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Diskriminierungsverbot - Dossier

Rechtsentwicklung: Verstärkung des gesetzlichen Schutzes vor Diskriminierung?

23.04.2020

Kritik der internationalen Menschenrechtsorgane

Die Schweiz wird von internationalen Menschenrechtsorganen immer wieder wegen ihres mangelhaften gesetzlichen Schutzes vor Diskriminierung kritisiert. In zahlreichen Empfehlungen wurde sie aufgefordert, eine umfassende Antidiskriminierungsgesetzgebung zu schaffen und sicherzustellen, dass die von der Schweiz anerkannte Verpflichtung, alle Menschen vor Diskriminierungen zu schützen, effektiv umgesetzt wird. Bemängelt wird zum einen der fehlende Schutz vor Diskriminierung durch Private und zum andern die fehlenden strafrechtlichen Verbote gegen bestimmte diskriminierende Handlungen.

Vorstösse im eidgenössischen Parlament

In den letzten zehn Jahren sind im eidgenössischen Parlament zahlreiche Vorstösse lanciert worden, welche die Verbesserung der aktuellen Rechtslage, insbesondere im Bereich rassistischer Diskriminierung seitens Privater, sowie die Ausweitung des strafrechtlichen Schutzes insbesondere gegen Homo- und Transphopbie anregten. Gefordert wurde sodann auch die Schaffung eines allgemeinen Bundesgesetzes gegen Diskriminierung, das alle von Diskriminierung betroffenen Gruppen schützen würde.

Der Bundesrat stellte sich regelmässig auf den Standpunkt, dass das bestehende Recht genüge, um sich gegen Diskriminierung, auch seitens Privater, zur Wehr zu setzen. Weitergehende Regeln würden den Grundsatz der Vertragsfreiheit schwächen, und die Einführung von Verfahrenserleichterungen, wie sie z.B. das Gleichstellungsgesetz kennt (z.B. die Beweislastumkehr), würde nach Meinung des Bundesrats in der Praxis zu Schwierigkeiten beispielsweise im Arbeits- oder auch im Mietrecht führen.

Das Parlament ist dieser Meinung in den meisten Fällen gefolgt und hat die überwiegende Mehrheit der Vorstösse in der Regel diskussionslos abgelehnt oder abgeschrieben. Eine  wenn auch sehr kurze  Diskussion fand lediglich anlässlich der Behandlung der Parlamentarischen Initiative von Nationalrat Paul Rechsteiner statt, welcher die Schaffung eines allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz verlangt hatte.

Ausweitung des Strafrechts

Vereinzelte Vorstösse im eidgenössischen Parlament verlangten in den vergangenen Jahren einen besseren strafrechtlichen Schutz vor Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung und der Geschlechtsidentität sowie vor Diskriminierung wegen einer Behinderung.

Aufgrund einer Standesinitiative des Kantons Genf sowie der parlamentarischen Initiative Reynard beschlossen National- und Ständerat in der Frühlingssession 2015 den strafrechtlichen Schutz in Artikel 261bis StGB auszuweiten. Nach rund fünfjähriger Diskussion mündete die parlamentarische Initiative im Jahr 2017 in einem Textentwurf der Kommission für Rechtsfragen des Nationalrates, welche die sexuelle Orientierung wie auch die Geschlechtsidentität unter strafrechtlichem Schutz stellen wollte. Angesichts des Widerstandes im Bundes- und im Ständerat verzichtete der Nationalrat im Differenzbereinigungsverfahren jedoch auf das Merkmal der Geschlechtsidentität.

Im Dezember 2018 beschloss das Parlament die Anti-Rassismusstrafnorm um das Kriterium der sexuellen Orientierung zu ergänzen. Nachdem gegen diese Erweiterung Anfangs 2019 das Referendum ergriffen worden war, sprach sich das Stimmvolk am 9. Februar 2020 für die Gesetzesvorlage aus und stimmte dem strafrechtliche Diskriminierungsschutz für Lesben, Schwule und Bisexuelle zu.

Bericht zur Anti-Diskriminierungsgesetzgebung

Im Dezember 2012 nahm der Nationalrat mit 109 zu 82 Stimmen das Postulat Naef an. Dieses forderte vom Bundesrat die Ausarbeitung eines Berichts, «der die Potenziale des geltenden Bundesrechtes zum Schutz vor Diskriminierung aufzeigt und eine rechtsvergleichende Auslegeordnung zur Wirksamkeit verschiedener Rechtsinstrumente vornimmt». Damit eröffnete sich die Gelegenheit, wissenschaftlich abzuklären, ob das bestehende Recht effektiv den grund- und menschenrechtlichen Anforderungen an einen wirksamen und gleichen Zugang zum Schutz vor Diskriminierung genüge.  Der Bundesrat beauftragte in der Folge das Schweizerische Kompetenzzentrum für Menschenrechte (SKMR) mit einer entsprechenden Untersuchung.

