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Rayonverbote für Asylsuchende in der Gemeinde Bremgarten (AG) - eine Grundrechtsverletzung?

09.08.2013

Die Asylsuchenden, die in der ehemaligen Truppenunterkunft im aargauischen Bremgarten wohnen, dürfen sich in der Gemeinde nicht frei bewegen. Das Bundesamt für Migration (BFM) betreibt die neue Anlage. Es hat gemeinsam mit der Stadt Bremgarten eine Vereinbarung unterzeichnet. Diese sieht vor, dass die Asylsuchenden zahlreiche Orte in der Gemeinde nicht betreten dürfen. Den Stein ins Rollen gebracht hatte die Menschenrechtsorganisation augenauf, welche sich mit dem Thema seit längerem befasste und die Vereinbarung zwischen dem Bund und Bremgarten schliesslich publik machte.

Aus der Beilage der Vereinbarung gehe hervor, dass den Asylsuchenden auf Wunsch der Stadtbehörden der Zutritt zu total 32 «sensiblen Zonen» untersagt wird, schreibt der Tages-Anzeiger am 6. August 2013. Zu den Tabuzonen für die Asylsuchenden gehören demnach die Badeanlage, die Sportplätze, die Schul- und Kindergartenstandorte sowie die Kirchen mit ihren Vorplätzen, das Casino oder die Mehrzweckhalle.

«Missverständnis» ausgeräumt

Bereits am selben Tag relativierte der Direktor des Bundesamtes für Migration Mario Gattiker, es handle sich um ein Missverständnis. Erstens gehe es nicht um ein Rayonverbot, sondern um Spielregeln für den Zugang zu sensiblen Zonen, und zweitens seien «nur die Schul- und Sportanlagen» der Gemeinde als sensible Zonen definiert worden und nicht 32 Standorte inklusive Bibliothek und Kirchen. Diese Darstellung hat allerdings der Stadtammann von Bremgarten, Raymond Tellenbach, laut «Der Bund» vom 7.8.2013 umgehend zurückgewiesen. Nach einer Aussprache am 8. Aug. 2013 mit einer Delegation des BFM ist der Bremgartener Stadtammann offenbar auf die Version des BFM eingeschwenkt.

Ob es sich nun um 32 Standorte oder «nur die Schul- und Sportanlagen» inklusive Badeanstalt handelt: Die Grundsatzfrage der Rechtmässigkeit einer solchen Einschränkung der Bewegungsfreiheit für Asylsuchende bleibt dieselbe.

Keine gesetzlichen Grundlagen für präventive Rayonverbote

Sind die vom Bundesamt und der Stadt Bremgarten für die Bewohner/innen des Asylzentrums vereinbarten Sperrzonen (Rayonverbote oder Ausgrenzungen von bestimmten Gebieten) eine Zwangsmassnahme, welche das Ausländergesetz vorsieht? Nach letzterem können die Behörden eine Ausgrenzung aussprechen, sofern eine Person keine Aufenthaltsbewilligung hat und die öffentliche Sicherheit oder Ordnung gefährdet, insbesondere wegen Drogenhandels (Art. 74 Abs 1 AuG). In einem Urteil aus dem Jahre 2003 vertrat das Bundesgericht die Meinung, dass diese Zwangsmassnahme auch auf blossen Verdacht hin ausgesprochen werden darf (2A.347/2003, E 2.2). Denkbar ist also, dass die Behörden einen einzelnen Asylsuchenden mit einem Rayonverbot für Schulanlagen belegen, wenn sie ihn verdächtigen, mit Drogen zu handeln.

