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Berner Polizeigesetz

Das revidierte Berner Polizeigesetz

23.07.2024

Die Totalrevision des Polizeigesetzes des Kantons Bern ist ein langwieriger Prozess. Bereits zum zweiten Mal erfolgte eine Beschwerde ans Bundesgericht, da verschiedene Bestimmungen des neuen Gesetzes Grundrechte missachten.

Am 27. März 2018 hatte der Grosse Rat des Kantons Bern die Revision des Gesetzes beschlossen. Da das neue Gesetz aber einige grundrechtlich heikle Bereiche berührte, ergriff ein Komitee bestehend aus linken Parteien und Fahrenden-Organisationen das Referendum. Konkret wurden folgende Bestimmungen kritisiert: die Einführung der Kostenüberwälzung auf Organisator*innen von Demonstrationen im Falle von gewalttätigen Ausschreitungen, die neuen Regelungen zur Wegweisung und Fernhaltung von Fahrenden sowie die neuen, sehr weitreichenden Überwachungsbefugnisse der Polizei. Das Referendum kam zustande, wurde jedoch am 10. Februar 2019 von der Berner Stimmbevölkerung abgelehnt – und somit das neue Polizeigesetz gutgeheissen.

Daraufhin legte das Komitee – mit ähnlicher Besetzung wie beim Referendum – Beschwerde gegen diese einzelnen Bestimmungen des Polizeigesetzes beim Bundesgericht in Lausanne ein. Zu den Beschwerdeführenden gehörte neben den Demokratischen Jurist*innen Bern, der Gesellschaft für bedrohte Völker und weiteren Organisationen auch humanrights.ch. Beantragt wurde eine sogenannte abstrakte Normenkontrolle.

Am 29. April 2020 hat das Bundesgericht die Beschwerde in zahlreichen Punkten gutgeheissen. Das sogenannte «Lex Fahrende» wurde vollumfänglich aufgehoben. Das Bundesgericht teilt die Kritik der Beschwerdeführenden, wonach die neuen Bestimmungen die Minderheit der Fahrenden diskriminiere und einige Grundrechte verletze (insb. das Recht auf Wohnen). Weiter wurde die Norm aufgehoben, welche die Verfügung einer Wegweisung oder Fernhaltung zwingend mit einer Strafdrohung versehen hätte. Damit verbessert sich die Situation betreffend Wegweisungen im Allgemeinen – nicht nur für Fahrende.

Auch bei den neuen Bestimmungen zur polizeilichen Überwachung folgte das Bundesgericht den Beschwerdeführenden und hob die entsprechende Norm auf. Der Einsatz von technischen Überwachungsgeräten ohne jeglichen Tatverdacht stelle einen schwerwiegenden Grundrechtseingriff dar, so die geteilte Argumentation.

Nur in einem Punkt ist das Bundesgericht nicht auf die Bedenken der Beschwerdeführenden eingegangen: es sieht die Demonstrationsfreiheit durch die Überwälzung von Polizeikosten an Demonstrationsveranstalter*innen nicht bedroht und befürchtet auch keinen Abschreckungseffekt hinsichtlich der Durchführung von Demonstrationen durch die neue Bestimmung. Im Februar 2023 wurde eine Kostenüberwälzung auf Demonstrierende in der Stadt Bern erstmals rechtskräftig.

humanrights.ch hat sich in dieser Fall zum ersten Mal als Partei an einer Beschwerde beteiligt. Damit ist dies der erste sogenannte strategische Fall, den wir im Rahmen der Anlaufstelle für strategische Prozessführung unterstützt haben. Eine abstrakte Normenkontrolle ist typischerweise ein strategischer Prozess, da dadurch ein Gesetz auf seine Grundrechtskonformität überprüft wird.

Ausführlichere Infos zum Bundesgerichtsurteil finden Sie hier. Den Kommentar von humanrights.ch zur Grundrechtskonformität des Polizeigesetzes lesen Sie hier.

Weitere Beschwerde beim Bundesgericht

Aufgrund der teilweise gutgeheissenen Beschwerde am Bundesgericht war eine erneute Teilrevision des Berner Polizeigesetzes notwendig. Dabei wurden einige weitere Änderungen eingeführt. Die Revision wurde am 28. November 2023 vom Grossen Rat beschlossen.

Da einige der neuen Regelungen aus Sicht der Demokratischen Jurist*innen Bern (DJB) und weiteren Parteien und Organisationen – wie auch humanrights.ch – gegen zahlreiche Grundrechte verstossen, reichte ein Bündnis um die DJB am 12. Juni 2024 eine Beschwerde beim Bundesgericht ein.

Die Beschwerde richtet sich gegen die Bestimmungen zur automatischen Fahrzeugfahndung, zu den Körperkameras und zur Anordnung von Videoüberwachung gegen den Willen der Standortgemeinden. 

Die Beschwerdeführenden halten die automatisierte Fahrzeugerfassung, bei welcher alle Nummernschilder von Fahrzeugen erfasst, während sechzig Tagen gespeichert und weiterverwendet werden können, für verfassungswidrig. Denn sie tangieren mehrere Grundrechte, wie das Recht auf Privatsphäre, Schutz vor Missbrauch der persönlichen Daten, informationelle Selbstbestimmung und persönliche Freiheit. Die vorgesehene gesetzliche Grundlage sei ungenügend und es bestehe die Gefahr, dass damit die Grundlage für eine systematische Überwachung geschaffen werde, so die Beschwerdeführenden.

Der zweite Kritikpunkt betrifft die neue Möglichkeit, Körperkameras – sog. «Bodycams» – an Polizist*innen anzubringen und so Personen zu filmen. Videoaufnahmen greifen in die Grundrechte der gefilmten Personen ein; insbesondere, wenn diese nicht wissen, ob die Aufnahmen gespeichert werden und aus Angst davor gewisse Grundrechte nicht mehr ausüben (wie z.B. die Teilnahme an einer Demonstration).

Weiter richtet sich die Beschwerde gegen die neue Bestimmung, dass Videoüberwachungen entgegen dem Willen der Gemeinden angeordnet werden können. Dies birgt aus Sicht der Beschwerdeführenden die Gefahr, dass Videoüberwachungen nach willkürlichen und politischen Motiven angeordnet werden.

Die Beschwerde ist aktuell vor Bundesgericht hängig. Trotzdem hat der Regierungsrat entschieden, dass angepasste Polizeigesetz per 1. August 2024 in Kraft zu setzen, da kein Referendum ergriffen wurde.

kontakt

Marianne Aeberhard
Leiterin Projekt Zugang zum Recht / Geschäftsleiterin

marianne.aeberhard@humanrights.ch
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