humanrights.ch Logo Icon

Häusliche Gewalt - Dossier

Häusliche Gewalt - Situation in der Schweiz

24.08.2023

Strafrecht

«Häusliche Gewalt» ist in der Schweiz nicht als eigener Straftatbestand anerkannt; sie ist aber durch mehrere Bestimmungen im Schweizerischen Strafgesetzbuches (StGB) unter Strafe gestellt. So zum Beispiel durch die Delikte gegen das Leben (Art. 111 ff. StGB), gegen die körperliche Unversehrtheit (Art. 122 ff. StGB), gegen die Ehre (Art. 173 ff. StGB), gegen die Freiheit (Art. 180 ff. StGB) und schliesslich gegen die sexuelle Integrität (Art. 187 ff. StGB). Auch psychische Gewalt ist strafbar und fällt unter den Tatbestand der einfachen (Art. 123 StGB) oder schweren Körperverletzung (Art. 122 StGB).

In den letzten zehn Jahren hat die Polizei jährlich zwischen 15’000 und 20’000 Straftaten im Bereich der häuslichen Gewalt registriert. Von den rund zehntausend Betroffenen sind 70% Frauen und 30% Männer, ein Verhältnis, das über die Jahre hinweg konstant geblieben ist. Etwas mehr als die Hälfte der in der Schweiz verübten Tötungsdelikte werden im häuslichen Bereich begangen, wobei die Frauenmorde bei weitem überwiegen.

Verfahren

Die Strafbehörden sind verpflichtet, ein Verfahren zu eröffnen, wenn sie Kenntnis von Indizien haben, die auf häusliche Gewalt hindeuten (Art. 7 Abs. 1 StPO). Bei dringendem Tatverdacht ist die Staatsanwaltschaft dafür zuständig, die formelle Untersuchung gegen die verdächtige Person zu eröffnen und durchzuführen. Liegen hinreichende Anhaltspunkte vor, erhebt die Staatsanwaltschaft die Anklage vor Gericht oder erlässt einen Strafbefehl (Art. 352 ff. StPO). Die Strafprozessordnung (StPO) wurde kürzlich einer Revision unterzogen, die im Laufe des Jahres 2023 in Kraft treten wird und die Position der Opfer und deren Angehörigen im Strafverfahren stärken soll. So wird die Gewährung von Prozesskostenhilfe zugunsten des Opfers erleichtert (Art. 136 Abs. 1 Bst. b und Art. 138 Abs. 1bis E-StPO), die besonderen Massnahmen zum Schutz von Kindern bei Vernehmungen gestärkt (Art. 154 Abs. 4 Bst. d und Abs. 5 und 6 E-StPO) und das Opfer erhält das Recht, eine Kopie des Urteils oder des Strafbefehls zu erhalten (Art. 117 Abs. 1 Bst. g E-StPO). Aufgrund bestimmter organisatorischer (z. B. Einteilung in untere und obere Staatsanwaltschaften oder spezialisierte Staatsanwaltschaften) oder terminologischer Unterschiede (z. B. Unterschiede bei der Definitionen von häuslicher Gewalt zwischen den Kantonen) gibt es jedoch weitere Divergenzen unter den Kantonen (Bericht, S. 11 f.). Opfer und deren Angehörige sowie Dritte mit einem schutzwürdigen Interesse können auf Gesuch hin und bei Vorliegen der Voraussetzungen detaillierte Auskünfte über den Strafvollzug, die Entlassung oder Flucht des Täters oder der Täterin verlangen (Art. 92a StGB).

Straftaten, die von Amtes wegen verfolgt werden

Einfache Körperverletzung (Art. 123 Ziff. 2 Abs. 3 bis 5 StGB), wiederholte Tätlichkeiten (Art. 126 Abs. 2 Bst. b bis c StGB) und Drohungen (Art. 180 Abs. 1 StGB) werden von Amtes wegen verfolgt, wenn es sich beim Opfer um den Ehegatten/die Ehegattin, den Ex-Ehegatten/die Ex-Ehegattin, den eingetragenen Partner/die eingetragene Partnerin, den Ex-Partner/die Ex-Partnerin, den Konkubinatspartner/die Konkubinatspartnerin oder den Ex-Partner/die Ex-Partnerin handelt und die Verletzung während der Ehe, der eingetragenen Partnerschaft, des gemeinsamen Haushalts oder innerhalb eines Jahres nach der Scheidung, der gerichtlichen Auflösung oder der Trennung begangen wurde.

