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Ungleichbehandlung von geflüchteten Menschen bei der Niederlassungsfreiheit

30.10.2023

Bei geflüchteten Menschen mit Asyl werden für einen Kantonswechsel aktuell strengere Bestimmungen angewandt als bei vorläufig aufgenommenen Flüchtlingen. Diese Ungleichbehandlung widerspricht dem Flüchtlingsrecht und soll deshalb mit einem strategischen Prozess beseitigt werden.

X., eine geflüchtete Person aus der Türkei, hat im Jahr 2022 in der Schweiz um Asyl nachgesucht. Weil ihr Fall eine vertiefte Prüfung erforderte, wurde ihr Asylgesuch im sogenannten erweiterten Verfahren behandelt. Dafür wurde sie von einem Bundesasylzentrum in den Kanton Aargau zugeteilt. Etwas später wurde die Person in der Schweiz als Flüchtling anerkannt und erhielt Asyl, weil sie in ihrem Heimatland verfolgt wird.

Die nun als Flüchtling anerkannte Person hat viele Freund*innen und entfernte Verwandte in Zürich, weshalb sie gerne dorthin ziehen möchte. Ausserdem beabsichtigt sie, eine Weiterbildung im künstlerischen Bereich zu machen, weil sie im Heimatland bereits einen Bachelor of Arts erworben hatte. Eine Unterkunft bei einem Freund konnte sie bereits organisieren. Damit der Umzug auch administrativ korrekt abläuft, stellte sie beim Migrationsamt Zürich ein sogenanntes Gesuch um Kantonswechsel und erklärte, dass sie gerne vom Kanton Aargau in den Kanton Zürich umziehen möchte. Das Migrationsamt Zürich lehnte das Gesuch im Februar 2023 ab, weil die Person arbeitslos war.

Die Zürcher Behörde widerspricht mit ihrem Entscheid der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts. Dieses hatte zuletzt im September 2022 seine langjährige Rechtsprechung bestätigt, wonach in der Schweiz anerkannte Flüchtlinge einen grundsätzlichen Anspruch auf Kantonswechsel haben. Dies sehe Art. 26 des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (Flüchtlingskonvention, FK) vor. Ein Gesuch um Kantonswechsel darf in einem solchen Fall – analog der für in der Schweiz niedergelassene Ausländer*innen mit C-Bewilligung geltenden Regel – nur abgelehnt werden, wenn sogenannte Widerrufsgründe gemäss Art. 63 Abs. 1 des Ausländer- und Integrationsgesetzes (AIG) vorliegen (Urteil F-724/2020 vom 30. September 2022). Für die Ablehnung nicht ausreichend sei jedoch, wenn eine Person lediglich Sozialhilfe beziehe.

Dass das kantonale Zürcher Migrationsamt einer anderen Praxis folgt, erscheint nicht nur auf den ersten Blick verwirrlich. Zunächst muss die unterschiedliche Zuständigkeit erklärt werden: Für Gesuche um Kantonswechsel von anerkannten Flüchtlingen mit einer vorläufigen Aufnahme (F-Bewilligung) ist das SEM und damit eine Bundesbehörde zuständig, für Gesuche von anerkannten Flüchtlingen mit Asyl (B-Bewilligung) hingegen die kantonalen Migrationsämter. Der Rechtsweg ist damit ein anderer: Während für die erste Personengruppe als letzte Instanz das Bundesverwaltungsgericht zuständig ist, gilt für die zweite Gruppe der kantonale Instanzenzug. Für sie ist in letzter Instanz u.U. das Bundesgericht zuständig.

Inhaltlich meint das Migrationsamt Zürich, dass aus Art. 26 FK nicht direkt ein Anspruch auf volle Niederlassungsfreiheit in der Schweiz abgeleitet werden könne. Vielmehr sei ein Kantonswechsel nur dann zu bewilligen, wenn einerseits keine Widerrufsgründe nach Art. 62 Abs. 1 AIG vorliegen, und andererseits die wechselwillige Person nicht arbeitslos sei. Es wendet damit eine andere nationale Bestimmung an als das Bundesverwaltungsgericht.

Aktuell werden also Flüchtlinge, welche über eine vorläufige Aufnahme verfügen und nach Zürich umziehen möchten, besser behandelt als Flüchtlinge mit Asyl. Sie dürfen, so die Rechtsauslegung des Bundesverwaltungsgerichts, den Kanton wechseln, selbst wenn sie keine Arbeitsstelle haben. Anerkannten Geflüchteten mit Asyl hingegen bleibt dies verwehrt, obwohl sie gesetzessystematisch über einen «besseren» Aufenthaltsstatus verfügen. Eine derartige Ungleichbehandlung ist nicht im Sinne des nationalen und internationalen Flüchtlingsrechts.

Um diese Ungleichbehandlung in ihrem Fall und auch grundsätzlich zu beseitigen, hat die betroffene Person X. mit Unterstützung der Rechtsberatungsstelle für Asylsuchende von HEKS Rekurs gegen den Entscheid des Migrationsamts Zürich eingelegt. Dieser wurde jedoch anfangs Mai 2023 abgelehnt, worauf der Fall an das Verwaltungsgericht Zürich weitergezogen wurde. Am 6. September 2023 entschied dieses, die Beschwerde ebenfalls abzulehnen. Das Gericht argumentierte, dass sich aus Art. 26 in Verbindung mit Art. 6 der FK entgegen der Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts nicht ableiten lasse, dass Flüchtlinge den in der Schweiz niedergelassenen Ausländer*innen gleichzustellen seien. Einschränkungen nach den nationalen ausländerrechtlichen Regeln seien ausdrücklich vorbehalten. Auch liege keine rechtswidrige Ungleichbehandlung von anerkannten Flüchtlingen gegenüber vorläufig aufgenommenen Flüchtlingen vor. Das Gericht erklärte, dass trotz der in Art. 23 FK statuierten Inländergleichbehandlung ein schuldhafter Sozialhilfebezug der Bewilligung eines Kantonswechsels entgegenstehen könne. Das Verwaltungsgericht geht davon aus, dass die gegenwärtige kantonale Rechtsprechung dem Willen des Gesetzgebers entspreche, da dieser sie nicht abgeändert habe.

Für die betroffene Person X. bedeutet der Entscheid, dass sie nicht nach Zürich ziehen kann, solange sie keine Arbeit hat.

Die Anlaufstelle für strategische Prozessführung unterstützt diesen Prozess und hat das UNHCR davon in Kenntnis gesetzt. Daraufhin hat das UNHCR eine Stellungnahme zum Recht auf Freizügigkeit nach Art. 26 der Genfer Flüchtlingskonvention verfasst.

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Marianne Aeberhard
Leiterin Projekt Zugang zum Recht / Geschäftsleiterin

marianne.aeberhard@humanrights.ch
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