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General Comment Nr. 24 des UNO-Kinderrechtsausschusses zur Jugendstrafrechtspflege

20.10.2021

Am 11. November 2019 publizierte der UNO-Kinderrechtsausschuss seinen General Comment Nr. 24 zu den Kinderrechten im Jugendstrafrecht. Bereits im Jahr 2007 hatte der Kinderrechtsausschuss der Vereinten Nationen mit dem General Comment Nr. 10 Empfehlungen zu dieser Thematik veröffentlicht. Rund zwölf Jahre später sah er sich aufgrund des Fortschritts sowie den Entwicklungen in der Forschung dazu veranlasst, die Thematik erneut aufzugreifen. Das UNO-Gremium plädiert im Rahmen der Jugendstrafrechtspflege dafür, die Situation der jungen Betroffenen umfassend zu berücksichtigen und die ihnen drohenden Schäden so gering wie möglich zu halten.

Kinderstrafrecht ist nicht Erwachsenenstrafrecht

Zahlreiche Vertragsstaaten kennen ein Jugendstrafrecht, welches minderjährige Tatverdächtige und Täter*innen anders behandelt als Erwachsene. Es besteht jedoch Uneinigkeit darüber, ab welchem Alter Kinder straffällig werden können und ob besonders schwere Vergehen ausnahmsweise nach dem Erwachsenenstrafrecht behandelt werden sollen.

Der Kinderrechtsausschuss betont im Umgang mit strafverdächtigen und straffälligen Minderjährigen die Wichtigkeit separater Institutionen und eigens ausgebildeter Richter*innen und Behörden. Er empfiehlt zudem ein Mindestalter für die Strafmündigkeit, welches die jüngsten entwicklungspsychologischen Erkenntnisse aus der Forschung berücksichtigt. Hierzu definiert er als absolutes Minimum ein Alter von 14 Jahren. Er empfiehlt den Vertragsstaaten jedoch höhere Mindestalter, namentlich 15 oder 16 Jahre. Auch sei es allen Vertragsstaaten verboten, Minderjährige zu Körperstrafen, lebenslänglichen Gefängnisstrafen oder sogar der Todesstrafe zu verurteilen. Für nicht strafmündige Kinder lohne sich schliesslich eine ressourcenstärkende Prävention, die im Umfeld von besonders belasteten Familien ansetzt.

Alternativen zu Gerichtsverfahren und Freiheitsentzug

Der Kinderrechtsausschuss plädiert weiter dafür, Minderjährigen wann immer möglich ein Gerichtsverfahren zu ersparen. Alternativ dazu könne aussergerichtlich das Verrichten gemeinnütziger Arbeit, Supervision oder die Wiedergutmachung für die Opfer vereinbart werden. Diese Massnahmen, auch als «diversion measures» bezeichnet, müssten gemäss Artikel 40 Absatz 3 der UNO-Kinderrechtskonvention ein integraler Bestandteil jeder Jugendstrafrechtspflege darstellen. Wie dieser Grundsatz gesetzlich verankert und umgesetzt wird, müsse je nach lokalen Gegebenheiten variieren und sei deshalb den Vertragsstaaten überlassen. Komme es trotzdem zu einem Gerichtsverfahren, sind laut dem Ausschuss in jedem Fall die Garantien eines fairen Verfahrens gemäss Artikel 40 Absatz 2 – etwa das rechtliche Gehör, das Recht auf einen Rechtsbeistand oder der Schutz vor Diskriminierungen aller Art – zu gewährleisten.

Ein besonders sensibler Bereich im Jugendstrafrecht ist der Freiheitsentzug. In jedem Fall müssten Minderjährige vor willkürlichen Verhaftungen geschützt werden. Gemäss dem UNO-Kinderrechtsausschuss darf diese Sanktion nur als ultima ratio, wenn alle anderen Möglichkeiten ausgeschöpft sind, zur Anwendung kommen. Eine Freiheitsstrafe wirkt sich auf die soziale Entwicklung und die Reintegration in die Gesellschaft von Jugendlichen stark negativ aus – je länger die Strafe dauert, desto ausgeprägter sind die belastenden Auswirkungen.

Ist eine Freiheitsstrafe unumgänglich, sollte sie nur für ältere Jugendliche angewendet, auf die minimale Dauer beschränkt und sobald als möglich in eine «diversion measure» umgewandelt werden. Von einer Freiheitsstrafe betroffenen Jugendlichen sind insbesondere ihre Verfahrensrechte, etwa der Zugang zu einem Rechtsbeistand und das Recht auf Anfechtung der Haftstrafe, zu gewährleisten. Mit Besorgnis stellt der Kinderrechtsausschuss schliesslich fest, dass in manchen Vertragsstaaten auch Minderjährige – unnötig lange – in Untersuchungshaft verbringen. Er fordert die Vertragsstaaten auf, eindeutige und strenge Kriterien für die Anordnung einer Untersuchungshaft gegenüber Kindern und Jugendlichen festzulegen.

Einbezug sozialer und kultureller Faktoren

Schliesslich plädiert der UNO-Kinderrechtsausschuss dafür, Straftaten von Minderjährigen aus einer systemischen, interdisziplinären Perspektive zu betrachten. Der Umgang mit einer Rechtsverletzung habe immer in einem angemessenen Verhältnis zu den Umständen und der Schwere der Straftat sowie anderen persönlichen Umständen (Alter, Schuldfähigkeit, psychischer Zustand) und den Bedürfnissen der Gesellschaft zu stehen. Hierzu brauche es geeignete Institutionen, Personal und eine klare Gesetzgebung.

Je nach Staat könnten zudem pluralistische Justizsysteme – etwa Gewohnheits-, Stammesrecht oder andere ausserstaatliche Rechtssysteme – zur Konfliktlösung beigezogen werden, die oft schneller agieren als staatliche Gerichte und auf kulturelle Besonderheiten zugeschnitten sind. Schliesslich sei für den Umgang mit straffälligen Jugendlichen der Justizapparat nicht das einzige geeignete Mittel: Die Vertragsstaaten haben sich um eine aktive Zusammenarbeit von Behörden, Nichtregierungsorganisationen und Medien zu bemühen, um in diesem Rahmen etwa die Schulbildung von Kindern oder andere Präventionskampagnen voranzutreiben. Nur so könne sichergestellt werden, dass alle Aspekte der UNO-Kinderrechtskonvention für Minderjährige, welche mit dem Jugendstrafrecht in Berührung kommen, effektiv eingehalten werden.