humanrights.ch Logo Icon

Dramatische Haftbedingungen im Ausschaffungsgefängnis von Granges: Das Wallis bleibt seit 10 Jahren untätig

15.08.2018

In einem Schreiben an den Walliser Regierungsrat Frédéric Favre (Departement für Sicherheit, Institutionen und Sport) hat die Nationale Kommission zur Verhütung von Folter (NKVF) im Januar 2018 die Haftbedingungen des Ausschaffungszentrums «Centre LMC» in Granges (VS) stark kritisiert. Mit Blick auf die internationalen und nationalen Vorgaben zur Administrativhaft seien diese inakzeptabel. Aus der Feder einer nationalen Stelle, welche für die Überprüfung der Einhaltung von Menschenrechten im Freiheitsentzug verantwortlich ist, wiegen diese Worte schwer. Dies gilt umso mehr, als seit zehn Jahren diverse kantonale, nationale und sogar internationale Gremien die inakzeptablen Zustände in diesem Ausschaffungsgefängnis anprangern.

Bedenkliche Haftbedingungen

Die Besuchsberichte des Europäischen Komitees zur Verhütung von Folter (CPT) von 2008 und der kantonalen Justizkommission des Wallis (JUKO) aus dem Jahr 2017 griffen die Problematik bereits auf. Sie deckten diverse Missstände auf: unzureichende medizinische Versorgung, unverhältnismässige Sicherheitsmassnahmen, veraltete Hafteinrichtungen, ein Mangel an Privatsphäre und menschlichem Kontakt und sogar die Inhaftierung von Minderjährigen. Diese Umstände wiegen in Anbetracht der Tatsache, dass in Granges vor allem Personen inhaftiert sind, welchen einzig aufgrund eines negativen Asylentscheids die Abschiebung droht, besonders schwer.

Überdies hat das Bundesgericht am 3. August 2017 die Beschwerde eines Insassen gutgeheissen, welcher unwürdige Haftbedingungen im «Centre LMC» angezeigt hat (BGer 2C_384 / 2017). Laut Bundesgericht konnte das Walliser Kantonsgericht die Vereinbarkeit der angezeigten Haftbedingungen mit dem Folterverbot der Europäischen Menschenrechtskonvention (Art. 3 EMRK) nicht nachweisen.

Anhaltende Kritik des NKVF

Die NKVF besuchte das Ausschaffungszentrum von Granges im Dezember 2017 erneut und zog in einem bilateralen Gespräch mit Regierungsrat Favre wiederum eine negative Bilanz. In ihrem Schreiben vom Januar 2018 informierte die Kommission darüber, dass sich die Unterbringung der Frauen besonders problematisch gestalte. Die Infrastruktur des Ausschaffungszentrums ermögliche keine «strikte Trennung zwischen Frauen und Männern» (freie Übersetzung). Zwar sind die Zellen nach Geschlechtern getrennt. Einige befinden sich jedoch in geschlechtergemischten Gebäuden. Die weiblichen Inhaftierten haben aufgrund der Anwesenheit männlicher Gefangener nur beschränkten Zugang zum Gefängnishof und zu den Gemeinschaftseinrichtungen. Infolgedessen verbringen sie zwischen 21 und 22 Stunden in ihren Zellen.

Angesichts des rein verwaltungstechnischen Charakters der Inhaftierung im «Centre LMC» prangert die NKVF namentlich die Überbelegung und die übermässigen Einschränkungen der Bewegungsfreiheit an. Zudem kritisiert sie eine gängige Sicherheitsmassnahme, welche während ambulanter medizinischer Besuche die systematische Fesselung der Inhaftierten mit Handschellen vorsieht. Dies wird von den Personen, die nicht aufgrund eines Gewaltdelikts inhaftiert wurden, als besonders entwürdigend empfunden. Die Kommission fordert den Regierungsrat zu einem «formellen Austausch» auf (freie Übersetzung), bei welchem Lösungen diskutiert werden sollen, welche die Rechte der Gefangenen zukünftig wahren.

Es ist nicht das erste Mal, dass die Bedingungen im Ausschaffungszentrum von Granges öffentlich in Kritik geraten. Seit 2010 hat die NKVF das «Centre LMC» viermal unangekündigt besucht und bereits auf nationalen und internationalen Standards für die der Administrativhafthingewiesen. Nachdem ein Gefangener im April 2017 in seiner Zelle ein Feuer gelegt hatte, äusserten sich auch Amnesty International und das Schweizerische Rote Kreuz empört über die Haftbedingungen.

Zwar würdigte die NKVF in ihren Berichten auch positive Entwicklungen, einschliesslich des Baus einer Wand zwischen Toilette und Schlafzelle, jedoch handelt es sich dabei nicht um etwas, das die unwürdigen Haftbedingungen zu relativieren vermag.

Zehn Jahre Untätigkeit im Wallis

Der Bericht des CPT aus dem Jahr 2008 thematisierte anhand eines konkreten Fallbeispiels erstmals die Missstände im «Centre LMC» von Granges. Der Umgang mit den Inhaftierten käme einer «unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung» gleich. Weiterführend informiert die NKVF seit 2010 kontinuierlich über die ungenügenden Standards und macht darauf aufmerksam, dass der Kanton Wallis die meisten Empfehlungen nicht umsetzt. Dieser Umstand wird durch den Bericht der JUKO im Jahr 2017 verdeutlicht: «Der schlechte Zustand der Räumlichkeiten […] und die dadurch verursachten Probleme sorgen schon seit fast zehn Jahren für Gesprächsstoff, ohne dass bislang irgendwelche konkrete Massnahmen […] ergriffen worden wären».

Kommentar humanrights.ch

Wie man unter diesen Bedingungen die Überraschung und Bestürzung der Walliser Abgeordneten im Anschluss an den JUKO-Bericht erklären kann, bleibt fraglich. Erstaunlich ist zudem, dass sich die FDP und die CVP im Walliser Parlament in Anbetracht der Ernsthaftigkeit der Situation einfach damit abfinden, dass mit mangelnden Ressourcen gearbeitet wird. Wie die FDP es konkret formuliert: «Wir machen, was wir können, mit dem, was wir haben» (freie Übersetzung).
Es ist besorgniserregend, wie der Walliser Regierungsrat Frédéric Favre die Vorwürfe quittiert. Die Investitionen zu Gunsten von menschenwürdigen Lebensbedingungen der inhaftierten Männer, Frauen und sogar Minderjährigen in Granges stehen seiner Meinung nach in Konkurrenz mit «vielleicht einer Schule, vielleicht Strassen oder anderen Dingen» (freie Übersetzung), welche der Bevölkerung im Wallis zu Gute kommen könnten.

Seine Worte vermitteln eine klare Botschaft: Die betroffenen Bewohner/innen in der Ausschaffungshaft verursachen einen Aufwand, welcher minimiert werden muss. Die Verletzung ihrer Menschenwürde ist dabei ein Kollateralschaden, mit dem man sich zu arrangieren hat.
Es muss daran erinnert werden, dass der Kanton Wallis, wie alle anderen Kantone auch, gewissen Regeln unterliegt und dass auch seine Vertreter/innen diese zu respektieren und durchzusetzen haben.

Dokumentation