Ohrfeigen, die nicht wiederholt begangen werden, fallen in die Kategorie der Tätlichkeiten (Art. 126 StGB) und werden nur auf Antrag verfolgt. Nötigung (Art. 181 StGB), sexuelle Nötigung (Art. 189 StGB) und Vergewaltigung (Art. 190 StGB) werden seit 2004 unabhängig vom Beziehungsstatus von Amtes wegen verfolgt. Werden einfache Körperverletzungen (Art. 123 Ziff. 2 Abs. 2 StGB) sowie wiederholte Tätlichkeiten (Art. 126 Abs. 2 Bst. a StGB) an Kindern begangen, werden auch sie von Amtes wegen verfolgt.

In Fällen, in denen die Interessen des Opfers von häuslicher Gewalt bei einer Verfolgung von Amtes wegen gefährdet sein können, ermöglicht Art. 55a StGB die Aussetzung des Strafverfahrens, um diese Interessen zu schützen. Um den Druck auf das Opfer zu verringern und den Ermessensspielraum der Behörden zu erweitern, reicht der blosse Wille des Opfers nicht mehr aus, um das Verfahren auszusetzen; die Aussetzung muss geeignet sein, die Situation des Opfers zu stabilisieren oder zu verbessern (Art. 55a Abs. 1 Bst. c StGB). Eine Einstellung ist ausgeschlossen, wenn der Verdacht auf wiederholte Gewalt in der Partnerschaft besteht (Art. 55a Abs. 3 StGB). Während des Aussetzungsverfahrens kann die Staatsanwaltschaft oder das Gericht den Täter verpflichten, ein Programm zur Gewaltprävention zu absolvieren (Art. 55a Abs. 2 StGB). In der Praxis werden ca. 50 % der Verfahren eingestellt, davon werden rund 30 % zuvor sistiert (Bericht, S. 99).

Strafrechtliche Massnahmen

Der strafrechtliche Schutz für Personen, die Opfer von häuslicher Gewalt und Stalking geworden sind, wird durch das Kontaktverbot, das nach Abschluss des Strafverfahrens angeordnet werden kann und das Rayonverbot (Art. 67b StGB) gewährleistet. Diese Bestimmung verbietet dem Täter oder der Täterin mit den Opfern in Kontakt zu treten, sich ihnen zu nähern, ihre Wohnung zu betreten oder bestimmte Orte aufzusuchen. Dabei kann die Behörde die Verwendung eines technischen Geräts anordnen, das am Täter oder der Täterin angebracht wird, um seinen resp. ihren jeweiligen Standort zu ermitteln (Art. 67b Abs. 3 StGB).

Stalking

Bei oder nach der Trennung von Paaren kommt es immer wieder vor, dass eine Partei die andere belästigt ("Stalking"). Stalking bezeichnet das Verhalten, wonach eine Person zwanghaft, systematisch und wiederholt verfolgt, belästigt oder bedroht wird. Diese Situation kann bei den Betroffenen Angst auslösen und ihre physische oder psychische Integrität direkt oder indirekt, kurz- oder langfristig gefährden oder beeinträchtigen. In der Schweiz gibt es bislang keine explizite Strafnorm gegen Stalking. Im Parlament wurde eine Motion zur Schaffung einer solchen Norm bereits abgelehnt. So wird Stalking nur vereinzelt geahndet und fällt unter die folgenden Strafnormen: Drohung (Art. 180 StGB), Nötigung (Art. 181 StGB), Verletzung des Geheimbereichs (Art. 179 ff. StGB), Hausfriedensbruch (Art. 186 StGB), Vermögensdelikte (Art. 137 ff. StGB) oder Ehrverletzungen (Art. 173 ff. StGB). Angesichts der oftmals wenig überzeugenden Ergebnisse, die mit dem derzeitigen gesetzlichen Rahmen im Bereich der Stalking-Attacken erzielt werden können, wird vielfach ein besserer Schutz der Betroffenen gefordert. So sind parlamentarische Arbeiten im Gange, die auf eine ausdrückliche Ausweitung des Anwendungsbereichs der Bestimmungen des Strafgesetzbuchs auf Stalking zielen.

