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Tod eines Gefängnisinsassen: Symptom eines zu überdenkenden Strafvollzuges

13.05.2010

In der Nacht vom 11. März 2010 ist der Häftling Skander Vogt in seiner Zelle im Gefängnis Bochuz (Orbe, Kanton Waadt) erstickt, weil er seine Matratze in Brand gesetzt hatte. Der Mann war verzweifelt, wie sein Anwalt sagt. Er sass seit fünf Jahren in Isolationshaft. Zum Erstickungstod kam es unter anderem, weil keiner der Gefängnisaufseher ihm zu Hilfe eilte. Der Fall zeigt, dass im Schweizer Strafvollzug Mängel bestehen, deren Behebung aus Menschenrechtssicht vordringlich sind.

Zum Hintergrund

Der verstorbene Häftling Skander Vogt war 2001 als 18-Jähriger verhaftet worden und musste (u.a. wegen Sachbeschädigung und einfacher Körperverletzung) eine Strafe von 20 Monaten verbüssen. Im Gefängnis kam der Mann nicht zurecht. Er wurde als gefährlich eingestuft, seine Strafe in eine Verwahrung auf unbestimmte Zeit umgewandelt (StGB Art 64). Doch Skander Vogt war wegen seiner Verhaltensauffälligkeit für keine Anstalt länger tragbar: In neun Jahren Strafvollzug wurde er 23 Mal verlegt. Seit 2005 war er in verschiedenen Hochsicherheitszellen eingesperrt, obwohl dort der Aufenthalt in der Regel zeitlich begrenzt ist. Der Gefängnisalltag in Bochuz war für Skander Vogt äusserst hart: Er verbrachte 23 von 24 Stunden in seiner kleinen Zelle. Er war in Ketten gelegt und hatte keinen Kontakt zu anderen Häftlingen.

Strukturelles Problem

«Dieses Drama macht mich traurig, weil es vorauszusehen war - und leider glaube ich nicht, dass es das letzte solche Drama war», sagt Jean-Pierre Restellini, Präsident der schweizerischen Kommission gegen Folter zu den Ereignissen im Gefängnis Bochuz (siehe den Artikel von InfoSud). Pflege für einen Turberkulosekranken betrachte man als normal, bei psychischen Problemen hingegen sei die Situation anders. Bei diesen Menschen komme es oft erst durch die Bedingungen im Strafvollzug zum Ausbruch der Krankheit. Es seien unangenehme und aggressive Menschen, doch dies seien Symptome ihrer Erkrankung, einer sogenannten dissozialen Persönlichkeitsstörung, sagt der Mediziner Restellini weiter. Sie bräuchten eine besondere Behandlung um zu einem normalen Sozialverhalten zu finden, aber für diese Behandlung wolle die Gesellschaft finanziell nicht aufkommen.

Man wolle kein Geld investieren, keine genügende Infrastruktur schaffen, sagt Restellini in einem Interview mit der Wochenzeitung. Die Gefängnisse blieben deshalb überbelegt und dem Personal sei es nicht möglich, sich um Personen wie Skander Vogt zu kümmern. Dies bestätigen auch Personen aus der behördlichen Praxis (siehe Plädoyer 2/10). Sie verweisen ausserdem auf die Tendenz, verhaltensauffällige Personen länger einzusperren und Verwahrte im Regelfall nicht mehr frei zu lassen. Dazu komme, dass die Anzahl Straffälliger mit psychischen Problemen zunehme. Offenbar kommt das Strafverfolgungssystem in der Schweiz an seine Grenzen und kann seine Funktion nicht mehr wahrnehmen. Isolationshaft für verhaltensauffällige Menschen ist das eine Problem. Das andere sind die langen Wartezeiten für den geschlossenen Massnahmenvollzug oder für die wenigen Therapieplätze. Diese Kapazitätsprobleme erhöhen die Gefahr, dass viele der Straftäter im Strafvollzug gewalttätiger werden, zusätzlich. Statt die Täter korrigierend zu disziplinieren, werden sie im Strafvollzug unmenschlich hart und entwürdigend behandelt.

Kein unbekanntes Phänomen

Den Behörden sind die problematischen Bedingungen in Schweizer Gefängnissen und der besondere Handlungsbedarf bezüglich verhaltensauffälliger Straftäter und Verwahrten wohl bekannt. Seit 1991 hat der «Europäische Ausschuss zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe» Massnahmen gefordert. Insassen, welche aufgrund von mentalen Störungen als gefährlich beurteilt würden, müssten in einer geschlossenen Spitalabteilung (in einer zivilen psychiatrischen Klinik oder einer spezifischen Strafanstalt) mit adäquater Ausstattung und mit besonders ausgebildetem Personal in ausreichender Anzahl untergebracht werden, forderten die Experten des Europarates. 2008 empfahlen sie den Behörden letztmals, dass die notwendigen Massnahmen getroffen werden, damit solche Sträflinge nicht mehr in Hochsicherheitstrakten platziert werden und von angemessenen therapeutischen Aktivitäten profitieren können.

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