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Hungerstreik eines Häftlings

27.03.2013

Urteil Rappaz gegen die Schweiz vom 26. März 2013 (Nr. 73175/10)
Recht auf Leben (Art. 2 EMRK); Verbot der Folter (Art. 3 EMRK); Weigerung, einen Häftling im Hungerstreik freizulassen; Zwangsernährung

  • Urteil
    auf der Website des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (französisch)

Zusammenfassung des Bundesamtes für Justiz:

«Unter Berufung auf Art. 2 und 3 EMRK rügte der Beschwerdeführer, der wegen verschiedener Delikte inhaftiert war und sich zur Erwirkung seiner Freilassung im Hungerstreik befand, dass die nationalen Behörden sein Leben gefährdeten, indem sie sich trotz seiner Entscheidung zur Fortführung seines Hungerstreiks weigerten, ihn freizulassen, und dass die Weigerung, ihn freizulassen, eine unmenschliche und erniedrigende Behandlung darstellte. Der Gerichtshof stellte zunächst fest, dass der Beschwerdeführer in der Haft nicht gestorben war und dass der begonnene Hungerstreik nicht dazu bestimmt war, seinem Leben ein Ende zu setzen, sondern Druck auf die nationalen Behörden auszuüben. Die Konsequenzen, welche der Hungerstreik eines Häftlings für dessen Gesundheit haben könne, ziehe keine Verletzung der EMRK nach sich, wenn die Behörden die Situation angemessen untersucht und damit ordnungsgemäss umgegangen waren. Vorliegend hätten die Behörden unverzüglich das Gesundheitsrisiko abgeklärt und Massnahmen ergriffen – namentlich medizinische Überwachung, Verlegung ins Spital und Anordnung der Zwangsernährung. Dies habe den Anforderungen von Art. 2 EMRK entsprochen. Die physischen und psychischen Leiden des Beschwerdeführers (Art. 3 EMRK) seien im Übrigen die direkte Konsequenz seiner Entscheidung, sich nicht mehr zu ernähren, und die erneuten Inhaftierungen des Beschwerdeführers widersprachen Art. 3 EMRK nicht. Des Weiteren sei nicht erwiesen, dass der Entscheid zur Zwangsernährung vollzogen worden sei. Zudem habe dieser Entscheid einer medizinischen Notwendigkeit entsprochen und es habe genügende verfahrensrechtliche Garantien
gegeben. Schliesslich gebe es keine Gründe zur Annahme, dass im Fall des Vollzugs des Entscheides die praktischen Modalitäten des Vollzugs nicht Art. 3 EMRK entsprochen hätten. Unzulässigkeit infolge offensichtlicher Unbegründetheit (Mehrheit).»