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Rassistisches Profiling: Praktiken und Haltung der Polizei

06.06.2016

Relevante Praktiken

Folgende polizeiliche Aktivitäten sind in der Schweiz im Hinblick auf rassistisches Profiling besonders relevant: Ausweiskontrollen, Personenkontrollen und Durchsuchungen auf der Strasse, Mitnahme auf die Wache mit anschliessender Leibesvisitation und Abnahme von Fingerabdrücken, Fahrzeugkontrollen und -durchsuchungen. Neben Schwarzen stehen insbesondere Muslime, Personen aus dem Balkan und solche arabischer Abstammung im Fokus. Der rechtliche Rahmen ist so gestaltet, dass die Polizei einen enormen Ermessenspielraum bei der Ausübung ihrer Befugnisse hat (vgl. unseren Artikel: «Rassistisches Profiling: Rechtliche Ausgangslage in der Schweiz»).

Neben den Personenkontrollen ohne besonderen Anlass im öffentlichen Raum gibt es Anzeichen dafür, dass neue Formen des rassistischen Profiling bei der präventiven Terrorismusbekämpfung generiert werden. So hat etwa die Thurgauer Polizei im September 2015 die Bevölkerung aufgerufen, Personen zu melden, die gewisse Merkmale aufweisen, welche nach Ansicht der Polizei auf eine Radikalisierung hindeuten können.

  • Terrorismusbekämpfung und Menschenrechte in der Schweiz
    humanrights.ch, 30.11.2015 (online nicht mehr verfügbar)

Haltung der Polizei

Wenn rassistisches Profiling eine von der Polizeiführung gestützte und propagierte oder wenigstens geduldete Methode ist, handelt es sich um eine Form des institutionellen Rassismus.

In der Schweiz wird solcher institutioneller Rassismus von den zuständigen Behörden und Verwaltungsstellen in der Regel in Abrede gestellt. Die Stadt- und Kantonspolizeien wehren sich regelmässig gegen den Vorwurf, Personen würden aufgrund von äusseren Merkmalen angehalten oder aber sie machen am Beispiel des Drogenhandels geltend, es handle sich um sogenannte Erfahrungswerte mit bestimmten Männern bestimmter nationaler Herkunft.

Der Generalsekretär des Schweizerischen Polizistenverbandes Max Hofmann äusserte sich in einem Interview mit dem Tagesanzeiger vom April 2016 so: «Man sollte aufhören, die Polizei als Feind und Angstmacher darzustellen. Polizisten sind Profis. Sie kontrollieren aufgrund von Verdacht und Notwendigkeit». Es könne vorkommen, dass die Polizei eine gewisse Ethnie vermehrt kontrolliere, wenn sie beispielsweise wisse, dass diese den Kokainhandel beherrsche. Beim «Racial Profiling» handle es sich dementsprechend nicht um ein Problem, sondern um ein Empfinden der Betroffenen.

Anders ausgedrückt: Weil rassistisches Profiling eine verfassungswidrige Diskriminierung ist, kann es sie nicht geben, denn die Polizisten halten sich an die Verfassung.

Auch die offizielle Schweiz verwies 2008 im Staatenberichtsverfahren vor dem UNO-Ausschuss für rassistische Diskriminierung auf den Umstand, dass kriminelle Gruppierungen oft aus demselben Land oder derselben Region stammen oder andere charakteristische Gemeinsamkeiten aufweisen würden. Die Nationalität, Hautfarbe oder Religion könnten dabei Indikatoren sein, welche es nebst anderen zu berücksichtigen gelte. Für die Auseinandersetzung mit dem Argument der sachlichen Begründung vgl. unseren Artikel: «Rassistisches Profiling gegenüber mutmasslichen Drogendealern».

Eine selbstkritische Stimme

Es gibt aber auch aus der Polizei (selbst-)kritische Stimmen. Lionel Imhof, Polizeibeamter aus Lausanne, setzte sich in einer wissenschaftlichen Untersuchung mit der Thematik auseinander. Er schreibt in seiner Studie: «Ist es wirklich notwendig, darüber zu diskutieren, ob rassistisches Profiling in der Schweiz praktiziert wird oder nicht? Es gibt genügend Untersuchungen, die belegen, dass schwarze Menschen häufig kontrolliert oder durchsucht werden, ohne dass ein objektiver Grund vorliegt. Ebenso gibt es zahlreiche Berichte, die zeigen, dass polizeiliche Kontrollen durch die betroffenen ethnischen Gruppen als diskriminierendes Profiling wahrgenommen werden. Allein dies ist Grund genug, um sich mit dem Thema auseinanderzusetzen».

  • Profilage Racial - En avoir conscience ou non, enjeux et défis pour la police
    Studie Lionel Imhof (Polizist in Lausanne), 2012 (online nicht mehr verfügbar)

Wenn verantwortliche Behörden und Polizeioffiziere Fälle von rassistischem Profiling einräumen, dann in der Regel nur als Ergebnis einer falschen individuellen Einstellung oder unbewusster Stereotypen bei den einzelnen Polizeibeamten. Auch Imhof vertritt die Meinung, dass man nicht von einer rassistischen Polizei sondern nur von einzelnen fehlgeleiteten Polizeibeamten sprechen kann. Er sagt hierzu gegenüber humanrights.ch: «Rassistisches Profiling existiert in verschiedenen Lebensbereichen und wird von allen Menschen angewendet. Die Polizei ist als Spiegelbild der Gesellschaft davon nicht ausgenommen.» Die hauptsächliche Massnahme gegen solche Fehlleistungen ist die Aufnahme der Thematik in die Aus- und Weiterbildung. Inwieweit die diesbezüglichen Angebote das rassistische Profiling adäquat behandeln, ist allerdings fraglich (vgl. unseren Artikel: «Rassistisches Profiling in der Polizeiausbildung»).

Demgegenüber steht die Ansicht, dass rassistisches Profiling nicht in erster Linie als Einstellungs- und Verhaltensproblem einzelner Polizisten/-innen, sondern vor allem als Problem der institutionellen Verantwortung und institutionalisierten Handlungsmuster aufgefasst werden sollte (vgl. unseren Artikel: «Betroffene und Experten/innen gegen rassistisches Profiling»). Aus dieser Perspektive werden die Verantwortlichen in der Politik und der Polizei in die Pflicht genommen, Massnahmen aufzugleisen: zum Beispiel die Anpassung der gesetzlichen Grundlagen oder die Erstellung von expliziten Dienstvorschriften, welche erklären, was rassistisches Profiling bedeutet und weshalb es unzulässig ist.