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Bundesversammlung verabschiedet die Strafprozessordnung (NR, SR 3/07)

22.10.2007

Die Bundesversammlung hat zum Ende der Herbstsession 2007 die Vereinheitlichung des Strafprozessrechts verabschiedet. Der Nationalrat hat dem Gesetz mit 175 gegen 11 Stimmen (9 Enthaltungen), der Ständerat mit 35 gegen 0 Stimmen (bei 7 Enthaltungen) zugestimmt. In der parlamentarischen Beratung war die Frage der Mediation am umstrittensten. Schliesslich verzichteten die Räte jedoch auf die explizite Verankerung dieses Mittels.

Die Eidgenössische Strafprozessordnung (E-StPO) soll 2010 in Kraft treten. Das Gesetz wird die heute 26 verschiedenen kantonalen Strafprozessordnungen (StPO) ersetzen. Es bringt Neuerungen, die aus Sicht der Menschenrechte von Bedeutung sind. Die folgenden Einschätzungen sind auf der Basis des Artikels «Was die Verteidiger meinen, interssiert nicht» im Plädoyer 4/07 entstanden.

Mächtige Staatsanwälte

Die E-StPO stellt sicher, dass in Zukunft Straftaten in der ganzen Schweiz nach denselben Regeln verfolgt und beurteilt werden. Dies ist grundsätzlich zu begrüssen, ebenso wie einige weitere Regelungen, welche das neue Gesetz vorsieht. Positiv zu erwähnen ist etwa die Einführung eines so genannten «Anwalts der ersten Stunde», welcher bereits bei der ersten Einvernahme eines Verdächtigen beigezogen werden muss.

Für Ermittlung, Untersuchung und Anklageerhebung ist gemäss E-StPO neu einzig der/die Staatsanwält/in zuständig. Untersuchungsrichter/innen haben definitiv ausgedient. Diese Regelung ist soweit nicht problematisch. Angesichts der Machtsituation der Staatsanwälte ist jedoch unverständlich, dass die Mitwirkungs- und Parteirechte der Angeschuldigten im Vor- und Hauptverfahren sehr eingeschränkt sind (insbesondere kein verbindliches Beweisantragsrecht und fehlende Unmittelbarkeit im Hauptverfahren). Darüber hinaus ist das zweistufige Ermittlungsvorgehen im Vorverfahren in der E-StPO problematisch, weil die Polizei selbständige Ermittlungen durchführen kann, die über den so genannten «ersten Zugriff» hinaus gehen.

Problematische Regelung bei der Beweisverwertung

Ein weiterer heikler Punkt ist die Regelung betreffend den Umgang mit rechtswidrig erhobenen Beweisen. Zum einen statuiert die E-StPO unter Artikel 140 Absatz 1 absolute Beweisverwertungverbote, etwa wenn Beweise unter Anwendung von Folter erhoben wurden. Der Gesetzgeber hat erfreulicherweise mehr Methoden, die zur Erlangung von Beweisen führen können, verboten als bisher anerkannt waren. Beweise, die auf eine hier erwähnte Weise erhoben wurden, sind auf keinen Fall vor Gericht zugelassen. Leider hat der Gesetzgeber aber unter Artikel 141 Absatz 2 festgeschrieben, dass ansonsten rechtswidrig erhobene Beweise (die nicht ausdrücklich unter Art. 140 erwähnt sind) bei besonders schweren Straftaten zugelassen werden können. Mit dieser Regelung hat er die bundesgerichtliche Praxis aufgenommen. Der Gesetzgeber lässt hier eine Interessensabwägung zu, im Sinne je gravierender ein Delikt, desto eher sollen rechtswidrig erhobene Beweise zulässig sein. Eine solche Güterabwägung steht im Widerspruch zum Legalitätsprinzip, das für einen Rechtsstaat unabdingbar ist.

Aus Sicht der Menschenrechte sind zudem Regelungen im Bereich der Zwangsmassnahmen, die erheblich in geschützte Grundrechte eingreifen, von Bedeutung. Die E-StPO lässt etwa eine Art Präventivhaft sowie DNA-Massenuntersuchungen ohne konkreten Tatverdacht zu.

  • EMRK. Beschwerdeverfahren
    Dokumentation des Geschäftes (05.092 - Geschäft des Bundesrates) auf der Website der Parlamentsdienst (mit Links zu den Ratsprotokollen)
  • Dossier der Demokratischen Jurist/innen Schweiz mit informativen Stellungnahmen und weiteren Links (online nicht mehr verfügbar)
  • Schweizerische Strafprozessordnung
    Definitive Version, publiziert im Bundesblatt, 5. Oktober 2007 (pdf, 172 S.)

Quelle: «Was die Verteidiger meinen, interssiert nicht». Interview mit Niklaus Ruckstuhl, Rechtsanwalt, Lehrbeauftragter und Richter am Kantonsgericht Baselland, Allschwil und mit Ulrich Weder, leitender Staatsanwalt, Zürich. In: Plädoyer 4/07