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Unverjährbarkeit sexueller und pornografischer Straftaten an Kindern

05.11.2012

 

Schwerer sexueller Missbrauch von Kindern soll unverjährbar sein, wenn das Opfer weniger als 12 Jahre alt ist. Der Bundesrat hat auf den 1. Januar 2013 Bestimmungen im Strafgesetzbuch und im Militärstrafrecht in Kraft gesetzt, die den Verfassungsartikel konkretisieren, den Volk und Stände am 30. November 2008 mit der Unverjährbarkeitsinitiative angenommen hatten. Damit haben Bundesrat und Parlament den grundrechtlich problematischen Initiativtexts der Volksinitiative von Marche Blanche umgesetzt.

Die Initiative war im November 2008 bei einer Volksabstimmung mit 51,9 Prozent Ja-Stimmen angenommen worden. Sie hatte einen Verfassungsartikel 123 b gefordert, welcher die «Unverjährbarkeit der Strafverfolgung und der Strafe bei sexuellen und bei pornografischen Straftaten an Kindern vor der Pubertät» festschreibt.

Vorschläge des Bundesrates

Ursprünglich war vorgesehen gewesen, dass die Unverjährbarkeit nur dann zum Zug kommt, wenn das Opfer 10 Jahre alt oder jünger ist. Nach der Vernehmlassung hatte Justizministerin Simonetta Sommaruga diesen Vorschlag des Bundesrates zur Umsetzung der Verjährungsinitiative jedoch angepasst. In der Vernehmlassung hatten namentlich Ärzte/-innen die Vorlage kritisiert, weil die Opfer verhältnismässig oft zwischen 5 bis 6 Jahre oder zwischen 11 bis 12 Jahre alt sind.

Die Altersgrenze von 12 Jahren gewährleiste einen angemessenen Schutz, sagte Justizministerin Simonetta Sommaruga. Eine noch höhere Alterslimite (wie sie unter anderem von Ärzteseite gefordert wurde) sei angesichts des Ziels der Initiative, die sehr jungen Kinder besser zu schützen, nicht zweckmässig. Für Sexualdelikte, die an über 12-jährigen Kindern begangen werden, beträgt die Verjährungsfrist wie bisher 15 Jahre.

Die Bestimmung soll auch auf Delikte anwendbar sein, welche vor der Abstimmung vom November 2008 verübt wurden. Der Bundesrat konkretisiert in seinem Entwurf zudem den Begriff «sexuelle und pornografisch Straftaten». Als solche sollen sexuelle Handlungen mit Kindern, sexuelle Nötigung, Vergewaltigung, Schändung, sexuelle Handlungen mit Anstaltspfleglingen, Gefangenen oder Beschuldigten sowie Ausnützung der Notlage gelten. Die Unverjährbarkeit soll ferner nur für volljährige Täter gelten. Ist der Täter minderjährig, soll das Opfer nur bis zum 25. Altersjahr Anzeige erstatten können. Im Nationalrat forderten die SVP und einige Vertreter/innen der CVP ohne Erfolg, dass die Unverjährbarkeit auch auf junge Täter/innen angewendet werden soll.

Dokumentation

Volksabstimmung

Am 30. November 2008 hat das Schweizer Stimmvolk die Volksinitiative «für die Unverjährbarkeit pornografischer Straftaten an Kindern» mit 51,9 Prozent Ja-Stimmen überraschend angenommen. Die Mehrheit der Stimmbürger/innen hat damit emotionalen Argumenten den Vorrang gegeben und die Einwände von Rechtsexperten nicht gelten lassen. Bundesrat und Parlament hatten die Initiative nicht unterstützt, allerdings einen indirekten Gegenvorschlag unterbreitet. Dieser hatte vorgesehen, dass entsprechende Taten bis zum 33. Altersjahr der Opfer angeklagt werden können. 

Justizministerin Eveline Widmer-Schlumpf sprach sich am 30. November 2008 vor den Medien für eine rasche Umsetzung der Initiative aus. Nötig ist ein Umsetzungsgesetz, das den Initiativtext praxistauglich auslegt. Für Diskussionen werden dabei die unklaren juristischen Begriffe des Initiativtexts sorgen: Wirksam ist die Initiative für Kinder «vor der Pubertät». Wann ein Kind aber in die über längere Zeit andauernde Pubertät kommt, ist individuell sehr unterschiedlich. Auslegungsbedürftig ist auch, was «pornografische» Straftaten sind. Zudem schliesst die Initiative anders als der nun überflüssig gewordene Gegenvorschlag von Bundesrat und Parlament die schwere Misshandlung von Kindern nicht ein. Dies wird das Parlament allerdings nachholen.

Vorgeschichte

Nach dem Nationalrat hatte in der Sommersession 2008 auch der Ständerat dem indirekten Gegenvorschlag des Bundesrates zugestimmt und beschlossen, dass Personen, welche im Kindesalter Opfer von Sexualdelikten werden, bis zum 33. Altersjahr Klage gegen ihren Peiniger einreichen können. 

Die geltende Regelung, wonach die Verjährungsfrist bei sexuellen Handlungen und bei weiteren schweren Straftaten gegen unter 16-jährige Kinder in jedem Fall mindestens bis zum 25. Altersjahr des Opfers dauert, sei ungenügend, hiess es im Parlament von links bis rechts. Die Opfer brauchten je nachdem mehr Zeit, um das Erlittene verarbeiten und über eine Anzeige entscheiden zu können.

Dennoch wollte die Mehrheit des Nationalrates nicht so weit gehen wie das Initiativkomitee. Das Volksbegehren sei unklar formuliert, erläuterte Kommissionssprecher Ruedi Aeschbacher (EVP, ZH). Auch sei Unverjährbarkeit für solche Taten unverhältnismässig, gelte dieses Institut doch nur für schwerste Delikte wie Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder terroristische Handlungen. Weiter könne sich die Aufhebung der Verjährungsfrist für das Opfer letztlich kontraproduktiv auswirken, weil die Beweiserhebung und damit auch eine Verurteilung des Täters mit der Zeit immer schwieriger werde. Und schliesslich müsse auch im Strafrecht «irgendwann einfach Schluss sein» und vergeben werden, sagte Aeschbacher an die Adresse der SVP, deren Vertreter sich mehrheitlich für die Unverjährbarkeit ausgesprochen hatten. 

Dokumentation

Weiterführende Informationen

    • Webseite von Marche Blanche (online nicht mehr verfügbar)
    • Dreisprachige Internetplattform www.schau-hin.ch
      Informationen und Rat für direkt und indirekt Betroffene vom Bündnis zur Prävention von sexueller Gewalt an Kindern und Jugendlichen