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Gescheiterte Revision des Staatsschutzgesetzes BWiS 2009

30.04.2009

Diese Seite dient als Archiv von älteren Artikeln auf humanrights.ch zur gescheiterten Revision des Staatsschutzgesetzes (BWiS) im Jahre 2009. Sie sind in chronologischer Reihenfolge aufgeführt und voneinander unabhängig.

Staatsschutzgesetz zurück an den Bundesrat

(Artikel vom 30.04.2009)

In der Sondersession von Ende April 2009 hat nun auch der Nationalrat das Bundesgesetz zur Wahrung der Inneren Sicherheit an den Bundesrat zurück gewiesen. Das Parlament hatte dem Projekt bereits in den vergangenen Sessionen eine klare Abfuhr erteilt. Ungewiss war bis zum 28. April 2009 jedoch, ob das Vorhaben neue Regelungen im Bereich Innere Sicherheit zu erlassen, durch einen Nichteintretensentscheid komplett beerdigt werden soll oder ob der Bundesrat neue Vorschläge erarbeiten soll. Der Nationalrat entschied sich mit 104 zu 44 Stimmen für letzteres. Damit muss Bundesrat Ueli Maurer das Gesetz gänzlich überarbeiten.

Kontroverse Pläne

Die Pläne für eine Revision des Staatsschutzgesetzes waren seit Bekanntwerden im Jahr 2005 umstritten. Nach den Anschlägen vom 11. September 2001 hatten die Schweizer Staatsschützer mehr Kompetenzen zur Bekämpfung des Terrorismus verlangt. Dabei ging es insbesondere darum, den präventiven Staatsschutz auszubauen. Ohne konkreten Verdacht sollte der Staatsschutz die Erlaubnis erhalten, das Privatleben einer Person auszuspionieren und zwar mit Hilfe von Wanzen und versteckten Videokameras in Wohnungen, durch Abhören des privaten Telefon- und E-Mailverkehrs sowie mit Hilfe von Trojanern den Inhalt fremder Computer ausschnüffeln.

All diese Wünsche der Staatsschützer fanden Berücksichtigung und wurden während der Amtszeit von Christoph Blocher durch das Eidg. Justiz- und Polizeidepartement (EJPD) in die Vorlage aufgenommen. Die Vorlage erhielt heftige Kritik in der Vernehmlassung, so etwa vom Eidg. Datenschützer, Hanspeter Thür. Dieser warnte, die vorgesehene präventive Überwachung ohne Tatverdacht verletze in «gravierender Weise die Grundrechte». Andere Datenschützer bedauerten, dass das Gesetz keine bessere Informationspflicht vorsieht. Nach der Vernehmlassung präzisierten die Behörden das Verfahren für die Genehmigung eines Lauschangriffs. Ansonsten enthält der Entwurf, der nun im Parlament beraten wurde, kaum Änderungen.

Verfassungsmässigkeit im Nationalrat in Frage gestellt

Der Nationalrat hatte in der Wintersession 2008 als Erstrat dem Vorhaben, dem Schweizer Staatsschutz mehr Kompetenzen zu geben, eine komplette Abfuhr erteilt. Mit 92 zu 79 Stimmen beschloss eine Mehrheit von SP, Grünen und SVP überraschend, gar nicht erst auf die Vorlage einzutreten.

Bedenken gegenüber der Vorlage äusserten offenbar diejenigen Experten, welche die Kommission für Rechtsfragen des Nationalrates anhörte. Wie Kommissionssprecherin Susanne Leutenegger Oberholzer (SP, BL) darlegte, ortete etwa Markus Schefer, Staats- und Verwaltungsrechtsprofessor der Universität Basel, verschiedene rechtsstaatliche Mängel. Er wies unter anderem darauf hin, dass bei den Massnahmen gegen allfällige terroristische Umtriebe die Meinungsfreiheit im Kern betroffen sei. Es sei zudem zweifelhaft, ob es überhaupt neue gesetzliche Grundlagen brauche, sagte Leutenegger mit Hinweis auf einen weiteren Experten.

Unter dem Eindruck dieser Zweifel beantragte die Mehrheit der Kommission, das Geschäft an den Bundesrat zur Verbesserung zurück zu weisen. Einen Klärungsbedarf sahen alle Redner und Rednerinnen im Rat. Dennoch sprachen sich die Vertreter/innen der FDP und CVP für die Vorlage aus. Die Gründe für die Ergänzung des Staatsschutzgesetzes seien einsichtig und die Sache dringlich, sagte Nationalrat Kurt Fluri (FDP, SO). Dennoch zog er seinen Minderheitenantrag für Eintreten ohne Rückweisung zurück, weil der Bundesrat bekannt gegeben hatte, dass er bereits ein externes Gutachten in Auftrag gegeben hat.

