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Antimuslimischer Rassismus

27.01.2023

Personen die sich selbst als muslimisch bezeichnen oder als muslimisch wahrgenommen werden, sind in der Schweiz mit verschiedenen Formen von Diskriminierung und Feindseligkeiten konfrontiert. Zudem sind antimuslimisch rassistische Stereotype weit verbreitet und finden sich auch in politischen Entscheidungen wieder.

Für die von Vorurteilen beeinflusste Abneigung und Diskriminierung gegenüber Muslim*innen gibt es keinen allgemeingültigen Begriff. In Wissenschaft und Gesellschaft werden dafür Wörter wie Muslim*innenfeindlichkeit, Islamfeindlichkeit, Islamophobie oder Antimuslimischer Rassismus verwendet.

Muslim*innenfeindlichkeit, Islamfeindlichkeit, Islamophobie oder Antimuslimischer Rassismus

Muslim*innenfeindlichkeit beschreibt eine ablehnende Haltung und Einstellung gegenüber Menschen, die sich selbst als Muslim*innen bezeichnen oder die als Muslim*innen wahrgenommen werden. Der Begriff Islamfeindlichkeit bezeichnet eine feindliche Haltung gegenüber «dem Islam». In der Realität existiert kein monolithischer Islam, sondern es werden viele verschiedene Strömungen und Glaubensrichtungen unter diesem Überbegriff vereint. Zudem ist es schwierig, eine Abneigung gegenüber einer Religion von einer Abneigung gegenüber praktizierenden religiösen Menschen zu trennen. Im Alltag und im politischen Diskurs wird teilweise auch der Begriff Islamophobie verwendet, welchen der Europarat im Jahr 2005 als «die Furcht vor oder ein voreingenommener Standpunkt gegenüber dem Islam, Muslim*innen und allem, was mit beiden zu tun hat» beschrieb. Aufgrund der starken Betonung der Emotionalität des Begriffes, der Verbindung mit Phobien und einer fehlenden einheitlichen Definition ist der Begriff aber sehr umstritten.

Antimuslimischer Rassismus beschreibt die Diskriminierung von Muslim*innen und muslimischen Gemeinschaften im Alltag präziser. Dem Begriff liegt ein kulturelles Verständnis von Rassismus – auch Kulturalismus genannt – zugrunde. Dabei werden Differenzen nicht mehr an biologischen oder soziobiologischen Argumenten – wie beispielsweise der Hautfarbe – festgemacht, sondern an vermeintlich unveränderlichen ethnischen, kulturellen und religiösen Unterschieden. Religion wird dabei meistens als Grenze zwischen dem «Eigenen» und dem «Fremden» benutzt. Dabei wird Religion als einheitliches Gebilde verstanden, das sich nicht über Zeit und Raum wandeln kann und hierarchisch mit anderen Religionen verglichen werden kann. Beispielsweise wird häufig eine von Vorurteilen geprägte monolithische Vorstellung von «dem Islam» oder «einer islamischen Welt» «dem Christentum» oder «dem Westen» gegenübergestellt.

In antimuslimisch rassistischen Vorstellungen wird zudem häufig jegliches Verhalten von als Muslim*innen wahrgenommenen Menschen auf «den Islam» zurückgeführt. Damit werden die Personen auf eine von aussen wahrgenommene Gruppenzugehörigkeit reduziert: Andere Faktoren wie Geschlecht, Herkunft, Bildungsstand, politische Einstellung, etc. werden völlig ignoriert. Laut Historiker Wolfgang Benz kann die pauschale Ablehnung «des Islams» nicht nur durch die Stigmatisierung von Individuen über ihre Religion oder Kultur praktiziert werden, sondern auch durch die pauschale Gleichsetzung aller muslimischen Menschen mit Fanatiker*innen, die religiös-extremistische Ziele mit terroristischen Methoden durchsetzen wollen. Häufig wird bewusst ein Bild von «dem Islam», welcher als Bedrohung für «den Westen» wahrgenommen und mit Gewalt und Terrorismus in Verbindung gebracht wird, propagiert. Die dabei verwendeten Stereotype, Vorurteile und Narrative sind in der Bevölkerung heute weit verbreitet, schüren Ängste und nähren feindliche Haltungen gegenüber «dem Islam» sowie die Diskriminierung von als Muslim*innen wahrgenommenen Menschen und muslimischen Gemeinschaften.

