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Muslimfeindlichkeit in der Schweiz zwischen 2004 und 2007

27.02.2007

Diese Seite dient als Archiv von älteren Artikeln auf humanrights.ch zum Thema Muslimfeindlichkeit in der Schweiz. Sie sind in chronologischer Reihenfolge aufgeführt und inhaltlich voneinander unabhängig. Im Themendossier «Islam und Menschenrechte» finden sich ausserdem einige allgemeine Überlegungen zum Begriff der Muslimfeindlichkeit.

Muslime als Schreckgespenst im SVP-Wahlkampf

(Artikel vom 27.02.2007)

Im neuesten Parteieninserat der SVP (das z.B. im Tagesanzeiger vom 17. Februar 2007 erschien) müssen wieder einmal Muslime als «Schreckgespenst» herhalten. Eigentlich richtet sich das polemische Plakat zwar gegen «Grüne und Linke», die laut SVP «Werte, Kultur und Traditionen abschaffen». Eine Zahl dominiert jedoch das Inserat: 1560%, die Zunahme der muslimischen Bevölkerung im Kanton Zürich in den letzten 30 Jahren. Damit werden Muslime gleichgesetzt mit der Erosion von Schweizer Kultur und Traditionen. Selbst die «erfundene» Debatte um Weihnachtslieder in der Schule wird wieder bemüht. 

Zutiefst enttäuscht 

Die Vereinigung der islamischen Organisationen in Zürich (VIOZ) zeigt sich in ihrer Stellungnahme zu dem Plakat «erschrocken und zutiefst enttäuscht». Weiter führen sie aus: «Wir dachten, dass (der) Missbrauch der Religion moralisch nicht vertretbar wäre». Auch der Rat der Religionen (SCR) wendet sich «gegen die Instrumentalisierung von Religion für politische Zwecke». In ihrer Medienmitteilung erklären sie weiter, dass durch die Verfassung geschützten Freiheitsrechte für einzelne Religionsgemeinschaften durch Verbote nicht ausser Kraft gesetzt werden dürften. Gemeint ist dabei die geplante Volksinitiative gegen Minarette. 

Beispiel für eine fatale Identitätspolitik

Das «Muslim-Inserat» ist ein Beispiel für die von der SVP systematisch betriebene Identitätspolitik auf Kosten einer bereits marginalisierten Minderheit. Dass diese Wahlkampfmethode auf der Seite der betroffenen Minderheit teilweise Ängste und daran geknüpfte Ressentiments weckt, wird in Kauf genommen oder gar beabsichtigt. Die Medien, die solche Inserate veröffentlichen, machen sich zweifellos mitschuldig an der resultierenden Aufschaukelung der Emotionen. Auf der Seite der betroffenen Minderheit melden sich Gefühle von Zurückweisung und pauschalisierende Gegenanschuldigungen, wie das Beispiel des Beitrags eines schweizerisch-palästinensischen Journalisten im Blog von Al-Jazeerah zeigt:

  • Racism in Anti-Islamic Swiss Media (online nicht mehr verfügbar)
    By Haytam Al-Rayan, Al-Jazeerah, February 21, 2007

Eindeutige politische Reaktion

Für eine Korrektur dieser Schwarz-Weiss-Wahrnehmung war es sehr wichtig, dass am 22. Februar 2007 die VIOZ gemeinsam mit der SP, der CVP, der EVP und den Grünen eine Medienkonferenz unter dem Titel «Einstehen für Musliminnen und Muslime» durchgeführt hat, um in einer gemeinsamen Erklärung entschieden auf die Provokation der SVP zu reagieren. Die FDP hat nicht an der Konferenz teilgenommen, wird jedoch dazu eine öffentliche Debatte organisieren.

EKR erinnert an die Grundrechte der Muslime

(Artikel vom 09.05.2006)

In der Schweiz leben 340'000 Muslime und Musliminnen, die im Alltag oft mit stereotypen Bildern und Diskriminierungen konfrontiert seien. Dies schreibt die Eidgenössische Kommission gegen Rassismus (EKR) in einer Stellungnahme. Sie plädiert für gegenseitigen Respekt, die Gewährung der Grundrechte und die Anerkennung als religiöse Minderheit.

Obwohl ein Grossteil der Muslime in der Schweiz ihren Glauben nicht aktiv praktiziere, würden die Muslime vor allem über ihre Religionszugehörigkeit definiert, schreibt die EKR gemäss Swissinfo in ihrem Bericht. In der öffentlichen Debatte bestehe die Tendenz, Muslime kollektiv zu Sündenböcken für das Weltgeschehen verantwortlich zu machen und unter einen «terroristischen Generalverdacht» zu stellen.

Die EKR richtet ihren Appell an Behörden von Bund, Kantonen und Gemeinden, Sozialpartner, Lehrkräfte und Medien. Sie fordert, die Glaubensfreiheit und das Diskriminierungsverbot der Verfassung und die internationalen Menschenrechtskonventionen einzuhalten. Diskriminierungen müsse aktiver entgegengetreten werden. Der Kampf gegen Terrorismus dürfe nicht zur Gleichsetzung der Muslime mit Terroristen führen. Konkret fordert die Kommission etwa Bau- und Zonenordnungen sollten flexibler ausgelegt werden, um die Errichtung von religiösen Zentren zu ermöglichen. Handlungsbedarf besteht demnach auch bei Friedhofsordnungen. Diese sollten so geändert werden, dass eine Bestattung nach muslimischem Ritus auf den öffentlichen Friedhöfen sichergestellt sei. Ausserdem sollten gemäss EKR bei Dispensen und Feiertagsregelungen alle Religionen gleich behandelt werden.