Mit seinem Minderheitenantrag forderte Daniel Vischer (Grüne, ZH) schliesslich, auf das Geschäft sei gar nicht erst einzutreten. Die neuen Möglichkeiten böten dem Staatsschutz enormen Willkürspielraum, begründete Vischer seinen Antrag. Der Grundrechtsschutz sei in Gefahr. Betroffen seien die persönliche Freiheit und die Meinungsäusserungsfreiheit. Mit Hinweis auf den Datenschutzbeauftragten sagte Vischer, dieses Gesetz könne in keiner Weise verhältnismässig angewandt werden. Zum Schluss erwähnte er die Basler Fichenaffäre vom Sommer 2008. Diese habe gezeigt, dass die Möglichkeiten der Staatsschutzbehörden bereits heute sehr weit gingen.

Ständerat sieht Handlungsbedarf

Nicht grundsätzlich umstritten war dagegen die Vorlage im Ständerat, wo das Geschäft in der Frühlingssession 2009 auf dem Programm stand. Nach einer relativ kurzen Debatte entschied die Kleine Kammer einstimmig für Rückweisung an den Bundesrat aber für Eintreten auf die Vorlage. Die Redner/innen im Ständerat zeigten wenig Verständnis für den Nichteintretensentscheid des Nationalrates. So sagte etwa Claude Janiak (SP; BS) in seinem Votum, dass es Punkte gebe, die neu geregelt werden müssten, unabhängig davon, welche Haltung man zu den umstrittensten Punkten habe.

Mit seinem Rückweisungsantrag fordert der Ständerat nun den Bundesrat zu mehreren Präzisisierungen auf, etwa zur engeren Umschreibung der Begriffe «innere» und «äussere Sicherheit» oder «geschützte Rechtsgüter». Auch soll der Bundesrat die Verfassungsmässigkeit der Vorlage detailliert überprüfen, dies insbesondere im Hinblick auf den Schutz der Privatsphäre (Art. 13 BV), der Meinungs- und Informationsfreiheit (Art. 16 BV), der Medienfreiheit (Art. 17 BV), der Versammlungsfreiheit (Art. 22 BV) und der Vereinigungsfreiheit (Art. 23 BV).

Ältere Medienberichte

Vernehmlassungsantworten ausgewählter Organisationen

Staatsschutzgesetz: Überwachung ohne konkreten Tatverdacht?

(Artikel vom 30.04.2008)

Die Organisation grundrechte.ch ruft die Mitglieder des Eidgenössischen Parlaments dazu auf, auf die vom Bundesrat beabsichtigte Verschärfung des Staatsschutzgesetzes zu verzichten. Alle Interessierten, die gegen eine Verschärfung des Staatsschutzes eintreten wollen, können den Appell auf der Website von Grundrechte.ch unterzeichnen.

Es dürfe nicht sein, dass einer geheime Behörde Befugnisse gegeben werden, die keiner bzw. keiner griffigen richterlichen Kontrolle unterstellt seien und deren Anwendung und Konsequenzen vom Parlament nur ungenügend und von der Öffentlichkeit gar nicht kontrolliert werden könnten, schreiben die Initianten/-innen in ihrem Aufruf.

Der Bundesrat hatte den Entwurf für ein neues Staatsschutzgesetz (BWIS II) im Juni 2007 zuhanden des Parlamentes verabschiedet. Die Vorlage war in der Vernehmlassung stark kritisiert worden. Dennoch enthält der Entwurf, der dem Parlament nun vorgelegt wird, kaum Änderungen. Das neue Staatsschutzgesetz ermöglicht etwa Überwachungen ohne konkreten Straftatverdacht. Datenschützer, SVP, Grüne und Sozialdemokraten stellten sich grundsätzlich gegen den massiven Ausbau des Staatsschutzes auf Kosten der Persönlichkeitsrechte. Einige Kantone, die FDP und die CVP hingegen sind nicht grundsätzlich gegen den Gesetzesentwurf, orten jedoch im Detail gravierende Mängel, wie die Basler Zeitung (BaZ) berichtet.   

Weiterführende Informationen

Datenschützer warnt vor geplantem Staatsschutzgesetz

(Artikel vom 21.02.2006)

Die Revision des Bundesgesetzes über Massnahmen zur Wahrung der Inneren Sicherheit befindet sich seit Anfang Februar zum zweiten Mal in der Ämterkonsultation. Bereits jetzt ist der Vorentwurf öffentlich zugänglich. Die Diskussion über die von Justizminister Christoph Blocher geplanten Massnahmen ist damit in vollem Gange. Die Vorlage wird vom Datenschützer und von Vertretern kantonaler Strafverfolgungsbehörden stark kritisiert.

