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Fichenpolitik: Bund sammelte unrechtmässig Personendaten

26.10.2010

Die Geschäftsprüfungs-Delegation des Schweizer Parlaments (GPDel) hatte im Sommer 2010 scharfe Kritik an der Fichenpolitik des Nachrichtendiensts des Bundes (NDB) geübt. Am 22. Oktober 2010 hat sich nun der Bundesrat bereit gezeigt gewisse Änderungen anzugehen, vor allem bei der Überprüfung von Daten. Einen Teil der Vorwürfe weist der Bundesrat aber zurück. Er will nicht sämtliche Forderungen der GPDel erfüllen. Nichts ändern will der Bundesrat im Umgang mit den Drittpersonen: Dem Staatsschutz soll es weiterhin erlaubt sein, Personen zu fichieren, die selbst nicht verdächtig sind, aber einen Bezug zu verdächtigen Personen oder Organisationen haben.

Der 2010 in den NDB aufgegangene Dienst für Analyse und Prävention (DAP) habe bei der Sammlung von Daten die vorgeschriebenen Kontrollen nicht vorgenommen, hatte die parlamentarische Oberaufsicht GPDel in ihrem Ende Juni 2010 veröffentlichten Bericht geschrieben. Die Datenbank sei daher gefüllt mit irrelevanten und falschen Angaben. Dies habe zu einer Anhäufung von 200'000 Personendaten geführt.

Gesetzliche Grundlagen überschritten

Bei der Sammlung von persönlichen Daten zur Inneren Sicherheit handelt es sich um einen weitgehenden Eingriff in persönliche Freiheitsrechte (Art. 8 EMRK). Deshalb hält das Bundesgesetz über Massnahmen zur Wahrung der Inneren Sicherheit (BWIS) aus dem Jahre 1997 fest, dass nur richtige und für den Staatsschutz relevante Daten bearbeitet werden dürfen. Nach Art. 3 BWIS gilt eine Information nur dann als relevant, wenn sie der frühzeitigen Bekämpfung von Terrorismus, verbotenem Nachrichtendienst, gewalttätigem Extremismus und verbotenem Technologietransfer dient. Um die Relevanz bereits bestehender Daten zu überprüfen, müssen sie alle fünf Jahre eine periodische Beurteilung durchlaufen. Gemäss der GPDel erfolgten sowohl die Überprüfung der Rechtmässigkeit als auch die regelmässige Kontrolle der Daten jedoch in zu vielen Fällen nicht.

Auch der Eidgenössische Datenschutzbeauftragte Hanspeter Thür kritisierte die Datensammlung des NDB. Insbesondere die Fichierung von sogenannten Drittpersonen verstosse gegen die Gesetzesvorgaben. Unter Drittpersonen versteht das NDB Personen, welche in Bezug zu einem bestehenden Datenbankobjekt stehen, selbst aber nicht staatsschutzrelevant sind. Von den insgesamt 200'000 registrierten Personen gehören rund 80'000 zu dieser Kategorie. Brisant ist, dass Drittpersonen bei dreifacher Meldung automatisch den Status eines/r Verdächtigen erhalten. Ausserdem werden sie erst dann wieder aus dem System gelöscht, wenn alle weiteren in ihrem «Netzwerk» stehenden Personen keine für den Staatsschutz relevanten Informationen mehr aufweisen.

Zu wenig Personal

Die Hauptursache der Missachtungen sieht das GPDel in der personellen Unterbesetzung des NDB. Besonders viele Daten sammelte der Nachrichtendienst zwischen 2004 und 2008, ohne aber die vorgeschriebenen periodische Beurteilungen durchzuführen.

Der NDB ist am 1. Januar 2010 aus der Zusammenführung des Dienstes für Analyse und Prävention (DAP) und des Strategischen Nachrichtendienstes (SND) entstanden. Für dessen Kontrolle ist seither der Vorsteher des Eidgenössischen Departements für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport (VBS), namentlich Bundesrat Ueli Maurer zuständig. Vor der Fusion war der Inlandgeheimdienst DAP dem Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartement (EJPD) angesiedelt. Die Verantwortung für den DAP lag daher zwischen 2003 und 2007 beim damaligen Bundesrat Christoph Blocher, danach bei Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf.

Der Bericht der Aufsichtskommission fordert nun grundlegende Anpassungen, darunter eine bessere Kontrolle der Nachrichtendienste durch Stärkung der Aufsichtsorgane. Insgesamt macht die GPDel 17 Empfehlungen, zu denen der Bundesrat bis Ende Oktober 2010 Stellung nehmen muss. Bis im Herbst wollen auch die kantonalen Datenschützer einen Bericht ausarbeiten zur Lage in den Kantonen.

Grundrechte.ch (die Nachfolgeorganisation von SOS-Schnüffelstaat) fordert in einer Medienmitteilung, dass keine Fichen und Dossiers vernichtet werden: Allen Fichierten müsse sofort vollständige und unzensurierte Einsicht in alle über sie erfassten Informationen gewährt werden. Nach Gewährung der Akteneinsicht und des Rechts auf Berichtigung müssten die Daten dem Bundesarchiv übergeben werden, fordert Grundrechte.ch weiter. Zudem müsse die vom Bundesrat nach wie vor beabsichtigte Verschärfung des Staatsschutzgesetzes definitiv gestoppt und eine Diskussion über die Auflösung des DAP bzw. seines Nachfolgers NDB geführt werden.

