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Kommentare zu den abgelehnten UPR-Empfehlungen

Bundesrätin Micheline Calmy-Rey hatte bereits am 8. Mai vor der UPR-Arbeitsgruppe des Menschenrechtsrats begründet, weshalb die Schweiz die zwei wichtigen NGO-Forderungen betreffend die Justiziabilität der Sozialrechte sowie eines allgemeinen gesetzlichen Diskriminierungsverbots zurückweist.

  • Discours de la Conseillère fédérale Micheline Calmy-Rey
    Rede vor der UPR-Arbeitsgruppe des Menschenrechtsrats, 8. Mai 2008
    (pdf, 7 S.) (online nicht mehr verfügbar)

An der Sitzung des Menschenrechtsrats vom 12. Juni hat dann Botschafter Paul Seger die Gründe der Schweiz für die Ablehnung von acht weiteren Empfehlungen mündlich vorgetragen.

  • «Allgemeine regelmässige Überprüfung der Schweiz»
    Erklärung von Botschafter Paul Seger, Direktor der Direktion für Völkerrecht des EDA, Genf, 12. Juni 2008 (pdf, 7 p.) (nicht mehr verfügbar)

Im Folgenden geben wir Kommentare zu einigen UPR-Empfehlungen, die von der Schweiz abgelehnt oder in freiwillige Verpflichtungen umgewandelt wurden und deren Abschwächung oder Ablehnung aus der Sicht von Humanrights.ch / MERS nur schwer oder nicht nachvollzogen werden kann.

Empfehlungen mit einem «Nein, aber…»

Zwei wichtige Empfehlungen hat die Schweiz in der vorliegenden zwingenden Formulierung abgelehnt und sie in einer abgeschwächten Form zu einem «Voluntary Committment», also einer freiwilligen Selbstverpflichtung umgewandelt.

Schaffung einer nationalen Menschenrechtsinstitution

Diese zentrale Empfehlung wird von der Schweiz nur in der Form akzeptiert, dass sie weiterhin die Schaffung einer nationalen Menschenrechtsinstitution nach den Pariser Prinzipien in Betracht ziehen wird. Damit möchte sich der Bundesrat im Hinblick auf den aktuell laufenden politischen und administrativen Prozess alle Optionen offen halten. Dies ist aus Sicht der Verwaltung verständlich, aus NGO-Sicht äusserst unbefriedigend.

Die Forderung ist seit Ende 2001 in den Räten hängig und bis heute konnte sich der Bundesrat nicht zu einem Grundsatzentscheid durchringen. Wenn man in Betracht zieht, dass gleich acht Länder diese Empfehlung an die Schweiz richteten und dass seit dem 12. Juni 2008 in dieser Frage innenpolitisch keine Fortschritte erkennbar sind, so wird die Passivität des Bundesrats noch unverständlicher.

Beitritt zum Ersten Zusatzprotokoll zum UNO-Pakt II

Das erste Zusatzprotokoll beinhaltet ein Individualbeschwerdeverfahren zu den Menschenrechten, die im zentralen UN-Pakt über bürgerliche und politische Rechte verbrieft sind. 111 Staaten, darunter die meisten europäischen, haben dieses Beschwerdeverfahren anerkannt. Es ist stossend und unverständlich, dass die Schweiz bis heute diesem wichtigen Verfahren nicht beigetreten ist. Jetzt erklärt sich die Schweiz immerhin bereit, einen solchen Beitritt in Erwägung zu ziehen.

Wahrscheinlich braucht es einen starken Impuls aus der Politik, um diesen Worten Taten folgen zu lassen. In seiner Begründung für das «Nein, aber…» betont der Bundesrat, er halte es weder für dringend noch unumgänglich, diesem Schutzmechanismus beizutreten, denn die Möglichkeit der Beschwerde an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte decke dieses Anliegen bereits besser ab. Dies stimmt nur teilweise, denn es gibt im Pakt II verbriefte Rechte, welche in der EMRK kein Pendant haben, wie etwa die Rechte für Angehörige sprachlicher, ethnischer und religiöser Minderheiten (Art. 27 Pakt II).

Abgelehnte Empfehlungen

Die Ablehnung folgender Empfehlungen ist aus Sicht von Humanrights.ch / MERS falsch und teilweise stossend. Wir werden uns dafür einsetzen, dass diese Punkte in der öffentlichen Diskussion bleiben.

Einklagbarkeit der Sozialrechte

Dass die Schweiz die Forderung nach einer Anerkennung der Justiziabilität der sozialen Menschenrechte von Anfang an (d.h. bereits in der Rede von Bundesrätin Calmy-Rey am 8. Mai 2008 in Genf) zurückgewiesen hat, erachten wir als eine Fehlleistung. Damit hat der Bundesrat seine veraltete Doktrin bekräftigt, wonach die Rechte des UNO-Pakts I grundsätzlich nur als programmatische Handlungsziele des Staates und nicht als individuell einklagbare Rechte zu betrachten seien.

Diese Doktrin entspricht weder der schweizerischen Rechtswirklichkeit, in welcher einzelne Gehalte von Sozialrechten wie das Recht auf Hilfe in Notlagen durchaus einklagbar sind, noch steht die Doktrin in Übereinstimmung mit der zeitgenössischen Rechtsdogmatik, welche die Sozialrechte – wie auch die bürgerlich-politischen Menschenrechte - nach einklagbaren und nicht-einklagbaren Teilgehalten unterscheidet.

Die Haltung der Schweiz ist umso störender, als sie sich anlässlich der Kandidatur für den Menschenrechtsrat vom 27. März 2006 explizit dazu verpflichtet hatte, darauf hinzuwirken, alle Menschenrechte «auf die gleiche Stufe zu stellen». Der Bundesrat hat eine Chance verpasst, den in der völkerrechtlichen und verfassungsrechtlichen Doktrin seit langem geforderten differenzierten Umgang mit der direkten Einklagbarkeit von Sozialrechten zu berücksichtigen.