Die geplanten Massnahmen zum Staatsschutz verletzten in gravierender Weise Grundrechte, insbesondere den Schutz der Privatsphäre. Dies schreibt der Eidgenössische Datenschutzbeauftragte (EDSB) Hanspeter Thür in seiner Stellungnahme. Er kritisiert insbesondere, dass der Entwurf des Gesetzes die Möglichkeit der präventiven Telefonüberwachung ohne strafrechtlich relevanten Verdacht vorsieht. Der Kampf gegen Terrorismus sei legitim. Doch stelle er keine Rechtfertigung für solch einschneidende Massnahmen dar. In Interviews mit den Tageszeitungen «Der Bund» und «St.Galler Tagblatt» äusserten die Staatsanwälte der Kantone Bern und St.Gallen ähnliche Befürchtungen. Der Berner Staatsanwalt Markus Weber sagte gegenüber dem «Bund» folgendes: «Mein Unbehagen ist gross. Wenn der Staat jetzt wieder mit riesigen Ohren überall mitlauschen will, kann ich das nicht nachvollziehen. Wir dürfen die Fichenaffäre nicht vergessen.»

Der Datenschützer und der Berner Staatsanwalt sind sich im übrigen einig, dass die heutigen strafrechtlichen Mittel im Kampf gegen den Terrorismus genügen. Am Gesetzesentwurf bemängeln sie unter anderem auch die Ausgestaltung der Kontrollmechanismen.  

Artikel zur Vorgeschichte

Wird der Schnüffelstaat bald wieder Realität?

(Artikel vom 25.08.2005)

Die Weltwoche hat am 17. August 2005 die extremen Vorschläge, welche im Bundesamt für Polizei (BAP) für den Ausbau des Staatsschutzes ausgearbeitet wurden, publik gemacht. In der Folge nahm Justizminister Christoph Blocher die ungewohnte Rolle als Wächter der Grundrechte ein und wies die Vorschläge fürs erste zurück. Auf die Fortsetzung dieser Geschichte darf man gespannt sein.

Die Vorschläge im entsprechenden Gesetzesentwurf lesen sich wie ein Wunschtraum der Staatsschützer: Telefone überwachen, Wanzen setzen, Einsatz von Spitzeln mit Tarnidentitäten, steuerfreie Entlöhnung für Denunzianten, Durchsuchen von Wohnungen – all dies ohne richterliche Genehmigung und ausserhalb von einem Strafverfahren, auf rein präventiver Ebene.

Die Pläne riefen selbst bei bürgerlichen Politiker/innen und Bundesrat Empörung hervor. Der Schuldige schien in Urs von Däniken, Chef des Dienstes für Analyse und Prävention beim BAP, rasch gefunden. Allerdings zu Unrecht, wie ein Artikel der Wochenzeitung (WOZ) zeigt. Bundesrat und insbesondere Vertreter/innen der FDP und CVP haben seit den Terroranschlägen vom 11. September 2001 Pläne zum Ausbau des Staatsschutzes stets unterstützt. Auch Bundesrat Christoph Blocher liess die bereits eingesetzte Arbeitsgruppe um von Däniken, der im übrigen auch Vertreter von Kantonen und diversen Bundesämtern angehörten, nach seinem Amtsantritt gewähren.

Die WOZ nimmt deshalb wohl zu Recht an, dass der nächste Vorstoss in dieselbe Richtung bestimmt kommen werde. Wahrscheinlich schon diesen Herbst. Denn in nächster Zeit soll laut Blocher das Gesetz «Stärkung der inneren Sicherheit» in die Vernehmlassung gehen.

Gesetzesprojekte zur inneren Sicherheit

(Artikel vom 23.12.2004)

«Das Bundesgesetz über Massnahmen zur Wahrung der Inneren Sicherheit (Bwis) soll in zwei Etappen mit drei Vorlagen revidiert werden. Die erste Vorlage betrifft den Hooliganismus im Sport. Mit einer zweiten Vorlage soll eine zusätzliche Bestimmung zur Bekämpfung des Rassismus eingeführt werden: das Verbot von rassistischen Emblemen, zum Beispiel des Hakenkreuzes. Der Tatbestand gegen rassendiskriminierende Vereinigungen soll aus der Vorlage gestrichen werden, da er nicht mehrheitsfähig ist. In einer zweiten Etappe sollen die Mittel zur Abwehr von Terrorismus, gewalttätigem Extremismus, Spionage oder Weiterverbreitung von Massenvernichtungswaffen gestärkt werden. Insbesondere soll der präventive Staatsschutz gegen mutmassliche Terrororganisationen verbessert werden. Dabei handle es sich um ein sehr delikates Dossier, sagte Blocher. Das Sicherheitsbedürfnis und die persönliche Freiheit der Bürger müssten sorgfältig gegeneinander abgewogen werden.» (sda)