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Todesfall bei einer Zwangsausschaffung

21.09.2010

Ein 29-jähriger Nigerianer starb am 17. März 2010 auf dem Flughafen Zürich während einer Zwangsausschaffung durch die Schweizer Behörden. Daraufhin stoppte das Bundesamt für Migration (BFM) Ausschaffungsflüge, entschied aber im Juni 2010, diese wieder aufzunehmen. Am 28. Juni 2010 war ein erster Untersuchungsbericht basierend auf der Obduktion des rechtsmedizinischen Instituts der Universität Zürich erschienen. Dieser erwähnte, der Tod sei «auf ein Versagen des schwer vorgeschädigten Herzens zurückzuführen». Das zuvor nicht erkennbare Herzleiden, die Schwächung durch den Hungerstreik sowie der akute Erregungszustand hätten den Tod herbei geführt. Unklar bleibt bisher, ob die Gewaltanwendung durch die Polizei während der Zwangsausschaffung verhältnismässig war und inwiefern dies zum Tod beigetragen hat. Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Winterthur/Unterland laufen noch.

Augenauf: «Zwangsausschaffungen müssen eine Ende haben»

Der Hinweis der Oberstaatsanwaltsschaft, dass es in Verbindung mit dem Hungerstreik und dem Erregungszustand zum Herzversagen gekommen sei,  mache deutlich, dass der Mann noch leben würde, wenn die Behörden auf die Level-IV-Ausschaffung verzichtet hätten, schreibt Augenauf in einer Medienmitteilung vom 28. Juni 2010. Die Menschenrechtsorganisation hatte nach Bekanntwerden des Todesfalls mehrere Zeugen der Geschehnisse vom 17. März angehört und kommt zum Schluss, «dass die vom Bund und von der Konferenz der kantonalen Polizeidirektoren abgesegneten Prozeduren bei Zwangsausschaffungen der Vollzugsstufe IV unmenschlich und menschenverachtend sind.» Es sei absurd, Flüchtlinge als renitent und gewalttätig zu bezeichnen, wenn sie sich einer Ausschaffung verweigerten, dies zeige sich gerade am Beispiel des verstorbenen Nigerianers. Statt die Gesundheit des vom Hungerstreik geschwächten Mannes zu schützen, wurden an ihm die härtesten der möglichen Level-IV-Prozeduren angewendet.

Die Organisation Augenauf verlangt nun vom Bund und den Kantonen, dass keine weiteren Zwangsausschaffungen mit Charterflügen vollzogen werden. «Es verletzt die Würde eines jeden Menschen, wie ein Paket verschnürt in ein Flugzeug gesetzt und gegen seinen Willen in ein anderes Land ausgeschafft zu werden. Wir fordern alle verantwortungsbewussten Menschen auf, jede Form einer Beteiligung an Zwangsausschaffungen zu verweigern.»

Der Bund seinerseits will das Problem anders angehen und wegen des Todesfalls vom März 2010 künftig für jeden Sonderflug ein zweiköpfiges medizinisches Begleitteam bereitstellen. Anfang nächsten Jahres sollen gemäss der NZZ ausserdem bei Sonderflügen unabhängige Beobachter eingesetzt werden. Das BFM habe zudem angeregt, Beamte aus Nigeria beizuziehen.

Üble Kampagne gegen Nigerianer/-innen

Nur wenige Wochen nach dem Todesfall hatte der neue BFM-Direktor im übrigen mit einer wenig differenzierten Aussage eine Kampagne gegen nigerianische Asylsuchende gestartet, welche auch von den Schweizer Medien und einigen Politikern/-innen aufgegriffen wurde. Er sagte in einem Zeitungsinterview, dass 99.5 Prozent der Nigerianer keine Chance auf Asyl hätten und bloss in die Schweiz kämen, um Geschäfte zu machen. Solche Aussagen sind diskriminierend. Sie entbehren jeder Grundlage, solange sie nicht mit einer Studie belegt werden können und sind einem Direktor, der unter anderem für die Integration von Ausländern/-innen zuständig ist, unwürdig. In einem Brief an den BFM-Direktor erinnert deshalb Amnesty International an die schweren Menschenrechtsverletzungen in Nigeria: Medienschaffende und Menschenrechtsaktivsten/innen werden demnach brutal zusammengeschlagen und ins Gefängnis geworfen, Hunderte von Bewohner/innen christlicher Dörfer starben bei Massakern und über zwei Millionen Menschen sind in den letzten zehn Jahre vertrieben worden. Die desolate Menschenrechtslage sei ein Grund dafür, dass viele Menschen Nigeria verlassen.

Unverhältnismässige Gewalt durch die Polizei?

Nach bisherigen Erkenntnissen war der 29-Jährige Joseph Ndukaku Chiakwa vor seinem Tod in einen Hungerstreik getreten. Er hatte sich der Ausschaffung widersetzt, weshalb er gemeinsam mit andern Landsleuten unter Anwendung von Zwangsmassnahmen mit einem Sonderflug nach Lagos gebracht werden sollte. Die Polizei konnte den Mann gemäss Darlegung im Communiqué nur unter Anwendung von Gewalt fesseln, mit der Absicht, ihn gegen seinen Willen ins bereitstehende Flugzeug zu bringen. Seit 1999 ist dies der dritte Todesfall bei der Anwendung von Zwangsmitteln für die Ausschaffung von abgewiesenen Asylsuchenden. Humanrights.ch/MERS fordert, dass keine Zwangsausschaffungen mehr durchgeführt werden, solange diese nicht von unabhängigen Beobachtungspersonen begleitet werden. Die Forderung stützt sich auf eine Empfehlung des UNO-Menschenrechtsausschusses in seinem Bericht zur Überprüfung der Schweiz vom Herbst 2009 an die Adresse des Bundes (siehe Ziff. 15): «Der Ausschuss nimmt mit Besorgnis Kenntnis davon, dass die zwangsweise Ausschaffung von Ausländer/innen, welche in der Kompetenz der Kantone liegt, durchgeführt werden, ohne dass unabhängige Beobachter/innen zugegen sind. Der Staat sollte die Präsenz von unabhängigen Beobachtern während Zwangsausschaffungen zulassen.»

Dokumentation

Weiterführende Informationen