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Keine Verletzung des Rechts auf ein faires Verfahren

16.01.2018

(Sachverhalt teilweise von Schutzfaktor M übernommen)

Eine gehörlose Schweizerin rügte vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte eine Verletzung von Art. 6 EMRK (Recht auf ein faires Verfahren), weil ihr anlässlich einer Schlichtungsverhandlung ein unentgeltlicher Rechtsbeistand und die Verfahrenskostenübernahme verweigert wurden. Die Richter/innen des EGMR erblickten darin allerdings keine Verletzung von Art. 6 EMRK.

Sachverhalt

Die 1964 geborene K. ist geschieden und Mutter zweier Kinder, für die sie alleine sorgt. Sie lebt von der Sozialhilfe und ist von Geburt an gehörlos. Am 20. Juli 2007 schloss sie einen Mietvertrag für eine Wohnung ab, die ihr am 12. Januar 2010 von der Liegenschaftsverwaltung mit einer schriftlichen Begründung gekündigt wurde. Gleichzeitig erlaubte sie, dass K. in der Wohnung bleiben dürfe, wenn sie sich bereit erkläre, diese bis 31. Oktober 2010 zu verlassen. K. war damit nicht einverstanden.

Mit Hilfe eines Anwalts focht sie die Kündigung bei der Schlichtungsbehörde des Bezirks Uster (Kanton Zürich) an und beantragte die Gewährung einer unentgeltlichen Rechtsvertretung sowie Prozessführung. Da für die Schlichtungsverhandlung vom 8. November 2010 keine zertifizierte Gebärdendolmetscherin gefunden werden konnte, verschob die Schlichtungsbehörde den Termin. Die Liegenschaftsverwaltung widerrief schliesslich ihre Kündigung und K. zog ihre Beschwerde zurück.

Die Schlichtungsbehörde schloss deshalb das Verfahren und entschied, K. die unentgeltliche Rechtsvertretung sowie Prozessführung nicht zu gewähren. Dagegen beschwerte sich K. beim Mietgericht. Dieses wies die Beschwerde am 29. Dezember 2010 ab und auferlegte K. die Verfahrenskosten von CHF 500. Das Gericht begründete seinen Entscheid damit, dass ein rechtlicher Beistand vor der Schlichtungsbehörde nicht notwendig gewesen sei. Die Gehörlosigkeit reiche für sich alleine nicht aus, um einen rechtlichen Beistand zu rechtfertigen. Eine Unterstützung durch eine/n Gebärdendolmetscher/in wäre im vorliegenden Fall zweckdienlicher gewesen.

Die gegen diesen Entscheid erhobene Beschwerde wies das Bundesgericht am 11. April 2011 ab. K. gelangte daraufhin im Mai 2011 an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR). Sie berief sich dabei auf Artikel 6 EMRK (Recht auf ein faires Verfahren). Die Klägerin führt an, sie habe keine unentgeltliche Rechtshilfe erhalten und sei nicht von den Gerichtskosten befreit worden. Sie bemängelt fehlende Rechtsgleichheit, da die Gegenseite von Rechtsprofis vertreten worden sei.

Entscheid des EGMR

Der EGMR betont in seinem Urteil vom Januar 2018, dass das Recht auf ein faires Verfahren (Artikel 6 Abs. 1 EMRK) unabhängig von der Art des für den Rechtsstreit maßgeblichen Rechts und der für die Entscheidung zuständigen Behörde gilt. Also grundsätzlich auch in Schlichtungsverfahren in zivilrechtlichen Streitigkeiten. Eine Einschränkung von Art. 6 Abs. 1 EMRK sei nur möglich, wenn sie einem legitimen Ziel dient und verhältnismässig ist. Daraus könne allerdings nicht geschlossen werden, dass eine Prozesskostenhilfe in allen zivilrechtlichen Verfahren gewährt werden müsse. Eine Einschränkung aufgrund prozessökonomischer Überlegungen ist somit möglich, wenn sie verhältnismässig ausfällt.

Bezogen auf den Fall von Frau K. halten die Richter/innen fest, dass die Beschwerdeführerin durch die Verweigerung der unentgeltlichen Rechtshilfe eine gewisse Einschränkung ihres Rechts auf Zugang zu einem Gericht erlitten habe. Allerdings sei der Beizug einer Rechtsvertretung im Schlichtungsverfahren nicht vorgeschrieben und der Fall werfe weder auf tatsächlicher noch auf rechtlicher Ebene komplexe Fragestellungen auf. Insbesondere habe die Immobilienverwaltung keine Schritte unternommen, um die Kündigung auch tatsächlich umzusetzen. Dementsprechend sei K. nicht ernsthaft in ihrer Rechtsposition und ihren Interessen bedroht gewesen. Abgesehen von den Kosten für die Rechtsberatung und den Gerichtskosten sei der Fall ohne negative Folgen beigelegt worden.

Im Zusammenhang mit der Gehörlosigkeit von Frau K. hält der EGMR fest, dass dieser Umstand – unabhängig von der sachlichen und rechtlichen Komplexität des Falls - zusätzliche Schwierigkeiten bei einem Verfahren bewirken könne. Allerdings habe die Gehörlosigkeit der Klägerin im vorliegenden Fall keine konkreten Konsequenzen gehabt und sei daher für die Beurteilung nicht relevant.

Die bemängelte fehlende Rechtsgleichheit erachten die Richter/innen des EGMR als offensichtlich unbegründet. Es bestehe kein offensichtliches Ungleichgewicht zwischen der Klägerin, vertreten durch einen Rechtsanwalt, und der Gegenpartei, vertreten durch eine Immobilienverwaltung. In diesem Punkt weist das Gericht die Beschwerde zurück.

Es liegt somit kein Verstoss gegen Art. 6 Abs. 1 ERMK vor.

Dokumentation