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Vorsorgliche Massnahmen

16.04.2024

Eine Beschwerde an den EGMR hat keine aufschiebende Wirkung. Gestützt auf Art. 39 der Gerichtsordnung kann der Gerichtshof daher in Ausnahmefällen auf Antrag einer Partei oder von sich aus gegenüber den Verfahrensparteien vorläufige Massnahmen erlassen. Zweck einer vorsorglichen Massnahme ist es, den status quo zu erhalten, um eine effektive Ausübung des Individualbeschwerderechts zu garantieren.

Eine vorläufige Massnahme wird erlassen, wenn nach eingehender Überprüfung aller relevanten Informationen prima facie zu befürchten ist, dass der/die Beschwerdeführer*in dem realen Risiko eines irreparablen Schadens hinsichtlich eines in der EMRK verankerten Menschenrechts («imminent risk of irreparable harm to a Convention right») ausgesetzt ist, sollte die Massnahme nicht erlassen werden. Ein «irreparabler Schaden» liegt vor, wenn er aufgrund seiner Art nicht durch Wiedergutma-chung («reparation»), Wiederherstellung des ursprünglichen Zustands («restoration») oder angemessene Entschädigung («adequate compensation») ausgeglichen werden kann. Entsprechend kann der EGMR die Unterlassung bestimmter Handlungen oder das Ergreifen bestimmter Massnahmen anordnen.

Vorläufige Massnahmen werden damit nur in bestimmten Ausnahmesituationen erlassen. Dies ist insbesondere bei einer Bedrohung des Rechts auf Leben, bei befürchteter unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung etwa bei Ausschaffungen oder selten auch bei geltend gemachten drohenden Verletzungen des Rechts auf Achtung des Privat- und Familienlebens der Fall.

Der Antrag auf vorsorgliche Massnahmen ist detailliert zu begründen. Insbesondere müssen der Sachverhalt, auf dem die Befürchtungen eines irreparablen Schadens beruhen, die Natur der behaupteten Risiken und die mutmasslich verletzten Konventionsrechte dargestellt werden. Den Antrag stützende Dokumente sind beizulegen. Im Falle einer Ausweisung oder Auslieferung sind des Weiteren deren Zeit und Datum sowie das Zielland anzugeben. Ebenso müssen die Gründe für das Verlassen eines Ursprungslandes und die begründete Angst dorthin zurückzukehren sowie Details über den Zeitpunkt und die Umstände der Einreise in den Vertragsstaat dargelegt werden.

Eine ausführliche Liste der einzureichenden Informationen und Dokumente findet sich in der «Practice Direction» des EGMR. Unvollständige Anträge werden nicht bearbeitet. Der Verweis auf andere eingereichte Dokumente oder das innerstaatliche Verfahren sind nicht ausreichend.

Anträge auf Erlass vorläufiger Massnahmen sollten so schnell wie möglich nach der abschliessenden innerstaatlichen Entscheidung gestellt werden. Ausnahmsweise kann ein Antrag auf vorsorgliche Massnahmen bereits vor der letztinstanzlichen innerstaatlichen Entscheidung eingereicht werden. Jedenfalls können vorsorgliche Massnahmen bereits vor der Einreichung einer Beschwerde beantragt werden.

Sie sollten dem Gericht auf der Webseite ECHR Rule 39 oder per Telefax oder Post zugestellt werden. E-Mails werden nicht bearbeitet. Alle Anträge sollten wie folgt fett zu Beginn gekennzeichnet sein:

Rule 39 – Urgent  
Kontaktperson (Name und Kontaktdetails): ...  
[In Ausweisungs- und Auslieferungsfällen: Datum und Zeit der Abschiebung sowie Zielland]: ... 

Erlassene vorsorgliche Massnahmen sind rechtlich bindend. Eine Beschwerde gegen einen Entscheid über vorsorgliche Massnahmen ist nicht möglich. Bei einer Ablehnung von vorläufigen Massnahmen kann ein(e) Einzelrichter*in zugleich eine Beschwerde insgesamt oder in Teilen abweisen.

Die Verfahrensparteien müssen mit dem Gericht zusammenarbeiten. Insbesondere müssen dem Gericht relevante Änderungen hinsichtlich des Status einer/eines Beschwerdeführer*in sofort mitgeteilt werden.

kontakt

Marianne Aeberhard
Leiterin Projekt Zugang zum Recht / Geschäftsleiterin

marianne.aeberhard@humanrights.ch
031 302 01 61
Bürozeiten: Mo/Di/Do/Fr

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