Es ist sehr bedauerlich, dass die entsprechende Empfehlung nicht einmal in eine freiwillige Selbstverpflichtung umgewandelt wurde, um auf Bundesebene wenigstens die Voraussetzungen für einen notwendigen Lernprozess zu schaffen.

Ratifizierung der Wanderarbeiter-Konvention

Auch diese Empfehlung hat der Bundesrat von Beginn weg diskussionslos abgelehnt. Und wiederum entsteht der Eindruck, dass mit diesem Nein eine vorgefasste und wenig reflektierte Position der öffentlichen Diskussion entzogen werden sollte. Es bedarf unseres Erachtens jedoch einer ernsthaften Begründung, weshalb die menschenrechtlichen Positionen von Arbeitsmigranten/-innen (inklusive Sans-Papiers) in bestimmten Belangen nicht besser geschützt werden sollten. Es fehlt diesbezüglich sowohl an Analysen für die schweizerischen Verhältnisse wie auch an einer öffentlichen Diskussion.

Wir halten es für ein falsches Signal, wenn die Schweiz diskussionslos in der stillschweigenden Ablehnungsfront der Industriestaaten gegen die Wanderarbeiter-Konvention verharrt, ohne dass darüber je eine nennenswerte öffentliche Debatte geführt worden wäre.

Rekrutierung von Minderheiten für die Polizei

  • Minderheiten für die Polizei rekrutieren und eine Stelle schaffen, welche in Fällen von ungerechtfertigter Polizeigewalt ermittelt.

Dass der Bund diese Empfehlung mit Verweis auf die kantonale Polizeihoheit ablehnt, ist nicht kohärent. Mit dem Argument der kantonalen Zuständigkeit hätte er die meisten der akzeptierten Empfehlungen gleichermassen ablehnen können, insbesondere jene zur Bekämpfung von rassistisch geprägter Polizeigewalt. Letztere enthält übrigens auch einen Passus zur strafrechtlichen Verfolgung der Täter. Dies wird hier um die berechtigte Forderung nach unabhängigen Ermittlungsinstanzen ergänzt.

Die vorliegende Empfehlung hätte in der Schweiz unter Beachtung der bundesstaatlichen Kompetenzordnung durch die Kantone (allenfalls mittels eines Konkordates) umgesetzt werden können. Es läge durchaus in der Kompetenz des Bundes, bezüglich der Rekrutierungspolitik für die Polizei eine aktive Rolle zum Beispiel beim Wissenstransfer zu spielen. Es ist ein falsches Signal, dass sich der Bund dafür als nicht zuständig erklärt.

Eine unabhängige Untersuchung zur Polizeigewalt ist zum Schluss gekommen, dass ein Management der Vielfalt bei der Polizei ein kostengünstiger und wirksamer Beitrag zur Gewaltprävention wäre.

Verbesserung des Diskriminierungsschutzes

  • Die Bundesgesetzgebung sollte einen Schutz gegen alle Formen der Diskriminierung anstreben, insbesondere auch aufgrund sexueller Orientierung und Geschlechtsidentität.

Der Bundesrat lehnt diese Empfehlung ab, weil es ihm nicht kohärent erscheint, dass von allen Formen der Diskriminierung hier nur die sexuelle Orientierung ausdrücklich erwähnt ist. Diese Begründung ist schwach. Denn die sexuelle Orientierung ist im Gegensatz zu den übrigen von Diskriminierung betroffenen Gruppen in Artikel 8 Abs. 2 der Bundesverfassung nicht explizit erwähnt. Also ist dieses Merkmal mit gutem Grund in der Empfehlung ausdrücklich erwähnt. Ausserdem behandelt die Empfehlung klar und eindeutig nicht nur Diskriminierungen aufgrund der beiden Merkmale Geschlechtsidentität und sexuelle Orientierung, sondern letztere als besonders wichtiges Beispiel.

Der tatsächliche Grund für die Ablehnung der Empfehlung liegt in der Befürchtung, dass die Empfehlung der Forderung nach einem allgemeinen Gleichstellungsgesetz, wie sie von NGO-Seite in den UPR-Prozess eingebracht wurde, Auftrieb verleihen und eine gewisse Legitimation verschaffen würde.

Überprüfung der Menschenrechtskonformität von Volksinitiativen

  • Gesetzliche oder andere Massnahmen ergreifen, so dass die Menschenrechte von der Justiz in einem früheren Stadium berücksichtigt werden, insbesondere bei der Formulierung von Volksinitiativen, um deren Vereinbarkeit mit den internationalen Verpflichtungen sicher zu stellen.

Diese Empfehlung berührt das Selbstverständnis der Schweiz in Bezug auf ihre direktdemokratischen Institute und die Rolle der Justiz. Deren Annahme hätte eine Breitseite von populistischen Tiraden zur Verteidigung des direktdemokratischen Verfahrens erwarten lassen und wäre tel quel wohl auch nicht umsetzbar gewesen.

Allerdings haben mehrere Beispiele der letzten Zeit vor Augen geführt, dass die heutige Rechtslage unbefriedigend ist. Indem die Empfehlung die institutionelle Lücke als Aufgabe der Justiz definiert, hat sie wahrscheinlich für schweizerische Verhältnisse tatsächlich zu weit vorgegriffen. Statt die Empfehlung abzulehnen, wäre die Umwandlung in eine freiwillige Selbstverpflichtung pragmatischer gewesen und hätte die Chance eröffnet, nach einer konsensfähigen Lösung dieser institutionellen Lücke zu suchen.

Quelle