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Sonderflüge für Ausschaffungen: NKVF zieht gemischte Bilanz

10.07.2013

31 Sonderflüge hat die Schweiz zwischen Juli 2012 und April 2013 durchgeführt und dabei 159 Personen in ihre Heimatländer zurückgeführt. Alle Sonderflüge sind von einem/r Beobachter/in der Nationalen Kommission gegen Folter (NKVF) begleitet worden. Die Kommission konstatiert in ihrem Bericht grundsätzlich Fortschritte und bewertet dies positiv.

So wird etwa die kritisierte Vollfesselung nur noch in Ausnahmefällen und nicht mehr so regelmässig wie früher eingesetzt. Im Vergleich zu den im November 2011 veröffentlichten Beobachtungen konnte die Kommission in diesem Bereich eine differenzierte Anwendung feststellen. Dennoch müssen nach Ansicht der Kommission weiterhin Fortschritte erzielt werden, damit die Vollfesselung einzelfallgerechter erfolgt.

Zwangsmedikation

Zu den kritischen Punkten zählt die NKVF hingegen, dass in vier Fällen gegen den Willen der rückzuführenden Personen Beruhigungsmittel eingesetzt worden sind. Zu berücksichtigen sei dabei Art. 25 Abs. 1 ZAG, der den Einsatz von Medikamenten als Hilfsmittel zur Vereinfachung von Zwangsmassnahmen ausdrücklich verbietet. Die Kommission empfiehlt, grundsätzlich auf die Abgabe von psychotropen oder anästhetischen Substanzen zur Beruhigung zu verzichten. Sie bezieht sich bei dieser Empfehlung auf ein eigens in Auftrag gegebenes medizinisches Gutachten.

Informationsaustausch mit medizinischem Begleitpersonal

Verbesserungsfähig ist nach Ansicht der Kommission zudem der Informationsaustausch in medizinischen Belangen. Offenbar haben einige Kantone dem medizinischen Begleitpersonal mit Verweis auf das Arztgeheimnis nur ungenügende Unterlagen zu den Auszuschaffenden übergeben. In einem Fall war eine wesentliche Erkrankung (Diabetes) nicht vermerkt und das Begleitpersonal führte falsche Medikamente mit. Dies kann die Gesundheit einer zurückzuschaffenden Person auf unnötige Weise gefährden. Die NKVF fordert deshalb, dass medizinische Begleitpersonen zwingend Zugang zu sämtlichen für die Rückführung relevanten medizinischen Informationen haben müssen. Die kantonalen Behörden müssten deshalb dringende Massnahmen treffen, um den medizinischen Informationsaustausch sicherzustellen.

Einheitliche Praxis anstreben

Ausserdem ist die kantonale Praxis für die Zuführung der Auszuschaffenden noch sehr unterschiedlich. Teilweise werden die Zellen von Ausschaffungshäftlingen durch die Polizei in Vollmontur gestürmt. Gewisse Polizeikorps etwa in den Kantonen Aargau, Wallis und Fribourg wenden zudem für die Zuführung immer noch systematisch die Vollfesselung an. Hier empfiehlt die NKVF aus Gründen der Verhältnismässigkeit eine einheitliche Praxis anzustreben.

«Heikler Auftrag» 

Die Berichte der NKVF sind aufschlussreich, denn sie geben Einblick in das Selbstverständnis der Kommission und beleuchten mitunter die Zusammenarbeit mit den verschiedenen Akteuren (Behörden und privaten Dienstleistungserbringer). Von Interesse dürfte in diesem Zusammenhang etwa der Hinweis auf Schwierigkeiten mit der Firma OSEARA GmbH sein, welche im Auftrag des BFM die medizinische Begleitung der Sonderflüge übernimmt. Die NKVF bezeichnet die Zusammenarbeit mit der OSEARA als schwierig und nicht zufriedenstellend, u.a. weil letztere zu wenig transparent über ihre medizinischen Handlungen informierte oder nicht immer Einsicht in Unterlagen gewährte. Seit März 2013 (nach Interventionen beim Bundesamt für Migration, BFM) klappt dies nun offenbar besser. Der Auftrag der OSEARA läuft bis Ende 2013. Für die neue Auftragserteilung empfiehlt die NKVF, dass das BFM den Auftrag klarer umschreibt und die Unabhängigkeit der medizinischen Begleitung festgehalten werden sollte.

In kritischer Distanz zum Monitoringauftrag seiner Kommission schreibt der Präsident Jean-Pierre Restellini im Vorwort zum jüngsten Tätigkeitsbericht, das ausländerrechtliche Vollzugsmonitoring sei ein «schwieriges Unterfangen» und werfe verschiedene ethische Fragen auf. Der Auftrag sei heikel, da er einzelne Aspekte des Verbots der unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung tangiere. Restellini, von Haus aus Mediziner, weist daraufhin, dass annähernd alle Nichtregierungsorganisationen, die im Menschenrechtsbereich tätig sind, die Übernahme des Auftrags abgelehnt hatten. Zudem seien etliche Berufsvertreter aus dem Gesundheitswesen der Ansicht, dass Ärzte/innen die Flüge der Vollzugsstufe 4 nicht durch ihre Anwesenheit an Bord unterstützen sollten. Restellini schliesst mit dem Hinweis, dass die Schweiz in Bezug auf die Anwendung von Zwangsmassnahmen auf Sonderflügen nicht den besten Ruf geniesse.

Austauschforum ins Leben gerufen

Die NKVF hat vor diesem Hintergrund ein Forum geschaffen, an dem sich zivilgesellschaftliche Organisationen und Vertreter der Vollzugbehörden beteiligen. Im Rahmen dieses Forums sollen die Empfehlungen und Feststellungen der NKVF offen diskutiert und von allen Akteuren kritisch beleuchtet werden. Die Beteiligung der Zivilgesellschaft bezweckt nicht zuletzt, dass mehr Transparenz in diesem gesellschaftspolitisch heiklen Bereich geschaffen wird.

Die NKVF begleitet seit Juli 2012 gestützt auf einen gesetzlichen Auftrag sämtliche Rückführungen von Ausländern/innen auf dem Luftweg der Vollzugsstufe 4. Dafür hat die Kommission 2012 einen Beobachterpool mit 12 Experten/innen eingesetzt. Diese sind bei jeder Phase der Rückführungen vor Ort und erstatten der Kommission Bericht. Letztere leitet daraus Empfehlungen ab, die sie in einem Fachdialog regelmässig mit den Vollzugsbehörden diskutiert.

Dokumentation

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