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Bundesverwaltungsgericht stellt bei Asylausschluss die Unschuldsvermutung in Frage

05.12.2018

Das Staatssekretariat für Migration kann einer Person das Asyl verweigern, wenn sich diese nicht erkennbar und glaubhaft von der Ideologie, den Zielen und Mitteln von radikalen Gruppierungen distanziert.

Zu diesem Schluss kommt das Bundesverwaltungsgericht in seinem Grundsatzurteil E-2412-2014 vom 25. September 2018.

Anlass für das Urteil war der Fall eines türkischstämmigen Kurden, der 2012 in der Schweiz Asyl beantragt hatte. Das SEM anerkannte die Flüchtlingseigenschaft des Mannes, der angab, politisch verfolgt zu werden. Dennoch wies es sein Asylbegehren ab mit der Begründung, dass er mutmasslich Mitglied bei der geheimen, PKK-nahen Organisation «Komalen Ciwan» sei und an deren Treffen teilgenommen habe. Durch die Distanzierung hätte der Mann gemäss den St. Galler Richter/innnen die tatsächliche Vermutung entkräftet können, dass eine unrechtmässige Tätigkeit vorliege und die innere oder äussere Sicherheit durch die eigene Person gefährdet sei. Dies sei dem Mann jedoch nicht gelungen, weshalb er vom SEM als asylunwürdig erachtet wurde. Das SEM stützte sich für diese Beurteilung auf Informationen des Nachrichtendienstes des Bundes (NDB). Gemäss diesen sei der Mann mutmassliches Mitglied der «Komalen Ciwan», welche terroristische und gewalttätige Taten begehe oder unterstütze.

Tatsächliche Vermutung genügt für Asylunwürdigkeit

Der Betroffene erhob Beschwerde gegen den Entscheid des SEM. Er argumentierte, das SEM habe keine konkreten Beweise für allfällige Aktivitäten bei «Komalen Ciwan». Er sei lediglich an friedlichen, kulturellen Veranstaltungen beteiligt gewesen. Zwar sympathisiere er mit den Idealen der Partiya Karkerên Kurdistanê (Kurdische Arbeiterpartei, PKK), doch könne er sich nicht vorstellen, an bewaffneten oder gewalttätigen Aktionen der PKK oder PKK-nahen Gruppierungen teilzunehmen.

Das Bundesverwaltungsgericht wies die Beschwerde des Mannes ab. Es bestätigte zwar, dass dem Beschwerdeführer keine strafrechtlich relevanten Handlungen vorgeworfen werden können. Informationen des NDB zeigten jedoch, dass er an einer Veranstaltung der «Komalen Ciwan» teilgenommen habe, sowie über konkrete Kontakte zu PKK-Mitgliedern verfüge. Da der Mann sich nicht ernsthaft und glaubwürdig von dieser Organisation distanzierte, unterstütze dies die «tatsächliche Vermutung» (présomption de fait), dass er in dieser Organisation tätig sei oder diese unterstütze und durch seine Anwesenheit in der Schweiz die Sicherheit des Landes gefährde.

In der Folge stützte das Bundesverwaltungsgericht die Ablehnung des Asylgesuchs durch das SEM. Da eine Wegweisung aufgrund des Gebots des non-refoulement nicht zulässig sei, wurde der Betroffene vorläufig aufgenommen.

Asylunwürdigkeit

Als Flüchtling gilt nach der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) eine Person, welche in ihrem Heimatstaat oder im Land, in dem sie zuletzt wohnte, wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Anschauung ernsthaften Nachteilen ausgesetzt war oder begründete Furcht hat, solchen Nachteilen ausgesetzt zu werden. Zudem legt die Konvention fest, dass niemand in ein Land abgeschoben werden darf, in dem er oder sie den oben genannten Gefahren ausgesetzt würde (sog. non-refoulement-Prinzip).

Die Anerkennung als Flüchtling führt in der Regel zur Gewährung von Asyl. Allerdings gibt es im Schweizer Asylgesetz zwei Hauptgründe, welche dazu führen, dass einer Person Asyl verwehrt bleibt, auch wenn sie als Flüchtling anerkannt ist.

Kein Asyl nach Begehen eines Verbrechens

Der erste Ausschlussgrund ist das Begehen eines Verbrechens in der Schweiz oder im Ausland (Art. 53 lit. a Asylgesetz). Verbrechen sind diejenigen Delikte, welche mit einer Freiheitsstrafe von mehr als drei Jahren bedroht sind. Dazu gehören beispielsweise Tötungsdelikte, schwere Körperverletzungen, Vermögensdelikte wie Diebstahl, Raub oder Betrug, aber auch Angriffe auf die sexuelle Freiheit und Ehre oder der Handel mit Betäubungsmitteln. Die Mitgliedschaft bei der PKK ist kein Verbrechen und kann daher auch nicht zur Ablehnung des Asylgesuches nach Art. 53 lit. a Asylgesetz führen.