Antimuslimischer Rassismus in der Schweiz

Die statistischen Kennzahlen des Berichts zum «Zusammenleben in der Schweiz» des Bundesamts für Statistik aus dem Jahr 2020 zeigen, dass 12 Prozent der Schweizer Bevölkerung von sich sagen, dass sie eine negative Meinung gegenüber Muslim*innen haben, 20 Prozent negativen Stereotypen gegenüber Muslim*innen zustimmen und 29 Prozent (2021) angeben, gegenüber «dem Islam» als Religion misstrauisch eingestellt zu sein. Die Zahlen zeigen, dass das Misstrauen in der Schweizer Bevölkerung gegenüber «dem Islam» als Religion fast dreimal so hoch ist wie das Misstrauen gegenüber der Bevölkerungsgruppe der Muslim*innen.

Feindliche Haltungen gegenüber Muslim*innen können, wie andere Formen des Rassismus, unterschiedlichste Ausprägungen annehmen: von aggressiven Anfeindungen oder Diskriminierungen im Arbeitsleben, im Bildungsbereich oder bei Einbürgerungen bis hin zu Gewalthandlungen gegen Leib und Leben und Anschlägen auf Moscheen oder islamische Zentren. In der Schweiz wurde im Jahr 2020 fast ein Zehntel der Gesamtbevölkerung aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit diskriminiert, wovon hauptsächlich Angehörige muslimischer Glaubensgemeinschaften betroffen sind.

In einem intersektionalen Verständnis von antimuslimischem Rassismus zeigt sich, dass Vorstellungen von Religion immer auch mit Vorstellungen über Kultur und Ethnizität verknüpft sind. In der Schweiz werden fremdenfeindliche Stereotype häufig mit Islam- und Muslim*innenfeindlichen Einstellungen verknüpft. Muslim*a wird als synonym für nicht integrierte*r Migrant*in verstanden, wodurch Personen aufgrund der ihnen von aussen zugeschriebenen Eigenschaften mehrfach diskriminiert werden. Das Beratungsnetz für Rassismusopfer zählte im Jahr 2021 53 Fälle von antimuslimischem Rassismus, womit dies den dritthäufigsten Grund für Meldungen ausmacht. Dazu kommen zahlenmässig ähnlich häufige Meldungen von Feindlichkeit gegenüber Menschen aus dem arabischen Raum.

Misstrauen spiegelt sich im politischen Diskurs

Die starke Verbreitung rassistischer antimuslimischer Stereotype wird auch im politischen Diskurs spürbar: So werden in politischen Kampagnen wiederholt rassistische Bilder verbreitet und seit dem Jahr 2000 werden vermehrt parlamentarische Vorstösse eingereicht, die «den Islam» als Bedrohung darstellen. Auch bei Debatten über Migrations- und Integrationsthemen werden wiederholt Muslim*innen als Inbegriff negativ wahrgenommener Migrant*innen herangezogen. Besonders bei den Volksabstimmungen zum Minarettverbot und dem Verhüllungsverbot, bei denen Mehrheiten über die Rechte von Minderheiten entscheiden konnten, zeigte sich die ablehnende Haltung gegenüber Muslim*innen deutlich. Beide Initiativen wurden von der Stimmbevölkerung angenommen und damit die Rechte der muslimischen Minderheit eingeschränkt. Die Annahme der Minarettverbot-Initiative wurde von der UNO-Hochkommissarin für Menschenrechte – Navi Pillay – als «klar diskriminierend» kritisiert und die Sprecherin des UNO-Menschenrechtsbüros – Ravina Shamdasani – bezeichnete das Verhüllungsverbot als problematisch und hob «deutlich fremdenfeindliche Untertöne» im Abstimmungskampf hervor.

Minarettverbot

Am 29. November 2009 hat die Schweizer Stimmbevölkerung mit 57,5 Prozent Ja-Stimmen das Minarettverbot klar angenommen. Die Volksinitiative wurde vom Egerkinger Komitee lanciert, welches sich laut eigenen Angaben für den «Stopp der Islamisierung der Schweiz» einsetzt. Nach der Annahme der Initiative wurde mit Artikel 72 Absatz 3 erstmals wieder ein konfessioneller Sonderartikel in die Bundesverfassung aufgenommen.

Die Bestimmung widerspricht dem in Verfassungsnormen und internationalen Abkommen festgehaltenen Diskriminierungsverbot (Art. 8 Abs. 2 BV, Art. 14 EMRK) und der Religionsfreiheit (Art. 15 BV, Art. 9 EMRK, Art 18 UNO Pakt II). Da weder die öffentliche Sicherheit, die öffentlichen Ordnung, Gesundheit, Moral noch die Rechte und Freiheiten anderer durch die Existenz von Minaretten beeinflusst werden, sind die Voraussetzungen für eine zulässige Einschränkung der Religionsfreiheit in diesem Fall nicht erfüllt (Art. 9 Abs. 2 EMRK).

