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Ablauf des Verfahrens

07.03.2022

Nicht-streitige Verfahrensphase

Eine Beschwerde wird de plano abgewiesen, falls sie offensichtlich eine oder mehrere Zulässigkeitsvoraussetzung(en) nicht erfüllt.

Nach einer vorläufigen Prüfung der Zulässigkeit der Beschwerde, stellt der Gerichtshof (gem. Art. 54(2)(b) der Verfahrensordnung) diese der Regierung zur schriftlichen Stellungnahme zu. Ab Zustellung der Beschwerde an die beschwerdegegnerische Vertragspartei muss ein(e) Beschwerdeführer*in von einem/einer Rechtsvertreter*in vertreten sein.  

Mit Zustellung der Beschwerde an die beschwerdegegnerische Vertragspartei beginnt die zwölf-wöchige nicht-streitige Phase des Verfahrens. 

Gütliche Einigung und einseitige Erklärung

Während dieser Phase kann die Kanzlei den Parteien eine gütliche Einigung anregen. Scheitert eine solche, wird die Begründetheit der Beschwerde überprüft und ein Urteil erlassen. 

Die Verhandlungen zur gütlichen Einigung sind vertraulich. Sie erfolgen unbeschadet der Stellungnahmen der Parteien im streitigen Verfahren.   

Wird ein Angebot einer gütlichen Einigung ohne triftige Gründe abgelehnt und erklärt die Regierung, dass eine Konventionsverletzung vorliegt und sagt zu, eine angemessene Wiedergutmachung zu leisten, so wird die Beschwerde aus dem Register gestrichen. 

Streitige Verfahrensphase

Sofern keine gütliche Einigung zustande kommt und die betreffende Vertragspartei keine einseitige Erklärung abgibt, hat die Regierung zwölf Wochen Zeit, um ihre Stellungnahme zu den Zulässigkeitsvoraussetzungen sowie den geltend gemachten Rechtsverletzungen abzugeben. Diese wird an den/die Beschwerdeführer*in bzw. dessen/deren Rechtsvertreter*in zur schriftlichen Stellungnahme innert sechs Wochen weitergeleitet. Die Stellungnahme hat in englischer oder französischer Sprache zu erfolgen. In dieser Stellungnahme sollte auch die geforderte Entschädigung beziffert werden.

Die Fristen werden in der Regel nicht verlängert. Verspätet oder nicht angeforderte Stellungnahmen werden nicht berücksichtigt.  

Elektronische Kommunikation mit dem Gerichtshof

Sobald eine Beschwerde der beklagten Regierung zugestellt wurde, kann der/die Bevollmächtigte der Beschwerdeführer*in mit dem Gerichtshof über eine elektronische Plattform (eComms) kommunizieren. Zugang zur Plattform wird vom Gerichtshof zur Verfügung gestellt.  

Wichtig ist die Benutzung einer generischen Emailadresse bei Kanzleien, damit verschiedene Rechtsanwält*innen auf die Plattform zugreifen können.

Sofern alle notwendigen Informationen vorliegen, wird die Beschwerde einem Spruchkörper des Gerichtshofs vorgelegt. Je nach Art des Falles ist das ein Einzelrichter, ein Ausschuss oder eine Kammer:

Einzelrichter*in

Sofern die Beschwerde klar unzulässig ist, weil nicht alle Zulässigkeitsvoraussetzungen erfüllt sind. Die Entscheidung wird vom Gerichtshof mitgeteilt. Sie ist endgültig und unterliegt keiner Berufung. Die Akte wird geschlossen und zu einem späteren Zeitpunkt vollständig vernichtet.

Ausschuss mit drei Richter*innen 

Sofern die Beschwerde bereits in mehreren Urteilen grundsätzlich geklärte Rechtsfragen aufwirft, wird sie als «Wiederholungsfall» eingestuft. Sie wird von einem Ausschuss mit drei Richter*innen beurteilt. Der genaue Verfahrensablauf wird schriftlich mitgeteilt. 

Kammer von sieben Richter*innen 

Sofern eine Beschwerde nicht als «Wiederholungsfall» eingestuft wird, wird sie einer Kammer mit sieben Richter*innen vorgelegt. Diese können die Beschwerde für unzulässig erklären. Die Unzulässigkeitsentscheidung ist endgültig. Sofern die Beschwerde für zulässig erklärt wird, wird ihre Begründetheit geprüft. 

Die Beschwerde wird in diesem Fall dem betroffenen Vertragsstaat zur Stellungnahme zugestellt. Der /die Beschwerdeführer*in bzw. dessen/deren Vertreter*in haben anschliessend Gelegenheit darauf zu antworten. In diesem Verfahrensstadium ist eine anwaltliche Vertretung notwendig.