Kampf gegen Terror bestärkt Vorurteile gegen Muslime

(Artikel vom 30.03.2005)

Muslime sind in Europa seit den Terroranschlägen vom 11. September 2001 häufiger mit Intoleranz und Ausgrenzung konfrontiert. Zu diesem Schluss kommt eine Studie der International Helsinki Federation for Human Rights (IHF).

«Als Auswirkung des 11. Septembers erfuhren muslimische Minderheiten in der EU zunehmend Misstrauen und Feindseligkeiten», fasste Aaron Rhodes, Direktor des IHF, die Resultate der Studie zusammen. Der Fokus der öffentlichen Debatte auf den Kampf gegen den Terrorismus und die Bedrohung durch religiösen Extremismus habe vorhandene Vorurteile verstärkt und Muslime seien wegen ihres Glaubens zunehmend stigmatisiert worden. «Wir sind besorgt, dass diese Entwicklungen positive Integrationsbemühungen untergraben.» Rhodes sprach in diesem Zusammenhang die Gefahr an, dass Muslime ihr Vertrauen in Behörden und in die Rechtsordnung verlieren und sich vermehrt Organisationen zuwenden könnten, die für gewalttätige Methoden eintreten.

Der Bericht «Intolerance and Discrimination against Muslims in the EU - Development since September 11» beschreibt die Entwicklung in den EU-Staaten Deutschland, Österreich, Frankreich, Italien, Belgien, Dänemark, Griechenland, Niederlande, Spanien, Schweden und Grossbritannien. Als Ursache für die negative öffentliche Wahrnehmung der Muslime erwähnt die Studie etwa einseitig stereotype Medienberichte, aggressive politische Rhetorik durch populistische Parteien und auf Muslime fokussierte Sicherheitsmassnahmen durch Behörden. Intoleranz wurde demnach aber auch durch Kontroversen, etwa über das Verbot religiöser Symbole in öffentlichen Schulen oder das Schächtverbot, gefördert.

  • Zum Bericht des IHF vom März 2005 (online nicht mehr verfügbar)

Nachlese zur aktuellen Islam-Diskussion

(Artikel vom 02.12.2004)

Der Mord am niederländischen Filmemacher Theo van Gogh hat eine Welle an Medienberichten zum Islam in Westeuropa ausgelöst. In der Folge bieten wir eine kleine Auswahl an Beiträgen:

In der Schweiz haben fortschrittliche Muslime/-innen ein Diskussionsforum gegründet, dessen Ziel es ist, sich mit dem Islam kritisch auseinanderzusetzen. Das Forum möchte all jene ansprechen, die sich für einen kritischen, undogmatischen und weltoffenen Umgang mit dem Islam interessieren.

Dass der Islamismus in der Schweiz wie anderswo mindestens zwei Gesichter hat, in seiner militanten Version jedoch gespenstisch unsichtbar bleibt, zeigt der Bericht von Beat Stauffer:

Auch ein selbst ernannter Wortführer der Muslime in der Schweiz wirkt gemäss ausführlicher Recherchen von Beat Stauffer nicht besonders transparent:

Eberhard Seidel kritisiert in seinem Beitrag die Optik der Medienöffentlichkeit: Statt sich mit den Ähnlichkeiten zwischen Rechtsextremen und Radikalislamisten auseinanderzusetzen, laufe der öffentliche Diskurs immer mehr in Richtung einer verallgemeinerten Islamfeindlichkeit, wozu Webumfragen wie die der Gratiszeitung «20 Minuten» unter dem Deckmantel der Objektivität noch beitragen. Da wirkt ein Appell wie jener der Eidgenössischen Kommission gegen Rassismus (EKR) für «eine sachliche und der Menschenwürde gerechte Diskussion mit den Menschen islamischen Glaubens und über den Islam» wie ein Tropfen auf den heissen Stein. Gleichwohl muss betont werden, dass die Beiträge in den grossen Schweizer Zeitungen nach wie vor mehrheitlich differenziert geschrieben sind.

Dies soll allerdings nicht bedeuten, dass kein Bedarf an öffentlicher Diskussion wäre. Dies hat die Islamwissenschafterin Katajun Amirpur in der Süddeutschen Zeitung auf provokante Weise zum Ausdruck gebracht: Sie fordert ihre in Deutschland lebenden «geschätzten Glaubensgenossen» auf, sich mit jenen Glaubenslehren zu kritisch auseinanderzusetzen, welche in in Widerspruch zu den Menschenrechten stehen. Und sie gibt Mulimen/innen den Rat, nicht mehr Toleranz einzufordern als sie selbst zuzugestehen bereit sind.

Eine interessante Grundsatzdebatte zum Verhältnis von Scharia, Moderne und Menschenrechten liefern sich ein kritischer Islamexperte und eine Politilogiedozentin an der Universität Kairo.

  • Sind Scharia und Menschenrechte miteinander vereinbar?
    Briefwechsel vom Sommer 2004 zwischen Emran Qureshi (Journalist und Experte für Islam und Menschenrechte) und Heba Raouf Ezzat (Dozentin für Politologie an der Universität Kairo, Publizistin und islamistische Frauenrechtsaktivistin) publiziert bei Qantara.de