittel zu nutzen. Dieses Recht leitet sich ab vom Recht auf freie Meinungsäusserung (Art. 19 UNO-Pakt II) sowie vom Recht auf freien Zugang zum kulturellen Leben (Art. 15 UNO-Pakt I). Daraus entstehen für die Staaten verschiedene Pflichten: Sie dürfen den Zugang nicht auf ungerechtfertigte Weise beschränken. So ist etwa die direkte Zensur durch Störung oder Abschalten des Datenverkehrs verboten. Dasselbe gilt für indirekte Zensur etwa mittels Repressalien gegen unliebsame Blogger. Der Staat muss Blogger und Autoren/-innen auch vor Verfolgung durch Dritte schützen. Nicht zuletzt muss er dafür besorgt sein, dass die Meinungsäusserungsfreiheit und der Zugang zum kulturellen Leben für alle gewährleistet sind, etwa indem er für einen möglichst barrierefreien Zugang zur Internettechnologie besorgt ist.

Einschränkungen des Rechts, das Internet zu nutzen, sind nur unter strengen Voraussetzungen möglich, etwa zum Schutz besonders verletzlicher Gruppen. Beispiele für legitime Einschränkungen sind ein Verbot des Aufrufs zu Gewalt gegen bestimmte Personen oder Gruppen, oder das Verbot von gewissen pornografischen Darstellungen und von Darstellungen exzessiver Gewalt.

Einschränkungen gehen oft viel zu weit

Nicht wenige Regierungen fürchten die Macht des Wissensaustauschs und der Informationsbeschaffung durch das Internet und schränken den Zugang zum Internet massiv ein. Zu ihnen gehören etwa China, Vietnam und die Türkei, wo gemäss Berichten von Amnesty International und Human Rights Watch der Online-Bereich durch die Regierungen kontrolliert wird und Internetseiten, die ihren Bürgern eigentlich die Möglichkeit gewähren sollen, ihre Ansichten kund zu tun, gesperrt sind. In Ländern wie Ägypten und Libyen ist das Internet sogar zeitweise ganz ausgeschaltet worden. Im Kontrast dazu stehen Staaten wie Estland, das jedem/r Bürger/in kostenlos den Zugang zum ganzen Internet garantiert.

Menschenrechtsaktivisten/-innen, die sich in Ländern mit begrenztem Internetzugang dennoch einen Weg verschaffen, über Blogs oder Twitter auf Verletzungen der Menschenrechte aufmerksam zu machen, werden verfolgt und hart bestraft. Staaten wie China überwachen diese Kommunikationsform mit hohem Aufwand, denn die Menschen sollen nicht die Möglichkeit haben, die Zustände zu hinterfragen und sich zum Zwecke des Widerstands zu organisieren. So tragen staatliche Behörden  wesentlich dazu bei, dass die Zahl der Kontrollmechanismen im Internet weiter ansteigt. Sie arbeiten dazu mit privaten internationalen Unternehmen zusammen, etwa um an Informationen über Menschenrechtsverteidiger/innen heran zu kommen. Ihr restriktives Handeln rechtfertigen sie mit der staatlichen Souveränität und der Notwendigkeit, im Land für Sicherheit sorgen zu müssen.

Das Sicherheitsargument

Repressive wie demokratische Staaten ziehen die Sicherheit als Rechtfertigung für Überwachung im Online-Bereich heran. Auch die Geheimdienste demokratischer Staaten, allen voran der USA, sammeln exzessiv Daten von Privatpersonen und ziehen aus diesen Datenmengen Schlüsse über mögliche terroristische oder anderweitig kriminelle Vorhaben einer Person. Wenn die Daten in ein bestimmtes Profil passen, kann dies für die betroffene Person weitgehende Auswirkungen haben und alle denkbaren geheimdienstlichen Massnahmen nach sich ziehen. Es ist anzunehmen, dass die USA auch Drohnenangriffe ausführte, die auf Personen zielten, die wegen abgefangener Daten ins Visier der Geheimdienste gerieten. Die Geheimdienste demokratischer Staaten operieren dabei übrigens weitgehend ohne Aufsicht.

Überwachung bedeutet in jedem einzelnen Fall einen Eingriff ins Recht auf Privatsphäre (Art. 17. UNO-Pakt II), denn dieses schützt unter anderem das Verfügungsrecht jedes Menschen über seine Daten. Eingriffe in dieses Grundrecht sind in einem Rechtsstaat nur unter strengen Voraussetzungen möglich. Sie müssen etwa auf der Grundlage von gültigen Gesetzen erfolgen, verhältnismässig sein und durch ein öffentliches Interesse gerechtfertigt sein. Generelle, umfassende und im Geheimen getätigte Massenüberwachung, die mit dem Argument der Sicherheit erfolgt, lässt sich in keiner Weise rechtfertigen.

Die Koalition für Rechte und Prinzipien im Internet

2003 und 2005 tagte auf Initiative der UNO in Genf respektive in Tunis der Weltinformationsgipfel. An der Konferenz kamen u.a. auch Menschenrechtsfragen im Zusammenhang mit der Nutzung des Internets zur Sprache. Mit einem Beschluss gründeten die Teilnehmerstaaten schliesslich das World Government Forum. An diesem Forum beteiligen sich Regierungsmitglieder, nationale Behörden, die Zivilgesellschaft sowie Unternehmen. Im Zentrum des Interesses stehen beim Forum alle möglichen Fragen im Zusammenhang mit Internet Governance und Regulierung, wobei die Menschenrechte nur ein Thema unter andern waren.