Kein Asyl bei Gefährdung der Sicherheit

Relevant ist diese Mitgliedschaft oder die mutmassliche Zugehörigkeit zur PKK oder ähnlichen Gruppierungen für den zweiten Asylunwürdigkeitsgrund im Schweizer Asylgesetz. Dieser besagt nämlich, dass Flüchtlinge, welche die innere oder äussere Sicherheit der Schweiz verletzt haben oder gefährden, kein Asyl erhalten (Art. 53 lit. b Asylgesetz). Der Begriff der Staatssicherheit ist weit auszulegen. Dies betrifft beispielsweise Spione, Terrorismus, oder, wie das Bundesverwaltungsgericht im aktuellen Entscheid feststellte, auch die mutmassliche Mitgliedschaft bei Gruppierungen, welche in der Schweiz als extremistisch eingestuft werden. Bei der Beurteilung, ob jemand durch seine politischen Aktivitäten die Sicherheit der Schweiz gefährdet, muss jedoch beachtet werden, dass auch Ausländer/innen Grundrechte besitzen. Zu diesen gehören zum Beispiel die Meinungsäusserungs- und die Versammlungsfreiheit.

Unterschied zwischen Asylgewährung und vorläufiger Aufnahme

Flüchtlinge, denen Asyl gewährt wurde, erhalten einen Ausländerausweis B. Nach zehn Jahren können sie eine unbefristete Niederlassungsbewilligung beantragen. Bei erfolgreicher Integration ist dies bereits nach fünf Jahren möglich.

Vorläufig aufgenommene Flüchtlinge sind Personen, welche die Flüchtlingseigenschaft erfüllen, jedoch aus verschiedenen Gründen kein Asyl erhalten. Einer dieser Gründe ist die Asylunwürdigkeit. Diese vorläufig aufgenommenen Flüchtlinge erhalten einen Ausweis F, welcher für maximal 12 Monate ausgestellt wird und erneuert werden kann. Nach fünf Jahren in der Schweiz ist die Beantragung einer Aufenthaltsbewilligung (Ausweis B) möglich.

Anerkannte Flüchtlinge mit B-Ausweis sind rechtlich bessergestellt als solche mit F-Ausweis, insbesondere beim Familiennachzug. Zudem können vorläufig Aufgenommene, wie das Wort «vorläufig» bereits impliziert, einfacher wieder ausgeschafft werden, sobald sich die Umstände in ihrem Herkunftsstaat ändern. Dies hat Auswirkungen auf die Zukunftsplanung dieser Personen.

Reaktionen zum Urteil

Die Schweizerische Flüchtlingshilfe (SFH) kritisiert, das Urteil rüttle am Fundament des Asylrechts. Das Bundesverwaltungsgericht stelle «hypothetische Sicherheitsüberlegungen» über das Recht der einzelnen Person vor Verfolgung und Gewalt.

Die Wochenzeitung (WOZ) moniert, das Urteil führe zur «Umkehr der Unschuldsvermutung», da dem Betroffenen keine kriminellen Handlungen nachgewiesen werden konnten und das Asylgesuch lediglich aufgrund einer Tatsachenvermutung abgewiesen wurde. Zudem könne es für Kurden/-innen aus der Konfliktregion zwischen der Türkei und Syrien schwieriger werden, in der Schweiz Asyl zu erhalten.

Kommentar

Für Flüchtlinge, welche aus politischen Gründen Asyl beantragen, stellt das Grundsatzurteil eine zusätzliche Hürde dar, welche im Einzelfall in einem Paradox mündet: Auf der einen Seite muss die Person nachweisen, dass sie wegen ihrer politischen Aktivität in ihrem Herkunftsland verfolgt wird. Auf der anderen Seite muss sie sich von den mit dieser politischen Aktivität einschlägig verbundenen Organisationen glaubhaft distanzieren.

Zudem ist zu beachten, dass auch Flüchtlinge und Asylsuchende über Grundrechte verfügen: Auch ihr Recht auf politische Betätigung und Meinungsfreiheit wird in der Bundesverfassung – mit den üblichen Einschränkungen - garantiert.

Der Asylunwürdigkeitsgrund der «potentiellen Gefährdung der inneren oder äusseren Sicherheit» ist äusserst schwammig definiert und kann beinahe beliebig interpretiert und damit auch ausgedehnt werden, was problematisch für die Wahrung der Rechte der geflüchteten Personen ist. Asylsuchende werden unter Pauschalverdacht gestellt. Regelmässige Legitimitäts- und Plausibilitätsprüfungen der Asylausschlussgründe durch die Behörden und Gerichte, welche diese anwenden, sind unumgänglich, wenn die Rechte der Asylsuchenden in der Praxis gewahrt werden sollen.