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Rassistisches Profiling gegenüber mutmasslichen Drogendealern

06.06.2016

Als zweiter wichtiger Anwendungsbereich steht die Kontrolle von mutmasslichen Drogendealern im Fokus der Debatte um rassistisches Profiling in der Schweiz. Der Verdacht, mit Drogen zu handeln, kann für die betroffene Person sehr unangenehme Konsequenzen haben. Dazu gehört etwa die Durchsuchung von Kleidern und Taschen oder auch der Griff an den Hals, um ein Herunterschlucken der Drogen zu verhindern.

Die Polizei stützt sich in ihrer Argumentation häufig auf sogenannte Erfahrungswerte. Insbesondere im Umfeld von bekannten Drogenumschlagplätzen, wie etwa der Reithalle in Bern oder der Langstrasse in Zürich, werden schwarze Menschen häufig wegen Verdachts auf Drogenhandel kontrolliert.

Parlamentarischer Vorstoss in der Stadt Bern

Der Gemeinderat Bern antwortete 2015 auf eine Interpellation, er habe keine Hinweise, dass die Polizei ein verdachtsunabhängiges ethnisches Profiling (also rassistisches Profiling) betreibe. Der Vorplatz der Reitschule und die Schützenmatte seien seit längerer Zeit ein stadtbekannter Drogenumschlagplatz. Die Kontrollen erfolgten «sehr gezielt», so der Gemeinderat, wie auch die veröffentlichten Zahlen nach den Aktionen zeigten: «Praktisch jeder festgenommenen Person können Delikte nachgewiesen werden.» Des Weiteren sei nachgewiesen, dass ein «überwiegender Teil des Drogenhandels durch ausländische Staatsangehörige abgewickelt wird», deshalb brauche es ein konzertiertes Vorgehen von strafrechtlichen und ausländerrechtlichen Massnahmen, um die Szene auf der Schützenmatte einzudämmen.

Nötige Differenzierung

ECRI hält in seinen Empfehlungen an die Schweiz zu diesem Thema fest, dass «die bloße Nähe zu einem möglichen Tatort, z. B. ein Ort, an dem Drogen verkauft werden, an sich nicht ausreicht, um eine öffentliche Verhaftung, das Verbringen auf eine Polizeiwache und eine dreistündige Inhaftierung zu rechtfertigen» (vgl. ECRI-Bericht 2014, Ziff. 69)

Wenn eine Person hingegen länger an einer Strassenecke steht und Drogensüchtige offen anspricht, besteht ein verhaltensbezogener Grund für eine Kontrolle, die in diesem Falle legitimiert ist. Der Verdacht kann auf Personen ausgeweitet werden, welche andere Rollen im Verhaltensmuster von Drogendealer-Banden einnehmen, etwa Späher oder Kuriere. Genau in einem solchen sehr spezifischen Gruppenzusammenhang kann unter Umständen das ethnische Kriterium sachlich begründet miteinfliessen, um eine Personenkontrolle vorzunehmen. Denn es wäre unsinnig, die Erfahrung, dass der Strassendeal öfters von Gruppen betrieben wird, die derselben Ethnie oder Nationalität angehören, in der Fahndungsarbeit einfach ausblenden zu wollen.

Allerdings darf auf keinen Fall der Umkehrschluss abgeleitet werden: Während es stimmen mag, dass die im Kokainhandel tätigen Personen in der Deutschschweiz überdurchschnittlich häufig nigerianischen Netzwerken angehören, darf dies nicht zu der Annahme führen, dass alle nigerianisch aussehenden Menschen tendenziell Drogendealer sind.

Die handlungsweisende Frage muss immer lauten: «Würde der Polizeibeamte oder die Polizeibeamtin dieselbe Personenkontrolle auch bei einer als Weiss wahrgenommenen Person oder eben Personengruppe durchführen?» Nur so ist garantiert, dass die Polizei keine Vorgehensweise oder Strategie anwendet, die automatisch rassistische Zuschreibungen, ethnische Zugehörigkeit oder Religion mit kriminellem Verhalten in Bezug setzt.

Unsere Umfrage bei ausgewählten Polizeikorps zeigt, dass zumindest auf offizieller Ebene das Bewusstsein für diese in der Praxis heiklen Abgrenzungsfragen bei der Polizei durchaus vorhanden ist. Einschlägige Richtlinien, Praxisleitfäden und Dienstbefehle, welche den Polizisten/-innen in der täglichen Arbeit als Kompass dienen könnten, werden hingegen in der Regel abgelehnt (vgl. Subrubrik «Stellungnahmen der Polizeikorps»).