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Zum Eheverbot für Sans Papiers

10.06.2010

Seit dem 1. Januar 2011 können in der Schweiz nur noch Personen heiraten, die ihren rechtmässigen Aufenthalt belegen können. Die entsprechenden geänderten Artikel des Zivilgesetzbuches (ZGB Art. 98 Abs. 4 und Art. 99 Abs. 4) sind seither in Kraft. Damit gilt ein Eheverbot für Sans Papiers und ihre Partner oder Partnerinnen. Was bedeutet dies für die betroffenen heiratswilligen Paare?

Nicht jede Ehe, die von Papierlosen angestrebt wird, ist eine Scheinehe

Festzuhalten bleibt, dass die neue Regelung für die betroffenen Personen einen starken Eingriff in ihre international verbrieften Grundrechte bedeutet. Die Europäische Menschenrechtskonvention hält in Artikel 12 das Recht auf Eheschliessung fest. Er besagt: «Männer und Frauen im heiratsfähigen Alter haben das Recht, nach den innerstaatlichen Gesetzen, welche die Ausübung dieses Rechts regeln, eine Ehe einzugehen und eine Familie zu gründen.» Das Recht auf Ehefreiheit ist zudem in UNO-Pakt II (Art. 23) und in der Schweizerischen Bundesverfassung (Art. 14) festgehalten. Richtigerweise hält deshalb der emeritierte Berner Professor Jörg Paul Müller in einer Stellungnahme zuhanden der Beratungsstelle für Sans Papiers fest, dass auch die neue Bestimmung verfassungskonform ausgelegt werden muss. Dies bedeutet konkret, dass die verantwortlichen Standesbeamten und Richter im Einzelfall abwägen müssen, ob das gesetzliche Ehehindernis für die illegal anwesende Person so gewichtig ist, dass es gegenüber den Anforderungen des Grund‐ und Menschenrechts auf Heirat überwiegt. Das Eheverbot für Papierlose und ihre Partner kann also weiterhin nur dann gelten, wenn eine Ehe aus dem alleinigen Grund geschlossen wird, ein Bleiberecht zu erwirken.

Aus der Stellungnahme:
«Das bedeutet etwa, dass das allgemeine Ziel des Kampfs gegen Scheinehen trotz der neuen Bestimmungen des ZGB nicht geltend gemacht werden kann gegenüber Heiratswilligen, die klar (auch) andere Motive verfolgen als die Umgehung der Ausländergesetzgebung. Dies trifft für jedes Paar zu, das glaubhaft macht, dass ein wirklicher Ehebund erstrebt wird, weil z.B. eine beständige Liebesbeziehung vorliegt oder erwarteten oder lebenden gemeinsamen Kindern eine Familienheimat geboten werden soll. Es darf auch nicht übersehen werden, dass bei einer Verweigerung der Trauung nicht nur die Ehefreiheit eines Ausländers, sondern auch die entsprechende Freiheit des andern, legal anwesenden Partners (sei er oder sie schweizerischer Nationalität oder nicht) zentral betroffen ist. Die Erfahrung zeigt, dass auf Seiten der legal Anwesenden die Motive des Eheschlusses auch nicht immer so eindeutig sind, wie es die Theorie haben möchte: Gerade gegenüber asylsuchenden Partnern ist die Motivation zur Ehe oft eine Mischung von Erbarmen, Zuneigung, echter Liebe, vielleicht auch Gleichgültigkeit. In der Rechtslehre wird vertreten, dass keine Scheinehe vorliegen kann, wenn auch nur einer der Beteiligten aus legitimen Gründen den Eheabschluss sucht.»

Dokumentation

Zur Entstehungsgeschichte der neuen Gesetzesbestimmungen

Personen ohne gültigen Aufenthaltsstatus soll es künftig generell nicht mehr erlaubt sein, in der Schweiz zu heiraten. Nach dem Nationalrat hatte sich am 25. Mai 2009 auch der Ständerat mit 27 zu 12 Stimmen für eine Änderung der Vorschriften über die Eheschliessung ausgesprochen. Die Räte haben mit diesem Entscheid aus menschenrechtlicher Perspektive allzu leichtfertig für die massive Einschränkung eines zentralen Grundrechts votiert. 

