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General Comment Nr. 21 des UNO-Kinderrechtsausschusses zu Kindern in Strassensituationen

06.05.2021

In der Allgemeinen Bemerkung Nr. 21 des UNO-Ausschusses für Kinderrechte vom 21. Juni 2017 wird die UNO-Kinderrechtskonvention erstmals konkret bezüglich Kindern in Strassensituationen ausgelegt – also mit Blick auf Minderjährige, die auf der Strasse leben oder für die der öffentliche Raum aus anderen Gründen eine wichtige Rolle für ihr tägliches Leben und ihre Identität spielt. Dem Dokument ging die Konsultation von 327 Kindern und Jugendlichen aus 32 Ländern sowie Vertreter*innen der Zivilgesellschaft voraus. Es formuliert massgebliche Leitlinien für die Entwicklung umfassender, langfristiger nationaler Strategien für Kinder in Strassensituationen und vertritt eine ganzheitliche Sichtweise. Es befasst sich sowohl mit Prävention, damit Minderjährige nicht in Strassensituationen geraten, als auch mit Reaktion, also den Massnahmen zum Schutz von bereits in Strassensituationen lebenden Kindern und Jugendlichen.

Dem Dokument zugrunde liegt die Annahme, dass Kinder als Rechtsträger*innen respektiert und, wenn möglich, ihre Meinungen bei Entscheidungen immer miteinbezogen werden sollen. Dieser Ansatz gewährleistet die Achtung der Würde, des Lebens, des Überlebens, des Wohlergehens, der Gesundheit, der Entwicklung, der Teilhabe und der Nichtdiskriminierung des Kindes als Rechtssubjekt. Im Fokus steht, die Umsetzung von Kinderrechten zu fördern und die Kinder in ihrer Fähigkeit zu bestärken, ihre eigenen Rechte geltend zu machen. Bei der Anordnung von Massnahmen müssen die Behörden der individuellen Situation der Kinder stets Rechnung tragen – pauschale Interventionen verfehlen oft das Ziel eines effektiven Rechtsschutzes.

In einem ersten Teil geht die Allgemeine Bemerkung Nr. 21 auf die Umsetzung der Rechte von Kindern in Strassensituationen auf nationaler Ebene ein. Die einzelnen Mitgliedsstaaten werden dazu aufgefordert, sektorenübergreifende und langfristige Strategien zum Rechtsschutz der betroffenen Kinder zu verabschieden und die dafür notwendigen finanziellen Ressourcen zur Verfügung zu stellen. Als Grundlage für alle praktischen Präventions- und Reaktionsmassnahmen ist ein ganzheitliches System zum Schutz der Kinder notwendig. Die Staaten sollten prüfen, wie Gesetze und Politiken verbessert werden können: Erlasse, welche die betroffenen Kinder diskriminieren, sollen abgeschafft und von verschiedenen Akteur*innen gemeinsam erarbeitete Rechtsdokumente zu deren Schutz in Kraft treten und umgesetzt werden.

Der Staat fungiert zwar als Hauptpflichtträger in Bezug auf die Rechte der Kinder in Strassensituationen. Er hat jedoch die Zivilgesellschaft als komplementäre Akteurin bei der Bereitstellung von Dienstleistungen für Betroffene einzusetzen. Die Umsetzung der Kinderrechte für Kinder in Strassensituationen erfolgt dementsprechend dezentral und partizipativ. Die spezifischen Dienstleistungen, welche die Betroffenen benötigen, müssen ihre Bedürfnisse in der ganzen Bandbreite abdecken und auch wirklich bei ihnen ankommen. Auch haben die Staaten sicherzustellen, dass betroffene Kinder den Zugang zu grundlegenden Dienstleistungen wie Gesundheitsversorgung, Bildung, Justiz, Kultur und Sport erhalten. Weiter sollte jeder Staat in eine qualitativ hochwertige Grundausbildung in den Bereichen Rechte und Schutz von Kindern in Strassensituationen investieren. Diese soll allen Akteur*innen zugutekommen, welche mit betroffenen Kindern und Jugendlichen in Kontakt kommen – von Richter*innen über Polizist*innen bis hin zu Streetworker*innen. Die Umsetzung des Rechts, der Politik und spezifischer Massnahmen soll dabei auf transparenten Mechanismen beruhen, anhand welcher sie konsequent überwacht wird.

Der zweite Teil der Allgemeinen Bemerkung Nr. 21 geht auf einzelne Artikel der UNO-Kinderrechtskonvention und ihre Begleitdokumente ein, welche es auf Kinder in Strassensituationen anzuwenden gilt. Beleuchtet werden dabei insbesondere die Nichtdiskriminierung; das Kindeswohl, das Recht auf Leben, Überleben und Entwicklung; das Recht, gehört und ernst genommen zu werden oder das Recht, bei der Ausübung der eigenen Rechte von relevanten Bezugspersonen adäquat begleitet zu werden. Weiter wird die Wahrnehmung von Bürger*innenrechten, vom Kindesschutz, von angemessenen Lebensstandards, Gesundheit, Schutz vor Gewalt sowie die Teilhabe an Bildungs-, Kultur- und Freizeitaktivitäten diskutiert. Dabei wird klar, dass das Recht auf Leben nicht nur das physische Überleben, sondern ein Leben in Würde gewährleisten soll, bei welchem Kinder in Strassensituationen als vollwertige Bürger*innen wahrgenommen werden. Auch wird deutlich, dass es sowohl auf der institutionellen als auch auf der lokal-gesellschaftlichen Ebene zahlreiche zusammenspielende Massnahmen zum Schutz und zur Ermächtigung der Betroffenen braucht.

Zum Schluss fordert der UNO-Kinderrechtsausschuss zur internationalen Zusammenarbeit beim Schutz von Kindern in Strassensituationen auf. Die Kooperation erfordere die Beteiligung von Staaten, Organen und Organisationen der Vereinten Nationen, regionalen und zivilgesellschaftlichen Organisationen – einschliesslich von Kindern geführter Organisationen –, Kindern, dem Privatsektor sowie diversen Akteur*innen aus der Berufswelt.

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