Im Gegensatz zur obsessiven Belästigung erfüllt die sogenannte «leichte» Belästigung («soft stalking») nicht oder nicht vollständig die Tatbestandsmerkmale einer Straftat und kann nicht geahndet werden. Dieser Begriff bezeichnet das Verhalten einer Person, die absichtlich die körperliche Nähe zu ihrem Opfer sucht (z. B. indem sie wiederholt vor dem Haus, der Wohnung oder dem Arbeitsplatz auf das Opfer wartet oder ihm aus der Ferne folgt), es aber nicht erkennbar belästigt. Der Schutz vor «leichter" Belästigung muss daher einen Umweg über das Zivilverfahren nehmen (Art. 28b ZGB).

Zivilrecht

Zivilrechtliche Massnahmen

Art. 28b des Schweizerischen Zivilgesetzbuches (ZGB) regelt das Vorgehen bei Gewalt, Drohungen und Belästigungen. Demnach kann jede Person, die in ihrer körperlichen, sexuellen, psychischen oder sozialen Integrität verletzt oder gefährdet wurde, ein Kontakt- oder Rayonverbot oder eine Wohnungsverweisung beantragen.

Bei einem räumlichen Verbot darf sich die verletzende Person dem Opfer nicht mehr nähern oder dessen Wohnung betreten (Art. 28b Abs. 1 Ziff. 1 ZGB). Ein Kontaktverbot hindert die verletzende Person daran, bestimmte öffentliche Orte aufzusuchen, mit dem Opfer Kontakt aufzunehmen (telefonisch, schriftlich oder per E-Mail usw.) oder es anderweitig zu stören (Art. 28b Abs. 1 Ziff. 2 und 3 ZGB). Die Wegweisung der verletzenden Person, falls diese mit dem Opfer einen gemeinsamen Haushalt führt, kann angeordnet und einmal verlängert werden (Art. 28b Abs. 2 ZGB). Wenn Täter und Opfer verheiratet sind, das Opfer einen Antrag stellt, können die Richter diese Massnahmen im Rahmen des Eheschutzes anordnen (Art. 172 Abs. 3 ZGB). Das Verfahren ist in der Regel schnell und der Richter kann auch "superprovisorische" und dringende vorsorgliche Massnahmen anordnen. Im Krisenfall kann eine zuständige kantonale Stelle auch die sofortige Ausweisung aus der gemeinsamen Wohnung anordnen (Art. 28b Abs. 4 ZGB). Das Opfer muss nicht für die Gerichtskosten des Hauptverfahrens nach Art. 28b ZGB aufkommen. Diese können sogar der anderen Partei, in den meisten Fällen dem Täter, auferlegt werden (Art. 115 Abs. 2 ZPO), umfassen jedoch nicht die Anwaltskosten oder die Kosten für die Durchführung von Electronic Monitoring (Art. 114 Bst. f ZPO).

Elektronische Überwachung

Um sicherzustellen, dass der Täter oder die Täterin von Gewalt, Drohungen oder Stalking ein Orts- oder Kontaktverbot einhält, kann auf Antrag des Opfers eine elektronische Überwachung angeordnet werden (Art. 28c ZGB). Diese GPS-Überwachungen ermöglichen nur eine nachträgliche Analyse der Bewegungen des Täters; sie erlauben es der Polizei jedoch nicht, sofort einzugreifen, um den Täter daran zu hindern, eine angeordnete Massnahme zu verletzen. Jeder Kanton verfügt über eine Stelle, die für die Durchführung der Massnahme zuständig ist (Art. 28c Abs. 3 ZGB).