Gegen das Eheverbot führten im Plenum insbesondere linke Vertreterinnen erneut plausible Argumente ins Feld. Ständerätin Anita Fetz (SP, BS) etwa meinte, das Unglaubliche an der Vorlage sei, dass sie allen Personen mit illegalem Status in der Schweiz unterstelle, nur zum Schein eine Ehe eingehen zu wollen. Demgegenüber betonte etwa Hansheiri Inderkum (CVP, UR), wie jedes Grundrecht könne auch das Recht auf Ehe unter klar definierten Voraussetzungen eingeschränkt werden. Ähnliche Argumente und gegenteilige Vorstellungen hatten sich im Nationalrat bereits in der Frühlingssession gegenüber gestanden. Mit grosser Mehrheit (104 gegen 68 Stimmen) hatte damals die Grosse Kammer die Änderung ebenfalls befürwortet.

Zurück geht die Vorlage auf eine parlamentarische Initiative von Toni Brunner (SVP, SG) aus dem Jahr 2005. Mit dem Ziel, sogenannte «Scheinehen», (genauer: Ehen, die lediglich zum Zwecke der Erschleichung einer Aufenthaltsbewilligung eingegangen werden) zu verhindern, sieht diese vor, dass ausländische Staatsangehörige nur heiraten dürfen, wenn sie einen rechtmässigen Aufenthalt in der Schweiz nachweisen können. Darüber hinaus haben die Zivilstandsbehörden gemäss den nun geänderten Vorschriften künftig Zugriff auf das Zentrale Migrationsinformationssystem (Zemis). Sie sind in Zukunft gar verpflichtet, diejenigen Verlobten, die keinen rechtmässigen Aufenthalt in der Schweiz nachweisen können, zu melden.

Mittel zur Bekämpfung von Scheinehen

Mit der Vorlage wird faktisch den Sans Papiers generell die Inanspruchnahme des Rechts auf Ehe, wie es durch die  Bundesverfassung (Art. 14) oder auch durch die Europäische Menschenrechtskonvention EMRK (Art. 12) garantiert ist, verunmöglicht. Für mindestens 100'000 Personen, die - so die Schätzungen aus dem Jahr 2005 – als Sans Papiers zum Teil seit Jahren in der Schweiz leben, bedeutet die neue Regelung ein generelles Heiratsverbot und eine zusätzliche Diskriminierung. An der Tatsache, dass diese Menschen nach wie vor in unserem Land leben und arbeiten, ändert die Vorlage hingegen nichts. Aus Sicht der Menschenrechte ist die grosse Akzeptanz der Vorlage in den Räten sehr unverständlich, weil die bürgerlichen Parlamentarier/innen unter anderem auch in Kauf nehmen, dass Schweizerinnen und Schweizer in ihrer Ehefreiheit eingeschränkt werden und einen geliebten Menschen nicht mehr heiraten können, wenn dieser keine Papiere hat.

Justizministerin: «keine unüberwindbaren Hindernisse für das Eingehen einer Ehe»

Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf führte im Nationalrat aus, dass die Vorlage im Vernehmlassungsverfahren auf breite Zustimmung gestossen sei: 21 Kantone, fünf Parteien sowie die Fachbehörden des Zivilstandswesen und der Gemeindeverband haben sich demnach für die vorgeschlagenen Änderungen ausgesprochen. Die Vorlage sei mit der Bundesverfassung und der EMRK vereinbar, so die Justizministerin. Sie liess allerdings auch anklingen, dass «selbstverständlich (…) bei der Anwendung im Einzelfall darauf zu achten (sei), dass die verfassungsmässigen Rechte gewahrt bleiben und keine unüberwindbaren Hindernisse für das Eingehen einer Ehe oder einer eingetragenen Partnerschaft eingeführt werden.»

Es bleibt zu hoffen, dass die verantwortlichen Behördenvertreter/innen sich in ihrer täglichen Praxis dieser Aussage der Justizministerin besinnen werden.

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