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Militärpflichtersatz für dienstwillige Männer definitiv unzulässig

23.11.2009

In der Schweiz werden leicht behinderte Männer, auch wenn sie dienstwillig sind, für dienstuntauglich erklärt und müssen eine empfindliche Ersatzsteuer entrichten, den sog. Militärpflichtersatz. Gegen diese Regelung hat sich ein junger Diabetiker durch alle Instanzen hindurch mit Beschwerden gewehrt. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hatte bereits im April 2009 die Schweiz in dieser Sache einstimmig verurteilt. Nun hat im November 2009 die Grosse Kammer des Gerichtshofs das Wiedererwägungsgesuch des Bundesrates definitiv abgewiesen. Damit ist die Schweiz verpflichtet, eine Gesetzesänderung vorzunehmen.

Erst ab 40% Invalidität von Sondersteuer dispensiert

Konkret ging es um einen heute 30-Jährigen, der 1997 wegen seiner Zuckerkrankheit für dienstuntauglich befunden worden war. Die Behörden verpflichteten den an sich militär- oder ersatzdienstwilligen Zürcher anschliessend, rund 700 Franken Wehrpflichtersatz pro Jahr zu zahlen.

Das Bundesgericht wies seine Beschwerde 2004 ab. Es verwies dabei auf die Praxis, wonach nur Personen mit einem Invaliditätsgrad von mehr als 40 Prozent von der Pflicht zur Zahlung des Wehrpflichtersatzes ausgenommen seien. Sein IV-Grad sei indessen tiefer als 40 Prozent bewertet worden.

Diskriminierung gegenüber erheblich Behinderten und Dienstverweigerern

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat nun dem Mann mit seinem Urteil vom 30. April 2009 Recht gegeben. Die Richter haben einstimmig festgestellt, dass die Schweiz das in der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) verankerte Diskriminierungsverbot im Zusammenhang mit dem Gebot der Achtung des Privat- und Familienlebens (Art. 14 i.V. mit Art. 8 EMRK) verletzt hat. Die Schweiz muss ihm den geleisteten Militärpflichtersatz inklusiv Zinsen zurück zahlen.

Gemäss der Einschätzung der Richter werden in der Schweiz dienstuntaugliche Männer, die einem normalen Beruf nachgehen können, einerseits gegenüber erheblich Behinderten mit einem Invaliditätsgrad von über 40 Prozent, die den Militärpflichtersatz nicht bezahlen müssen, diskriminiert. Anderseits sind sie durch die bisher gängige Praxis auch benachteiligt gegenüber Dienstverweigerern aus Gewissensgründen, die Zivildienst leisten dürfen.

Strassburg vertritt die Ansicht, dass es möglich sein sollte, solchen Personen entweder in der Armee eine Funktion anzubieten, die sie trotz ihrem Gebrechen ausüben können, oder aber sie zum Zivildienst zuzulassen. Andernfalls müsste das Gesetz wohl zumindest Personen in bescheidenen Verhältnissen unabhängig vom Grad ihrer Behinderung von der Ersatzpflicht befreien.

Urteil 13444/04 vom 30. April 2009.