Dokumentation

Nachrichtendienst: Problematischer Umgang mit Personendaten

(Ergänzender Artikel vom 15.06.2009)

Vor rund einem Jahr ist bekannt geworden, dass der Inlandgeheimdienst in kurzer Zeit 110'000 Fichen angelegt hat. Grundrechte.ch spricht seither von einer «zweiten Fichenaffäre». Personen, welche um Einsicht baten, sind offenbar relativ konsequent abgewiesen worden. Nun ist bekannt geworden, dass der Inlandgeheimdienst nicht nur fleissig Daten von unbescholtenen Bürgern sammelt, sondern diese auch noch an ausländische Geheimdienste weiter gibt. «Sehr bedenklich» sei dies, vor allem weil auch Vermutungen und nicht gesicherte Daten über unbescholtene Bürger weiter gegeben werden, sagt der Eidgenössische Datenschützer Hanspeter Thür gegenüber dem Tages-Anzeiger.

Der Inlandnachrichtendienst mache an einem Durchschnittstag dreissig Meldungen an ausländische Geheimdienste, schreibt der Tages-Anzeiger in einem Artikel vom 15. Juni 2009. Gemäss dessen Recherchen liefert der Dienst für Analyse und Prävention (DAP), wie der Nachrichtendienst in der Schweiz heisst, immer häufiger Personendaten an ausländische Geheimdienste. Was diese mit den Daten anfangen, entzieht sich offensichtlich der Kenntnis des DAP. Dieser hat gemäss Tages-Anzeigers etwa Angaben zum Basler Parlamentarier Mustafa Atici (SP) einem ausländischen Geheimdienst zugestellt, bevor er selber die Daten löschte. Sodann wurde am 10. Juni 2009 bekannt, dass die Basler Menschenrechtlerin Anni Lanz seit 1998 mehrfach vom Staatsschutz fichiert worden war, auf Anfrage eines ausländischen Geheimdienstes.

Zur Vorgeschichte

Im Frühsommer 2008 waren verschiedene Fichenanlegungen durch den DAP bekannt geworden. Zum einen hatte der Eidg. Datenschutzbeauftragte gegenüber Grundrechte.ch im Juli 2008 bestätigt, dass der DAP im Zuge der Anti-WEF-Kundgebungen in Bern am 19. Januar 2008 von zwei Personen und einer Organisation Fichen angelegt hatte. Zum andern hatten verschiedene Medien im Juni über Fichenanlegungen in Basel berichtet. Damals war die Geschäftsprüfungskommission des Kantons (GPK) Basel Stadt gemäss eigenen Angaben eher zufällig auf die Bespitzelung türkischstämmiger Kantons-Politiker/innen gestossen. Offenbar sind nach dem Kurdenkonflikt in der Türkei 2004 sechs türkischstämmige Politiker/innen des Grossen Rates von Basel Stadt durch den Schweizer Staatsschutz fichiert worden. Anfang Juli wiederum hatte die Rundschau des Schweizer Fernsehens über einen Basler Kurden berichtet, der aufgrund seiner Staatsschutzeinträge nicht eingebürgert worden war. Die Fichierung des Kurden war erfolgt, weil er Kundgebungen und andere Veranstaltungen zur Kurdenfrage organisiert hatte.

Untersuchung verzögert sich

Die GPK des Kantons Basel Stadt schrieb im Jahresbericht 2008, man sei «alarmiert» über das Vorgehen des Staatsschutzes und seine Geheimhaltung. Daher habe die kantonale Kommission Kontakt mit der Geschäftsprüfungsdelegation von National- und Ständerat (GPDel) aufgenommen. Diese signalisierte Entgegenkommen: Der Baselbieter Ständerat und Mitglied der GPDel Claude Janiak (SP) bestätigte, dass das parlamentarische Aufsichtsorgan in Bern, alle rund 110'000 Fichen unter die Lupe nehmen werde. Denn laut Bundesgesetz über Massnahmen zur Wahrung der Inneren Sicherheit dürfen Informationen über die politischen Betätigungen einer Person nur dann bearbeitet werden, wenn ein begründeter Verdacht auf terroristische, nachrichtendienstliche und gewalttätig extremistische Tätigkeiten besteht. 

Derweil berichtet Grundrechte.ch (die Nachfolgeorganisation von SOS-Schnüffelstaat) dass die für Herbst 2008 in Aussicht gestellte Untersuchung durch die Geschäftsprüfungskommission der Eidg. Räte (GPDel) noch nicht erfolgt sei und sich verzögern werde. Einsichtsgesuche in die Staatsschutzakten, welche von Privaten und Organisationen an den Eidgenössischen Datenschutzbeauftragten gestellt worden seien, wurden bisher zudem fast durchwegs mit einem «nichtssagenden Musterbrief» beantwortet. Zwei Gesuche um erweiterte Einsichtnahme in die Akten wurden darüber hinaus vom Bundesverwaltungsgericht abgeschmettert.

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