Auflösung der ehelichen Gemeinschaft

Wenn sich ein Ehepaar auf Antrag einer Partei trennt, beträgt die Wartefrist für die Einreichung eines Scheidungsantrags zwei Jahre (Art. 114 ZGB); wenn beide gemeinsam einen Antrag stellen, kann die Scheidung auch vor Ablauf der Zweijahresfrist ausgesprochen werden (Art. 111 ZGB). Eine Ausnahme von der Zweijahresfrist bei einseitigem Antrag ist bei Zerrüttung der Ehe vorgesehen (Art. 115 ZGB), insbesondere in Fällen, in denen es missbräuchlich wäre, von den jeweiligen Eheleuten zu verlangen, weiterhin verheiratet zu bleiben (BG-Urteil 5A_177/2012). Als wichtige Gründe für die Auflösung der Ehe gelten insbesondere physische oder psychische Gewalt, die geeignet ist, die physische oder psychische Gesundheit der klagenden Person oder ihrer Kinder zu gefährden (BG-Urteil 5A_192/2021, E. 3.1), nachgewiesener sexueller Missbrauch von gemeinsamen Kindern oder Kindern aus erster Ehe (BGE 126 III 404, E. 4h) oder ständige Belästigung (BGer-Urteil 5C.141/2001).

Kinder als Opfer

Kinder und Jugendliche haben gemäss Art. 11 Abs. 1 BV Anspruch auf besonderen Schutz ihrer Unversehrtheit und auf Förderung ihrer Entwicklung. Bund und Kantone sollen Kinder und Jugendliche in ihrer Entwicklung zu selbstständigen und sozial verantwortlichen Personen fördern und sie bei ihrer sozialen, kulturellen und politischen Integration unterstützen (Art. 41 Abs. 1 Bst. g BV). Das Zivilgesetzbuch sieht derzeit vor, dass die elterliche Sorge für ein minderjähriges Kind dem Wohl des Kindes zu dienen hat (Art. 296 Abs. 1 ZGB), sowie die Pflicht der Eltern, ihr Kind nach ihren Fähigkeiten und Mittel zu erziehen und seine körperliche, geistige und sittliche Entwicklung zu fördern und zu schützen (Art. 302 Abs. 1 ZGB). In verfahrensrechtlicher Hinsicht haben Kinder, die Opfer oder Zeugen häuslicher Gewalt geworden sind, ab dem Alter von sechs Jahren ein Recht darauf, im Zivilverfahren persönlich und angemessen angehört zu werden (BGE 131 III 553). In der Praxis gibt es jedoch Grenzen für das Recht des Kindes auf Beteiligung: Die Schweizer Behörden beziehen das Kind nur entsprechend seinen Bedürfnissen, Wünschen und der Notwendigkeit, es zu schützen ein und nicht systematisch, wie es das Übereinkommen über die Rechte des Kindes eigentlich vorsieht (Art. 12 KRK).

Der Bundesrat ist zwar der Ansicht, die Gesetze zum Schutz von Kindern, die Opfer oder Zeugen von Gewalt in der Erziehung sowie die Rechtsprechung des Bundesgerichts, das «jede Form von Gewalt und erniedrigender Behandlung von Kindern» (BGE 129 IV 216, Erw. 2.2) missbilligt, würden genügen. Das Parlament hat jedoch mit einer Motion im Oktober 2022 einen Zusatz zu Art. 302 ZGB erwirkt, der die gewaltfreie Erziehung im Zivilgesetzbuch explizit festschreiben soll; der Gesetzesartikel wird derzeit vom Bundesamt für Justiz ausgearbeitet und im Herbst 2023 in die Vernehmlassung gegeben.

Die Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe fallen hauptsächlich in den Zuständigkeitsbereich der Gemeinden und Kantone. Die Angebote können je nach Kanton sehr unterschiedlich sein.

Opferhilfegesetz

Die Bestimmungen des Opferhilfegesetzes (OHG) stellen eine wichtige Ergänzung der straf- und zivilrechtlichen Regelungen für Opfer von häuslicher Gewalt dar. Sie gewährleisten die Unterstützung von Opfern, indem sie Hilfsmassnahmen oder deren Finanzierung vorsehen und zwar unabhängig von der Eröffnung eines Strafverfahrens. Die Straftat muss in der Schweiz stattgefunden haben (Art. 3 Abs. 1 OHG), d.h. Migrantinnen und Migranten, die als Flüchtlinge, Asylsuchende, vorläufig Aufgenommene oder Abgewiesene in der Schweiz leben, haben keinen Anspruch auf Unterstützung durch das OHG für Gewalt, die sie auf der Flucht oder in ihren Herkunftsländern erlitten haben. Darüber hinaus verbirgt sich eine indirekte Diskriminierung hinter der Ausnahme von Art. 17 OHG: Opfer, die zum Zeitpunkt der Straftat und zum Zeitpunkt des Hilfegesuchs in der Schweiz wohnhaft sind, können Anspruch auf Hilfs- und Unterstützungsleistungen haben. In der Praxis wird diese Bestimmung aber eher auf eine Schweizerin als auf eine gewaltbetroffene Migrantin anwendbar sein (Rechtsgutachten, S. 37 f.). Die konkrete Organisation durch den Bund und die Kantone ist jedoch unklar; die Frage nach den rechtlichen und praktischen Hindernissen hinsichtlich des Zugangs zu Unterstützungsdiensten bleibt offen.