Umfassende Studie des SKMR

Die grossangelegte Studie des SKMR bestätigt, dass das schweizerische Anti-Diskriminierungsrecht verschiedene Schwächen und Lücken aufweist. Vorgeschlagen werden vom SKMR insbesondere folgende Massnahmen (Synthesebericht, S. 102 ff.):

  • die Verstärkung der Sanktionen gegen die Urheber und Urheberinnen diskriminierender Handlungen, vor allem im Bereich des Arbeitsrechts, im Gleichstellungsgesetz und im Behindertengleichstellungsgesetz;
  • die rechtliche Erfassung des Problems der Mehrfachdiskriminierungen;
  • die Ausdehnung des Verbandsklagerechts im Zivilprozess auf alle Bereiche des Diskriminierungsrechts;
  • die Einführung der Beweislasterleichterung für alle Diskriminierungsfälle in zivil- und öffentlichrechtlichen Verfahren;
  • die Einführung einer aussergerichtlichen Streitbeilegung (Ombudsstelle) in allen Diskriminierungsfällen;
  • die Reduktion oder Eliminierung der Verfahrenskosten bei Diskriminierungsfällen;
  • die Sensibilisierung aller Beteiligten;
  • die Systematisierung und verstärkte Erhebung diskriminierungsrelevanter Daten;
  • die Überprüfung und den Ausbau staatlicher Ressourcen

Für das weitere Vorgehen schlägt das SKMR vor, einen Aktionsplan «Diskriminierungsverbote» auszuarbeiten, «welcher den eben erwähnten Elementen und Aktionsfeldern einen kohärenten Rahmen für Reformschritte und Gesetzesrevisionen bietet». Nicht empfohlen wird vom SKMR die Schaffung eines allgemeinen Antidiskriminierungsgesetzes. Die Studie habe gezeigt, dass des schwierig sein dürfte, übergreifende Normen zu schafffen, welche allen Bereichen gerecht würden.

Mutloser Bundesrat

Der Bundesrat hat sich in seinem Bericht zum Postula Naef vom 25. Mai 2016 zu den Vorschlägen des SKMR geäussert. Er bestätigt darin, wenn auch sehr zurückhaltend, die bestehenden Probleme. So äussert er die Vermutung, «... die geringe Zahl der Gerichtsfälle zu Diskriminierungsproblemen könnte darauf hindeuten, dass die bestehenden Rechtsinstrumente für Betroffene entweder zu wenig bekannt oder zu kompliziert sind. Zudem könnten die verfahrensrechtlichen Hindernisse dazu führen, dass der bestehende Diskriminierungsschutz seine Wirksamkeit zu wenig entfalten kann».

Dennoch hat sich der Bundesrat lediglich dazu bereit erklärt, ein paar wenige und eher zweitrangige Empfehlungen des SKMR-Berichts vertieft zu prüfen. Auch die Schaffung eines Aktionsplans hat er abgelehnt.

Nationalrats-Kommission nimmt eine SKMR-Empfehlung auf - und der Nationalrat lehnt sie mit Stichentscheid des Präsidenten ab

Trotz der ablehnenden Haltung des Bundesrats hat die Kommission für Rechtsfragen des Nationalrates am 8. August 2016 die Empfehlung zur Schaffung eines Aktionsplans wieder aufgenommen. Die Kommission verlangt vom Bundesrat, auf der Grundlage der SKMR-Studie «Zugang zur Justiz in Diskriminierungsfällen» einen konkreten Aktionsplan zur Behebung der aufgezeigten Mängel auszuarbeiten. Der Bundesrat hat sich gegen die Motion ausgesprochen. Nicht, weil er einen entsprechenden Handlungsbedarf verneine, sondern, wie BR Sommaruga anlässlich der Behandlung der Motion in der Frühlingssession 2017 erklärte, weil er die Empfehlungen des SKMR in "bestimmten Bereichen bereits zum Teil in laufenden Projekten näher anschaue". Ein übergeordneter Aktionsplan mache deshalb keinen Sinn. Der Nationalrat lehnte die Motion schliesslich äusserst knapp bei 91 zu 91 Stimmen mit Stichentscheid des Nationalratspräsidenten Jürg Stahl (SVP/ZH) ab. Die Gelegenheit, das aktuelle Recht zum Schutz vor Diskriminierung grundsätzlich zu prüfen und alle bestehenden Lücken auf Gesetzesebene zu schliessen, wurde damit durch einen Zufallsentscheid zunichte gemacht.