Beantragung der Verweisung an die Grosse Kammer  

Sofern eine Beschwerde eine wichtige Auslegungsfrage betrifft oder eine Abweichung von früherer Rechtsprechung in Betracht gezogen wird, kann eine Beschwerde an die Grosse Kammer bestehend aus 17 Richter*innen verwiesen werden.  

Ausserdem kann eine Verfahrenspartei eine Verweisung an die Grosse Kammer innerhalb von drei Monaten nach Datum des Urteils einer Kammer beantragen. Der Gerichtshof gibt solchen Anträgen jedoch nur in Ausnahmefällen statt. 

Dauer des Verfahrens  

Zur Dauer eines Beschwerdeverfahrens macht der Gerichtshof keine Angaben. Bei der Bearbeitung werden die Bedeutung und die Dringlichkeit der aufgeworfenen Rechtsprobleme berücksichtigt. 

Mündliche Verhandlungen  

Grundsätzlich wird das Verfahren vor dem EGMR schriftlich geführt. In wenigen Fällen vor der Kammer sowie der Grossen Kammer werden mündliche Verhandlungen angesetzt.

Abschluss des Verfahrens

Die Beschwerde wird zurückgewiesen und die Beschwerdeakte vernichtet, wenn eine Anfrage des Gerichtshofs nicht innert der gesetzten Frist beantwortet wird. Diese Entscheidung kann nicht angefochten werden. Die Akten werden zerstört.  

Die Beschwerde wird zurückgewiesen und aus dem Register gestrichen, wenn in einem fortgeschrittenen Verfahrensstadium auf eine Anfrage des Gerichtshofs nicht innert der gesetzten Frist geantwortet wird. Ausserdem kann eine Beschwerde auch infolge einer gütlichen Einigung oder einer einseitigen Erklärung der Regierung aus dem Register gestrichen werden.

Eine Beschwerde wird für unzulässig erklärt, wenn eine oder mehrere Zulässigkeitsvoraussetzung(en) nicht erfüllt sind. Diese Entscheidung ist endgültig. Die Erhebung einer weiteren Beschwerde in der gleichen Sache ist unzulässig.

Ein Urteil wird erlassen, wenn eine Beschwerde nicht zurückgewiesen wird. Ein Urteil eines Ausschusses ist sofort endgültig. Ein Rechtsmittel dagegen ist ausgeschlossen. Ein Urteil einer Kammer wird innert drei Monaten nach Datum des Urteils endgültig, sofern nicht eine der Beschwerdeparteien die Verweisung der Sache an die Grosse Kammer beantragt. Urteile der Grossen Kammer sind endgültig. Sie unterliegen keiner Berufung.

Sobald ein Urteil endgültig ist und eine Verletzung der EMRK festgestellt wurde, wird die Akte an das Ministerkomitee des Europarats weitergeleitet. Seine Aufgabe ist die Überwachung der Durchsetzung des Urteils. Damit ist das Verfahren beendet.

Angemessene Wiedergutmachung: Die gerechte Entschädigung insbesondere

Gemäss Art. 41 der EMRK kann der Gerichtshof der verletzten Partei eine gerechte Entschädigung zusprechen, wenn

  • Eine Rechtsverletzung festgestellt wurde;
  • Das innerstaatliche Recht nur eine unvollkommene Wiedergutmachung für die Folgen der Verletzung gestattet; und
  • Dies notwendig ist.

Gemäss Art. 60 der Gerichtsordnung muss der/die Beschwerdeführer*in einen Anspruch auf gerechte Entschädigung im Falle der Feststellung einer Konventionsverletzung ausdrücklich geltend machen. Sofern nichts anderes angeordnet wird, ist dies innerhalb der Frist, die für die Stellungnahme zur Begründetheit der Beschwerde bestimmt wurde, zu tun. Alle Ansprüche müssen unter Beifügung einschlägiger Belege beziffert und nach Rubriken geordnet geltend gemacht werden. Andernfalls wird der Gerichtshof keine Entschädigung zusprechen.

Gerechte Entschädigung kann geleistet werden im Hinblick auf:

  • Materielle Schäden,
  • Immaterielle Schäden und
  • Kosten und Ausgaben

Zwischen dem behaupteten Schaden und der angeblichen Konventionsverletzung muss dabei ein Kausalzusammenhang aufgezeigt werden. Die Gewährung einer gerechten Entschädigung verfolgt den Zweck, einen Ausgleich für die tatsächlich erlittenen schädlichen Folgen der Rechtsverletzung zu schaffen.

kontakt

Marianne Aeberhard
Leiterin Projekt Zugang zum Recht / Geschäftsleiterin

marianne.aeberhard@humanrights.ch
031 302 01 61
Bürozeiten: Mo/Di/Do/Fr

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