Im Falle Bremgarten sind die Behörden allerdings einen bedeutenden Schritt weiter gegangen: Sie haben einer ganzen Gruppe von Menschen präventiv eine Ausgrenzung auferlegt, die bestimmte öffentliche Areale, insbesondere Sportplätze und die Badeanstalt, umfasst. Dafür fehlt jede rechtliche Grundlage. Eine solche gesetzliche Grundlage wäre jedoch notwendig, damit es sich bei den Sperrzonen um eine rechtmässige Massnahme handeln könnte. Denn eine Ausgrenzung schränkt die Grundrechte der betroffenen Personen ein, namentlich die Bewegungsfreiheit (Art. 10 BV). Fehlt die gesetzliche Grundlage, so handelt es sich auf jeden Fall um eine verfassungsmässig verbotene Grundrechtsverletzung - noch ganz unabhängig von der Frage der Verhältnismässigkeit der Massnahme.

Indirekte Grundrechtsverletzung

Diese Einschätzung wird offenbar auch vom BFM geteilt. Werde ein einzelner Asylsuchender im Freibad gesehen, passiere im rechtlichen Sinne nichts, sagt BFM-Vertreter Urs von Däniken gegenüber 10vor10. Laut «augenauf» hat das BFM ausserdem zu Protokoll gegeben, ein pauschales Rayonverbot für Flüchtlinge, ohne Begründung im Einzelfall, sei nicht sanktionsberechtigt und auch nicht rechtmässig.

Allerdings ist in der behördlichen Vereinbarung gemäss Medienberichten vorgesehen, dass im Wiederholungsfalle Ausgangsbewilligungen verweigert oder weitere disziplinarische Massnahmen erlassen werden können. Die Rayonverbote lassen sich zwar rechtlich nicht durchsetzen, sie sollen aber eine disziplinarische Wirkung auf der Ebene der «Hausordnung» inklusive Sanktionen in Form noch stärkerer Einschränkungen der Bewegungsfreiheit ermöglichen. Wenn wir in dieser schrägen Logik weiterdenken, wären auch die angedrohten Sanktionen rechtlich nicht durchsetzbar. Das ganze Kartenhaus müsste in sich zusammenfallen, wenn eine solche disziplinarische Sanktion vor Gericht angefochten würde.

Man kann den seltsamen Sachverhalt so interpretieren: Rechtsstaatlich gesehen sind die Sperrzonen unhaltbar. Deshalb hat das pauschale präventive Rayonverbot auch keine rechtliche Wirkung. Das Rayonverbot ist kein echtes, sondern ein vorgetäuschtes Verbot, welche Bewohner/innen des Asylzentrums davon abschrecken soll, ihr Grundrecht auf Bewegungsfreiheit auszuüben. Im Effekt bedeutet dies eine mittelbare unrechtmässige Beeinträchtigung des Grundrechts der Bewegungsfreiheit durch eine abschreckende Massnahme. Es handelt sich also um eine indirekte Grundrechtsverletzung.

Rechtliche Abklärung notwendig

Weniger spektakulär, aber nicht weniger problematisch ist der Umstand, dass die Hausordnung im Asylzentrum Bremgarten eine rigorose Beschränkung der Ausgangszeiten für die Bewohner/innen auf die Tageszeit zwischen 8.00 und 17.00 Uhr vorsieht. Auch dies ist eine gravierende Einschränkung der persönlichen Freiheit und insbesondere der Bewegungsfreiheit, deren Legalität einer seriösen rechtlichen Abklärung bedarf.

Die NZZ vom 9. Aug. 2013 berichtet, dass in den seit längerem bestehenden Bundeszentren Nottwil und Eigenthal analoge Beschränkungen der Bewegungsfreiheit bestehen. Das Bundesamt für Migration wird in der nächsten Zeit weitere Bundeszentren eröffnen, so in Alpnach und in Menzingen, wo dem Vernehmen nach teilweise noch restriktivere Rayonverbote geplant sind.

Derartige Regelungen der Ausgangszeiten wie auch die Pseudo-Rayonverbote dürfen nicht ungeprüft zum Modell für alle Bundeszentren im Asylbereich werden. Umfassende rechtliche Abklärungen dieser Praktiken von unparteiischer Seite sind das Gebot der Stunde.