Gegen das Minarettverbot wurde am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte EGMR geklagt. Der Gerichtshof hat die Klage jedoch mit der Begründung für unzulässig erklärt, dass der Kläger nicht habe glaubhaft darlegen können, selbst Opfer einer Verletzung der Europäischen Menschenrechtskonvention zu sein. Das Urteil behandelte nur den Einzelfall und beinhaltete keine grundsätzliche Stellungnahme des EGMR zum Minarettverbot.

Verhüllungsverbot

Die zweite Initiative des Egerkinger Komitees «Ja zum Verhüllungsverbot» wurde am 7. März 2021 mit 51,21 Prozent Ja-Stimmen angenommen. Mit Annahme der Initiative wurde das Recht auf Leben in der Bundesverfassung (Art. 10 BV) mit einem Verbot der Gesichtsverhüllung (Art. 10a BV) ergänzt. Eine Ausnahme von Artikel 10a gilt für Sakralstäten, Verhüllungen aus Gründen der «Gesundheit, der Sicherheit, der klimatischen Bedingungen und des einheimischen Brauchtums». Keine Ausnahme gibt es für religiöse Verhüllungen, auch nicht für Tourist*innen. Vor der landesweiten Abstimmung gab es bereits Verhüllungsverbote in den Kantonen St. Gallen und Tessin.

Im Abstimmungskampf um das Verhüllungsverbot wurden hauptsächlich die Verhüllungen mittels Nikab und Burka thematisiert, während die Verhüllungen an Sportanlässen oder Demonstrationen lediglich eine Nebenrolle einnahmen. Das Initiativkomitee und die Schwerpunktsetzung in der öffentlichen Debatte liessen keinen Zweifel am Ziel der Initiative aufkommen: die von ihnen als muslimisch gelesene Gesichtsverhüllung in der Schweizer Öffentlichkeit zu verbieten. In der öffentlichen Debatte schien das Argument der Frauenrechte besonders zu polarisieren. Während Befürworter*innen des Verhüllungsverbots Nikab und Burka als Symbole der Unterdrückung von Frauen verstanden, sahen die Gegner*innen in einem verfassungsmässigen Kleidungsverbot eine Diskriminierung und Beraubung des Selbstbestimmungsrechts von Frauen. Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty Schweiz, humanrights.ch oder Terre des Femmes sprachen sich gegen die Initiative aus.

Nach der Annahme der Initiative wurde die Schweiz vom Menschenrechtsbüro der UNO (OHCHR) dafür kritisiert, mit dem Gesetz muslimische Frauen zu diskriminieren. Aus menschenrechtlicher Sicht verstösst das Verhüllungsverbot gegen die Glaubens- und Gewissensfreiheit (Art. 15 BV, Art. 9 EMRK, Art. 18 UNO Pakt II). Das bestätigte der UNO-Menschenrechtsrat mit seinen Einschätzungen zum französischen Burkaverbot, welches seiner Ansicht nach einen unverhältnismässigen Eingriff in die Religionsfreiheit (Art. 18 Pakt II) und eine doppelte Diskriminierung aufgrund des Geschlechts und der Religion (Art. 26 Pakt II) darstellt. Die Voraussetzungen für eine Einschränkung des Grundrechts seien nicht gegeben. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat im Urteil «S.A.S. gegen Frankreich» demgegenüber das Argument des Grundrechtschutzes Dritter gelten lassen und das Burkaverbot in Frankreich anerkannt. Dabei räumt der EGMR den Staaten viel Spielraum ein. Ein Urteil gegenüber der Schweiz hätte anders ausfallen können, da die Ausgangssituation sich anders darstellt: Zahlenmässig gibt es in Frankreich nämlich mehr vollverhüllte Personen als in der Schweiz.

Reflektierte Religionskritik ist nicht religionsfeindlich

Unter dem Wort Islamkritik verbergen sich häufig unreflektierte Stereotype und Vorurteile des antimuslimischen Rassismus. Eine reflektierte Religionskritik muss sich eindeutig von hetzerischem und die Menschenwürde verletzendem Gedankengut abgrenzen lassen. Sie beinhaltet eine vertiefte Auseinandersetzung, keine Generalisierungen und richtet sich nicht an «den Islam» oder «die Muslim*innen», sondern an konkrete einzelne Akteur*innen. Zu berücksichtigen ist immer auch die Machtsymmetrie zwischen den Menschen, die Kritik üben, und jenen, an die sie gerichtet ist.

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