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Folter-Kommission: Berichte über Hafteinrichtungen in den Kantonen Luzern und Thurgau

14.09.2011

Räumliche Defizite in unterschiedlichem Masse sowie zu wenig exakte Regelungen bei den Zwangsmassnahmen - so lauten zwei negative Befunde aus den jüngsten Berichten der nationalen Kommission zur Verhütung von Folter (NKVF). In diesen zieht die Kommission Bilanz über ihre Besuche im Haft- und Untersuchungsgefängnis «Grosshof» in Kriens (LU) vom Februar 2011 sowie in der psychiatrischen Klinik Münsterlingen (TG) vom November 2010. Bei der Lektüre der beiden Berichte fällt auf, dass die besuchten Einrichtungen stark bis übermässig ausgelastet sind. Auf der positiven Seite loben die Kommissionsmitglieder bei beiden Institutionen den Umgang des Personals mit den Inhaftierten, bzw. mit den Patienten.

Die Kommission zeigt sich sehr bemüht, mit den Verantwortlichen der Anstalten in einen Dialog zu treten. Diese Haltung gibt der Kommission in den beiden Fällen «Grosshof» und Münsterlingen recht, denn die betroffenen Kantone Luzern und Thurgau haben bereits Massnahmen zur Verbesserung der Situation in den Hafteinrichtungen angekündigt, eingeleitet und teilweise vollzogen.

Menschenrechtsrelevante Fragen im sensiblen Bereich des Freiheitsentzugs

Die beiden Berichte geben Aufschluss über menschenrechtsrelevante Fragen und Abwägungen in Institutionen des Freiheitsentzugs. In diesem Sinne passt etwa der Bericht über den «Grosshof» ins allgemeine Bild über den Zustand von Institutionen des Freiheitsentzugs in der Schweiz: Personen in Gefangenschaft sind aufgrund der starken Belegung, bzw. der regelmässigen Überbelegung in ihrer körperlichen Integrität und Mobilität stärker eingeschränkt als dies aus Sicherheitsgründen notwendig wäre. Schuld daran ist insbesondere die fehlende Bereitschaft der Gesellschaft, die notwendigen finanziellen Beiträge für verbesserte Raumverhältnisse zu sprechen.

Ähnliches fördert auch der zweite Bericht zum Besuch in der psychiatrischen Klinik Münsterlingen zu Tage: Auch hier bestehen Umsetzungsprobleme, welche wohl vor allem auf fehlende Ressourcen zurückzuführen sind. So kommt es etwa vor, dass Jugendliche in Münsterlingen interniert werden, obwohl die Kinderrechtskonvention (Art. 37 lit c) und UNO-Pakt II (Art. 10) vorschreiben, dass diese nur in eigens dafür ausgerüsteten Institutionen eingeschlossen und von entsprechend spezialisiertem Personal betreut werden dürfen.

Auf ein weiteres menschenrechtliches Dilemma, mit dem sich das Personal in entsprechenden Institutionen häufig konfrontiert sieht, weist eine Bemerkung in den Fussnoten des Berichts über die Klinik Münsterlingen hin: «Die Balance zwischen mehr Zwang oder mehr Freiheit mit dem Risiko von Übergriffen oder Selbstgefährdung ist sehr schwierig, so dass es kaum möglich ist, hier allgemein gültige Empfehlungen zu machen.»

Dieser Hinweis deutet an, dass viele Entscheide bezüglich des Regimes, welchem die Patienten unterworfen werden, Erwägungsfragen und damit dem Personal, bzw. der Klinikleitung überlassen sind. Es ist anzunehmen, dass auch das Personal in klassischen Hafteinrichtungen regelmässig mit analogen Abwägungsfragen konfrontiert ist. Wichtig ist in diesem Zusammenhang, dass Kriterien und Bedingungen für die Anordnung von Zwangsmassnahmen so präzise wie möglich festgeschrieben sind und mit grosser Zurückhaltung ausgesprochen werden. Wünschbar ist zudem, dass mit den Betroffenen die Anordnung nachbesprochen wird, damit diese nachvollziehbar ist.

Haft- und Untersuchungsgefängnis «Grosshof» in Kriens, Kanton Luzern

Die NKVF bezeichnet das Haft-  und Untersuchungsgefängnis «Grosshof» in einigen Bereichen als vorbildlich – als «moderne, zweckmässige Anstalt mit hohem Qualitätsmanagement». Bei ihrem Besuch am 18. Februar 2011 hat die Kommission dennoch verschiedene Mängel entdeckt. Insbesondere die Platzverhältnisse sind im Hinblick auf menschenrechtliche Standards für Haftanstalten problematisch: Zum Zeitpunkt des Besuchs waren in der Anstalt, welche über 64 Zellen und 74 Plätze verfügt, 83 Personen arretiert. Hiermit war sie mit 20 Personen überbelegt. Die Überbelegung gehört seit 2002 zur Realität des Gefängnisses, wie dem Bericht zu entnehmen ist. Im Jahr 2010 betrug die Anzahl der Insassinnen und Insassen 100 Personen, fünf Jahre davor gar 120.

Laut der NKVF sind die Plätze bei einer Einzelbelegung der Zellen knapp ausreichend. Bei einer vierfachen Belegung, was in «Grosshof» regelmässig der Fall sei, werde hingegen neben dem Raum auch die Frischluftzufuhr zu knapp. Dadurch seien Bewegungsfreiheit und körperliche Integrität der Betroffenen tangiert. Weitere Folgen der knappen Platzverhältnisse werden in der Frauenabteilung des Straf-und Massnahmenvollzugs ersichtlich: Hier fehlt die Trennung nach Strafkategorien, welche gesetzlich vorgeschrieben ist.