Die Angelegenheit wirft auch international hohe Wellen. So hat sich Human Rights Watch erstmals seit vielen Jahren mit einem längeren Artikel zu einem schweizerischen Thema geäussert. Es erstaunt nicht, dass in der ausländischen Wahrnehmung die Komponente der rassistischen Segregation, welche in dieser Praxis manifest ist, im Vordergrund steht.

Eindeutige Stellungnahme von Bundesrätin Sommaruga

Eine juristische Klärung der Angelegenheit ist nötig, auch wenn sich Bundesrätin Simonetta Sommaruga in einem informellen Gespräch mit Medienschaffenden kategorisch gegen «ein generelles, präventives Verbot für die Asylsuchenden, die Badeanstalt zu betreten», ausgesprochen hat, wie die NZZ-Online am 9. Aug. 2013 berichtete. Die Bundesrätin bezeichnete die Grundrechte als unverhandelbar. Nun gilt es, diese Positionierung in der Anwendung auf die Hausordnung in den Bundeszentren zu konkretisieren und die praktischen Schlüsse daraus zu ziehen. Es läuft wohl darauf hinaus, dass alle Vereinbarungen zwischen dem Bund und den Standortgemeinden umgeschrieben werden müssen.

Kommentar: Zustimmung schaffen via Vortäuschung eines Verbots?

Nach Angaben der Behörden sind die Sperrzonen erlassen worden, um das friedliche Zusammenleben in der Gemeinde zu erhalten. Man habe dafür sorgen wollen, dass die Bevölkerung die Entscheidung mittrage, sagen die Verantwortlichen. Dem kann mit Moreno Casasola, Geschäftsführer von Solidarité sans frontière entgegen gehalten werden: «Ein Asylwesen zu gewährleisten ist ein gesellschaftlicher Konsens, der Menschen, die an Leib und Leben bedroht sind, beschützt. Somit ist die Gewährleistung unser aller Pflicht. Und Pflichten behagen zwar nie allen, trotzdem müssen sie im Kollektiv wahrgenommen werden. Dabei geht es nicht an, dass „die Bevölkerung“ ihrer Pflicht nur dann nachkommen möchte (sofern dies überhaupt stimmt...), wenn Konditionen zu Lasten der betroffenen Bevölkerungsgruppe aufgestellt werden. Dies ist die Definition von Diskriminierung. Oder fänden Sie es angebracht, wenn ich Einspruch gegen eine geplante Alterssiedlung erheben und deren Errichtung nur dann akzeptieren würde, wenn gewährleistet wäre, dass die dort lebenden Menschen nicht mehr in die Migros (oder Coop, etc.) gehen dürfen, weil ich mich an der Kasse durch sie aufgehalten fühle?»

Es geht nicht an, die ängstliche Abwehrhaltung der Bürger/innen aufweichen und Zustimmung für ein Asylzentrum erheischen zu wollen, indem man die Vorurteile gegenüber den Asylsuchenden noch bestärkt. Denn die Sperrzonen vermitteln die Botschaft, alle Asylsuchenden seien gefährliche Leute. Dass die Behörden für dieses Vorgehen sogar bereit sind, eine indirekte Grundrechtsverletzung in Kauf zu nehmen, macht die Massnahme vollends unakteptabel.

Sollte das BFM an diesen rechtlich unhaltbaren Rayonverboten festhalten, so würde das Asylwesen um einen sehr gefährlichen Irrweg bereichert, der allen vor Augen führt, wie leichtfertig die Behörden dazu bereit sind, zugunsten des diffusen Sicherheitsgefühls eines Teils der Bevölkerung die Grundrechte eines andern Teils zu opfern, - auch wenn das Rayonverbot zum Zwecke des Wohlgefühls der einen und der Abschreckung der andern nur vorgetäuscht wird.

Dokumentation