Nach dem OHG sind die Kantone verpflichtet, spezialisierte Stellen für Opfer einzurichten (Art. 9 OHG), die medizinische, soziale, rechtliche und materielle Hilfe anbieten (Art. 12 ff. OHG). Neben den Opfern haben auch die Angehörigen (Kinder, Partner, Eltern etc.) die Möglichkeit, Hilfe in Anspruch zu nehmen (Art. 1 Abs. 2 OHG). Die Beratung und die langfristigen Leistungen der Beratungsstelle sind unentgeltlich (Art. 5 OHG). Zudem unterstehen die Angestellten der Beratungsstellen dem Berufsgeheimnis (Art. 11 OHG).

Wenig Rechte für Ausländerinnen und Ausländer

Häusliche Gewalt kann für Personen, die den Aufenthaltsbestimmungen für Ausländer/innen unterliegen, noch problematischer sein, insbesondere wenn die erlittene Gewalt nicht auf Schweizer Territorium stattgefunden hat oder wenn das Aufenthaltsrecht einer Person vom Aufenthaltsrecht ihres Partners/ihrer Partnerin abhängt. Flüchtlinge sind besonders gefährdet, Opfer sexueller Gewalt zu werden, sei es in ihrem Herkunfts- oder Aufnahmeland oder auf ihrer Reise.

Da ihr Status von der Aufenthaltsgenehmigung des Partners abhängen kann, ziehen es einige Opfer häuslicher Gewalt oft vor, aus Angst, ihre Aufenthaltsgenehmigung zu verlieren, zu schweigen und nicht auszusagen. Das Bundesgesetz über Ausländer und Integration (AIG) bietet zwar Schutz: Nämlich wenn eine Person, die Opfer häuslicher Gewalt geworden ist, die eheliche oder familiäre Gemeinschaft verlässt, hat sie Anspruch auf eine Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung; dies nur sofern die Ehe oder Partnerschaft mindestens drei Jahre gedauert hat und die Integration erfolgreich war oder wenn der weitere Aufenthalt in der Schweiz aus «wichtigen persönlichen Gründen» erforderlich ist, - insbesondere im Fall von «ehelicher Gewalt» (Art. 50 Abs. 1 Bst. a und b AIG). Allerdings haben nur Ehepartner/innen von Schweizer/innen oder von Personen mit einer Aufenthaltsbewilligung (Ausweis C) im Falle von ehelicher Gewalt Anspruch auf eine Aufenthaltsbewilligung. Ehegatten von vorläufig aufgenommenen Personen und Personen, die sich im Asylverfahren befinden, haben dieses Recht nicht. Und: Die Verlängerung wird nur sehr restriktiv angewendet. Das Opfer, das eine Verlängerung seiner Aufenthaltsbewilligung beantragt, stösst auf mehrere Hindernisse, die sowohl von GREVIO als auch vom CEDAW kritisiert werden: so zum Beispiel die Notwendigkeit einer bestimmten Intensität der Gewalt (BGE 136 II 1), der unzureichende Einbezug psychischer Gewalt oder der Nachweis des Kontrollwillens des Täters/der Täterin. Art. 59 der Istanbul-Konvention, zu der die Schweiz einen Vorbehalt angebracht hat, sieht für Gewaltopfer das Recht auf eine vom Partner unabhängige Aufenthaltsbewilligung vor. Die Schweiz aber sieht vor, diesen Artikel «nicht oder nur in bestimmten Fällen oder unter bestimmten Bedingungen anzuwenden». Dies wird von Organisationen der Zivilgesellschaft sowie vom Ausschuss zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung (CERD) scharf kritisiert.

Weitere Informationen