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Bundesrat nimmt Stellung zu den Empfehlungen des Europäischen Anti-Folter-Ausschusses

26.10.2012

Im Kanton Waadt und in Genf haben Polizisten mehrfach in übertriebener Weise Gewalt angewandt, die Haftbedingungen im Genfer Gefängnis Champ-Dollon sind zudem stark verbesserungsfähig. Zu diesem Schluss kommt der «Europäische Ausschuss zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe (CPT)».

Hintergrund der in einem Bericht zusammengefassten Empfehlungen an die Schweiz ist der Besuch einer 10-köpfigen Delegation des CPT im Oktober 2011 in Haftanstalten in sechs verschiedenen Kantonen (vgl. Artikel auf Humanrights.ch vom 27. Oktober 2011). Alle vier Jahre nimmt der CPT eine solche Prüfung der Schweizer Gefängnis- und Haftanstalten vor.

Grundsätzlich werden in der Schweiz inhaftierte Personen in den meisten Fällen korrekt behandelt, hält der CPT im Bericht zu den Besuchen im Jahr 2011 fest. Er empfiehlt aber insbesondere bezogen auf die Genfer und Waadtländer Fälle eine bessere Sensibilisierung von Polizeibeamten bezüglich Polizeiübergriffe und allgemein eine Verbesserung der Haftbedingungen, etwa in der medizinischen Betreuung.

Der Bundesrat hat zusammen mit dem CPT-Bericht am 25. Oktober 2012 eine Stellungnahme zu den Empfehlungen veröffentlicht.

Unverhältnismässige Anwendung von Gewalt durch die Genfer Polizei

Drei Bereiche hat der CPT in seinem Bericht als verbesserungsfähig beschrieben. Zum einen sollten bei Personen in Polizeigewahrsam Massnahmen getroffen werden, um Übergriffe und Misshandlungen zu verhindern. Die Empfehlungen richten sich vor allem an die Genfer und die Waadtländer Kantonspolizei. So hätten sich Polizisten geweigert, über den Festnahmegrund zu informieren und auch von Fällen von körperlichen Misshandlungen wurde dem CPT berichtet. Der Bundesrat schreibt dazu in seiner Stellungnahme, dass «die Waadtländer Behörden darauf[hinweisen], dass solche Fälle [von unverhältnismässiger Anwendung von Gewalt] zwar vorgekommen seien, es sich aber um Einzelfälle handle.»

Der CPT empfiehlt in erster Linie, die Abläufe bei Befragungen oder Festnahmen zu überprüfen und die Beamten in der Ausbildung besser auf das Thema Polizeiübergriff zu sensibilisieren. Zur Vorsicht ruft der CPT zudem bei der Verwendung von Tasern (so genannten Destabilisierungsgeräte DSG) auf. Der Bundesrat verweist hier auf die Genfer Dienstvorschriften, wonach der Einsatz von solchen Geräten auf spezifische Situationen beschränkt sei. Der CPT hat zudem weitere Schutzmassnahmen für vorläufig festgenommene und polizeilich angehaltene Personen empfohlen, so etwa die Ausgestaltung des Rechts auf Benachrichtigung der Angehörigen.

Haftbedingungen könnten in diversen Anstalten verbessert werden

In einem zweiten Teil formuliert der Anti-Folter-Ausschuss Empfehlungen betreffend Personen in Untersuchungshaft oder im Strafvollzug. Dabei schreibt er etwa: «Der Bund, die Polizeikonkordate und die Kantone sollten so rasch wie möglich Schritte unternehmen, damit Personen, die aufgrund des Ausländerrechts einer Zwangsmassnahme unterliegen, nicht in einer Haftanstalt untergebracht werden, sondern stets in besonders dazu eingerichteten Zentren.» Auch die Nationale Antifolterkommission (NKVF) hat in ihrem Tätigkeitsbericht auf diese Problematik hingewiesen (vgl. Artikel auf Humanrights.ch vom 16. Oktober 2012).

Der europäische Anti-Folter-Ausschuss empfiehlt zudem Massnahmen betreffend die Haftbedingungen in verschiedenen Anstalten. Genannt werden etwa Meldungen von Misshandlungen durch das Personal im Genfer Gefängnis Champ-Dollon oder die mangelnde Infrastruktur in der Erziehungs- und Haftanstalt «La Clairière» für inhaftierte Minderjährige. Erwähnung finden weiter generelle Empfehlungen zur Verbesserung der Haftbedingungen etwa von Frauen oder von Personen, die in einem Hochsicherheitsbereich untergebracht sind.

Mehrere Empfehlungen widmet der CPT zudem der medizinischen Betreuung von inhaftierten Personen. Der Bundesrat verweist hier darauf, dass die besuchten Einrichtungen die medizinische Betreuung mittlerweile verbessert hätten: «So hat die Interkantonale Strafanstalt Bostadel seit dem Besuch des Ausschusses die psychiatrische Betreuung verdoppelt und den Gesundheitsdienst ausgebaut.»

Psychisch kranke Häftlinge bedürfen angemessener Betreuung

Personen, bei denen eine stationäre Behandlung oder eine Verwahrung angeordnet wurde, widmet der CPT denn auch den dritten Teil seiner Empfehlungen. Der Ausschuss besuchte unter anderen den Sicherheitstrakt des Zentrums für Forensische Psychiatrie am Standort Rheinau. Das Umfeld der Patienten könnte «angenehmer und bedarfsgerechter» ausgestaltet werden, schreibt der CPT, wenn die Aufnahmeverfahren und Sicherheitsbedingungen überdacht würden. Weiter seien intime Leibesvisitationen auf ein absolut notwendiges Minimum zu beschränken. «Insgesamt trifft die Kritik des CPT grösstenteils Punkte, die schon im Vorfeld seines Besuchs von der psychiatrischen Klinik als veränderungswürdig bzw. optimierbar beurteilt wurden», zeigt sich der Bundesrat in seiner Stellungnahme einsichtig.

Der CPT äussert sich zudem auch zur lebenslänglichen Verwahrung: «Nach der Auffassung des CPT ist es unmenschlich, einen Menschen ohne echte Hoffnung auf Entlassung lebenslänglich einzusperren. Die schweizerischen Behörden werden daher dezidiert aufgefordert, das Konzept der Verwahrung 'auf Lebenszeit' zu überdenken.»

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