Aus dem Forum heraus formierte sich 2009 die Koalition für Rechte und Prinzipien im Internet (Internet Rights and Principles Dynamic Coalition, DC-IRP). Sie ist ein offenes Netzwerk mit internationaler Beteiligung und verfolgt in erster Linie das Ziel, Bedingungen zu schaffen, damit das Internet positiven Einfluss auf die Entwicklung der Menschenrechte nehmen kann. Auch diese Koalition ist eine Multistakeholder Angelegenheit und ähnlich pluralistisch zusammengesetzt wie das Forum.

Die 10 Rechte und Prinzipien für das Internet

Innerhalb der Koalition war man sich einig darüber, dass online die gleichen Rechte gelten sollen wie offline. Dabei sollte das Internet möglichst frei von Einschränkungen bleiben. In einem ersten Schritt sollten deshalb die Menschenrechtsabkommen herangezogen und daraus Regeln abgeleitet werden, welche spezifische Rechte im World Wide Web ausformulieren. So entstand ab 2009 in einem Prozess in enger Zusammenarbeit mit Menschenrechtsexperten/-innen die Internet Rights and Principles Charter. Sie ist ein dynamisches Dokument, das sich der Technologie dauernd anpassen können soll. Die Charta übersetzt die bestehenden universellen Menschenrechte in den Kontext des Internet. Sie beschreibt neben der Verantwortung, die der Staat für das Internet trägt, auch die Pflichten, die Individuen und Institutionen als Nutzer/innen haben.

2011 ist sodann aus der Charta heraus die Liste der zehn Internet Rights and Principles entstanden und in einer Online-Version in 22 verschiedenen Sprachen veröffentlicht worden. Die Liste enthält die 10 wichtigsten Bedingungen für den Schutz und den Ausbau des Internets zu einem Bereich, der für alle offen und zugänglich ist. Dazu gehören Garantien wie die Universalität, die Gleichheit, die Vielfalt und der zensurfreie Zugang. Auch Pflichten wie der Respekt vor den Rechten und Freiheiten aller andern sind umschrieben. Konkret erwähnt sind zudem der Schutz der Privatsphäre, die Informations- und Meinungsäusserungs- sowie die Versammlungsfreiheit, der Schutz vor Diskriminierung sowie der Datenschutz.

Der Wert der Charta ist unterdessen von zahlreichen Institutionen anerkannt worden. Der Bericht von UNO-Sonderberichterstatter Frank La Rue aus dem Jahre 2011 erwähnt das Dokument ebenso, wie eine Resolution des UNO-Menschenrechtsrats (HRC L 13) von 2012, welche alle Staaten aufruft, den Zugang zum Internet zu ermöglichen und zu fördern.

Situation in der Schweiz

Die Schweiz belegt aktuell den 15. Platz in der Pressefreiheits-Rangliste der Organisation Reporter ohne Grenzen. Die Rangliste berücksichtigt unter anderem den freien Zugang zum Internet. Die generelle Lage bezüglich Redefreiheit und Zugang zu Information ist in der Schweiz vergleichsweise gut. Dennoch gibt es im Kontext digitaler Zugangsrechte einige Mängel. Zu Bedenken Anlass gibt etwa der schwache Schutz der Privatsphäre im Zusammenhang mit der Überwachungspraxis von Strafuntersuchungsbehörden und der Nachrichtendienste.

Wie in andern Staaten ist der Zugang zum Internet in der Schweiz wegen Sicherheitsbedenken im Zusammenhang mit Terrorismus und andern Straftaten (wie etwa Pornographie mit Kindern und Pädophilie) nicht vollkommen frei. Dieser Eingriff in die Grundrechte erfolgt in der Regel auf der Grundlage von Gesetzen. In den vergangenen Jahren sind die Überwachungsmöglichkeiten durch die Behörden allerdings in kleinen Schritten ausgeweitet worden. So darf der Nachrichtendienst des Bundes im Inland auf der Grundlage des veralteten Bundesgesetzes über Massnahmen zur Wahrung der inneren Sicherheit (BWIS) Personendaten im Internet sammeln und Verdächtige auch ausserhalb eines Strafverfahrens präventiv überwachen. Zudem ist in der Schweiz unter bestimmten Voraussetzungen die Vorratsdatenspeicherung für einen Zeitraum von 6 Monaten möglich. Derzeit liegen Gesetzesvorschläge im Parlament, die diese weitgehenden Eingriffe in die Grundrechte noch ausweiten sollen. Mit den zwei diesbezüglich wichtigen Gesetzesprojekten (Nachrichtendienstgesetz und Bundesgesetz über die Überwachung des Post- und Fernmeldewesens, BÜPF) beschäftigt sich das Parlament noch im laufenden Jahr (2014).

Weiterführende Informationen

  • Menschenrechte und Internet
    Publikation des Internet & Gesellschaft Co:llaboratory, Mai 2012 (pdf, 145 S.)
  • The Internet will prevail
    Interview mit Frank La Rue auf der Website der Internet und Co:llaboratory (pdf, E, 6 S.)
  • EuroDIG
    Offene Plattform für Diskussionen und Austausch  im Bereich der Problematiken betreffend das Internet Governance  zwischen allen europäischen Akteuren
  • Datenschutz
    Gesammelte Nachrichten, humanrights.ch
  • Schutz der Privatsphäre
    Informationen auf humanrights.ch