Die Überbelegung des «Grosshof» entspricht einer Tendenz, die für die gesamte Schweiz gilt. Seit 2006 ist die Belegungsrate in der Schweiz konstant angestiegen. Besonders prekär sind die Platzverhältnisse in der lateinischen Schweiz. Weil bisher kaum Massnahmen zur Entschärfung der Situation erfolgt sind, forderte der UNO-Menschenrechtsausschusses im Jahre 2009 die Schweiz auf, in sämtlichen Kantonen die Lebensbedingungen in den Gefängnissen zu verbessern und das Problem der Überbelegung zu lösen. Im Fall des «Grosshofs» hat die Regierung des Kantons Luzern nun jedenfalls Massnahmen zur Behebung der Platznot in Aussicht gestellt.

Weitere Kritikpunkte beziehen sich auf Sachverhalte, welche die Verfahrensgarantien im Gefängnisalltag nicht befriedigend umsetzen: Bezüglich der Untersuchungshaft und des Hochsicherheitstrakts sind die Kriterien für Anordnung und Verfahren der Platzierung in Einzelhaft zu unpräzise formuliert und solche Verfügungen gegenüber den Betroffenen zu wenig nachvollziehbar ausgestaltet. Die verschiedenen Zwangsmassnahmen sollten laut der Kommission präzisiert und die Hausordnungen in weitere Sprachen übersetzt werden, um die Informationsstand der Insassinnen und Insassen zu verbessern. Weiter empfiehlt sie, dass eine systematische medizinische Untersuchung bei Eintritt durchgeführt wird.

Psychiatrische Klinik Münsterlingen im Kanton Thurgau

Die Delegation der NKVF besuchte am 17. November 2010 die fünf Stationen der psychiatrischen Klinik Münsterlingen im Kanton Thurgau, in welchen sich Personen im fürsorgerischen Freiheitsentzug (FFE), in Untersuchungshaft und im Massnahmenvollzug befinden. Das besondere Augenmerk galt dabei den Zwangsmassnahmen, da das Bundesgericht in seinem Urteil vom 6. Juli 2010 (5A.335/2010) feststellte, dass eine Anfang 2009 von der Klinik durchgeführte Zwangsmassnahme (5‐Punkt‐Fixierung) aufgrund ihrer Dauer gegen Artikel 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) verstiess.

Laut der Anstaltsleitung habe die Klinik «seit diesem Fall die Handhabung von Zwangsmassnahmen noch exakter geregelt und im Rahmen der internen Schulung die Teams in Aggressionsmanagement und Teamtechniken weiter ausgebildet.» Der am 19. August 2010 von der Klinik erlassene allgemeingültige Standard «Massnahmen gegen den Willen des Patienten oder der Patientin» wurde von der Kommission als Verbesserung gewertet. Nach ihrer Ansicht sind jedoch die Vorgaben «bezüglich der Dauer der Zwangsmassnahmen, bzw. dem Vorgehen im Falle von länger dauernden Zwangsmassnahmen (…) aber noch zu unbestimmt und sollten (...) noch präzisiert werden».

Der Bericht erwähnt auch, dass Patienten über längere Fixierungen und Isolation berichtet hätten, die allerdings in den entsprechenden Patienten-Dokumentationen nicht aufgeführt waren. Ein weiterer schwieriger Punkt ist der Umstand, dass sich zwischen September 2009 und März 2010 Suizidfälle verhältnismässig häuften. Der Bericht der Kommission hält fest, die Suizidfälle würden bereits untersucht und verlangt, dass sie nach Abschluss der Untersuchung über die Resultate aufgeklärt wird.

Bemerkenswert ist die Aussage der verantwortlichen Fachpersonen der gerontopsychiatrische Stationen U2 und U3, dass häufig ohne Einholen eines fürsorgerischen Freiheitsentzugs bestimmte freiheitsbeschränkende Massnahmen eingesetzt werden. Entsprechende Anwendungsfälle sind Cevi-Decken, die die Bewegungsfreiheit im Bett einschränken, die Platzierung im Lehnstuhl mit Tischchen und in sehr niedrig stellbaren Spezialbetten. Alle drei Anordnungen verunmöglichen es den Patienten wegen der Verletzungsgefahr selbständig aufzustehen. Der Kommission war es in dieser Abteilung nicht möglich, «substantielle Aussagen» von Betroffenen zu erhalten, da diese stark dement seien.

Bezüglich der baulichen und strukturellen Gegebenheiten kritisierte die NKVF ferner den Umstand, dass in der forensischen Station nur begrenzte Möglichkeiten für Spaziergänge an der frischen Luft und für sportliche Betätigungen vorhanden sind. Diese Kritik ist mit dem kürzlich abgeschlossenen Umbau der Abteilung nach Einschätzung der Kommission allerdings gegenstandslos geworden.

Die NKVF rühmt in ihrem Bericht das Personal, welches korrekt und respektvoll mit den Patientinnen und Patienten umgehe, wie auch die errichtete Ombudsstelle für Patienten und Patientinnen, Angehörige und Kunden sowie die Qualitätskommission, die sich aus Personen verschiedener Interessensgruppen zusammensetzt.