19.06.2025
Jährlich werden in der Schweiz rund 3’000 Menschen bis zu eineinhalb Jahre in Administrativhaft genommen – nicht wegen einer Straftat, sondern allein aufgrund ihres Migrationsstatus. Die ausländerrechtliche Haft ist eine verwaltungsrechtliche Zwangsmassnahme, die dazu dient, die Ausreise von Personen ohne regulären Aufenthaltstitel sicherzustellen. Sie stellt einen tiefgreifenden Eingriff in das verfassungsmässig garantierte Grundrecht auf persönliche Freiheit dar.

Medienmitteilung der Schweizerischen Beobachtungsstelle für Asyl- und Ausländerrecht vom 19. Juni 2025
Die Haftbedingungen in den Ausschaffungsgefängnissen sind prekär und werden von der Nationalen Kommission zur Verhütung von Folter (NKVF) zurecht immer wieder kritisiert. Entgegen den rechtlichen Voraussetzungen gleicht die Haft in diesen Einrichtungen vielmehr einer Strafhaft, obwohl es sich bei den Betroffenen in der Regel nicht um kriminelle Personen handelt. Im Zentrum für ausländerrechtliche Administrativhaft (ZAA) in Zürich gab es kürzlich innerhalb eines Monats zwei Todesfälle, zwei versuchte Brandstiftungen und einen Hungerstreik.
«Solche tragischen Todesfälle kommen nicht von ungefähr. Die Haft ist für die Betroffenen fast immer eine traumatische Erfahrung, zudem sind sie häufig als Geflüchtete psychisch vorbelastet. Die Suizidrate in Administrativhaft ist sechs- bis siebenmal höher als in Freiheit. Es ist eine Tatsache, dass der Zugang zu psychiatrischer Versorgung in den Haftzentren unzureichend ist. Ausserdem wird der Frage, ob eine Person gesundheitlich stabil genug für eine Haft ist, zu wenig Bedeutung beigemessen. Eine eingehende Prüfung bleibt häufig aus. Die restriktiven bis rechtswidrigen Haftbedingungen tragen ihr Übriges dazu bei. Dass sich an diesen Umständen trotz wiederkehrender Todesfälle nichts geändert hat, ist, gelinde gesagt, fahrlässig. Dies ist aber nur eines der Themen in unserem aktuellen Fachbericht.»
Lars Scheppach, Co-Geschäftsleiter SBAA
Mit dem neuen Fachbericht „Weggesperrt – Die ausländerrechtliche Haft in der Schweiz” hat die Schweizerische Beobachtungsstelle für Asyl- und Ausländerrecht (SBAA) eine umfassende Untersuchung der Administrativhaft in der Schweiz durchgeführt. Dabei orientierte sie sich an aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen, neuesten Zahlen und acht exemplarischen Falldokumentationen. Sie musste feststellen, wie weit die Realität in der Schweiz von rechtsstaatlichen Grundsätzen entfernt ist, und kam zu weiteren zentralen Befunden:
- Minderjährige in Haft: Die administrative Inhaftierung von Minderjährigen ab 15 Jahren ist keine Seltenheit und wird nicht immer dokumentiert.
- Haft als Strafe oder Abschreckung: Administrativhaft wird oft präventiv oder als Strafe angeordnet. Das birgt ein hohes Diskriminierungspotenzial.
- Unterschiedliche kantonale Handhabung: Die Administrativhaft wird von den zuständigen Kantonen unterschiedlich gehandhabt. Dadurch werden Betroffene unterschiedlich behandelt, was der verfassungsrechtlich verankerten Rechtsgleichheit widerspricht.
- Kaum genutzte Alternativen: Die Wirksamkeit von Haftalternativen wird ignoriert. Es gibt genügend Alternativen zur Haft, die nach aktuellem Wissensstand weitaus effektiver und kostensparender wären.
- Fehlende behördliche Sensibilität: Die Behörden erachten die rechtlichen Voraussetzungen für die Administrativhaft oft leichtfertig und ohne genaue Prüfung als gegeben – trotz des schwerwiegenden Grundrechtseingriffs. Verfahrensgarantien werden häufig nicht eingehalten. Entscheide werden gar nicht oder nur ungenügend begründet. Eine gerichtliche Überprüfung der Haft bleibt häufig aus.
- Unzureichender Rechtsschutz: Den Betroffenen fehlen die erforderlichen Mittel, um sich zu wehren, etwa wegen sprachlicher Hürden, fehlenden Beziehungsnetzen oder mangelnden finanziellen Mitteln. Die geltende Gesetzgebung verleiht ihnen nicht den nötigen Schutz, was den Rechtsschutz der Betroffenen infrage stellt. In vielen Fällen ist keine unentgeltliche Rechtsvertretung vorgesehen.
- Unterbringung in regulären Gefängnissen: Entgegen dem im Bundesrecht verankerten Trennungsgebot werden die Betroffenen deutlich zu häufig und zu lange in regulären Anstalten untergebracht.
- Lückenhafte Erfassung: In der Dokumentation und statistischen Erfassung mehrerer Aspekte der Administrativhaft bestehen erhebliche Lücken. Dadurch werden ein exaktes Monitoring sowie eine rechtlich fundierte Auseinandersetzung mit der Thematik erschwert.
Die Administrativhaft wird in der Schweiz zu selten kritisch hinterfragt. Der Bericht der SBAA zeigt: Es braucht endlich einen Kurswechsel hin zu rechtsstaatlichen Standards und menschenwürdigen Lösungen. Um die bestehenden Missstände zu beseitigen, formuliert die SBAA am Ende des Berichts zehn konkrete Forderungen an Politik und Behörden. Diese gilt es nun umzusetzen.
Vollständiger Bericht «Weggesperrt – die Ausländerrechtliche Haft in der Schweiz