humanrights.ch Logo Icon

KlimaSeniorinnen

Seniorinnen gegen den Klimawandel

31.03.2023

Im Dezember 2020 spannten Mitglieder des Vereins «KlimaSeniorinnen» Banner mit der Aufschrift «Climate Justice» vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Strassburg auf. Sie verklagen die Schweizer Behörden, ihre Leben zu gefährden. Die Aktivistinnen tragen damit die erste Schweizer Klimaklage nach Strassburg und rücken so die Menschenrechte ins Zentrum der Klimafrage.

Inspiriert von einem Prozess in Holland, in welchem die Regierung verurteilt wurde, weil sie zu lasche Massnahmen gegen die Klimakrise getroffen hatte, gründeten Aktivistinnen mit Unterstützung von Greenpeace in der Schweiz den Verein «KlimaSeniorinnen». Das Ziel des Vereins: die Regierung mittels einer Klage dazu zu bringen, entschlossener gegen die Klimaerwärmung vorzugehen.

Da die Folgen der Erderwärmung ältere Menschen, insbesondere Frauen, erwiesenermassen stark treffen, haben die Seniorinnen ein spezielles Interesse daran, die Klimakrise zu stoppen. Immer häufiger treten infolge der Klimaerwärmung Hitzewellen auf, nicht selten enden sie für Menschen im hohen Alter tödlich. Die Seniorinnen fordern von den Schweizer Behörden, ihr Recht auf Leben zu respektieren und die in der Bundesverfassung festgehaltenen Umwelt- und Nachhaltigkeitsziele ernst zu nehmen. Namentlich reicht die von den Schweizer Behörden anvisierte Reduktion der CO2- Emissionen gemäss wissenschaftlichen Erkenntnissen nicht aus, um die Erwärmung des Klimas auf maximal 1.5°C zu begrenzen. Genau diese 1.5°C-Limite wäre aber für einige ältere Frauen überlebenswichtig.

Ende 2016 reichten die Frauen ihre Klimaklage beim Eidgenössischen Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (UVEK) ein. Mit konkreten Massnahmen forderten sie in ihrem Begehren die Behörden auf, unmittelbar zur Tat zu schreiten, um die Ziele des Pariser Klimaabkommens zu erfüllen.

Das UVEK weigerte sich, auf die Klage einzutreten, da die geforderten Massnahmen keine konkreten Akte beträfen, sondern eine generelle Änderung der Politik fordern würden. Des Weiteren müsse eine Reduktion der CO2-Abgaben weltweit geregelt werden, vom Umweltdepartement alleine könne keine Regulierung der CO2-Emissionen verlangt werden, so das UVEK.

Brüskiert, dass das Departement inhaltlich nicht auf die Klage eingetreten war, fochten die «KlimaSeniorinnen» den Entscheid vor dem Bundesverwaltungsgericht an. Das Richtergremium in St. Gallen lies sie jedoch mit einer neuen Begründung abblitzen: Ältere Menschen würden nicht in besonderem Ausmass unter den Folgen des Klimawandels leiden und hätten somit nicht das Recht zu klagen.

2019 landete die Klage schliesslich vor Bundesgericht. Die Begründung, mit der auch dieses die Klage der «KlimaSeniorinnen» zurückwies, verkannte die Komplexität der Klimakrise. Die Richter*innen in Lausanne sahen die Seniorinnen als nicht klageberechtigt an, da die von ihnen eingeforderten Rechte wie beispielsweise das Recht auf Leben erst gefährdet seien, wenn eine Klimaerwärmung von mehr als 1.5 Grad unabwendbar sei. Eine Klimaklage wäre also erst dann zulässig, wenn es schon zu spät ist.

Die «KlimaSeniorinnen» entschieden sich Ende 2020, diese Absurdität beim EGMR zu beanstanden. Die Beschwerde lautete, dass die Schweiz ihre Schutzpflicht, die sich aus Art. 2 EMRK (Recht auf Leben) und Art. 8 (Achtung des Privat- und Familienlebens) ableitet, nicht erfülle. Die Seniorinnen machen auch eine Verletzung des Rechts auf eine wirksame Beschwerde geltend, da kein Schweizer Gericht die Klimaklage materiell prüfen wollte.

Das Bundesamt für Justiz verteidigte im Juli 2021 in einer Stellungnahme zur EGMR-Beschwerde die Klimaschutzmassnahmen der Schweiz und bekundete, dass der EGMR von einer inhaltlichen Beurteilung der Klage absehen möge. Die Klägerinnen halten diese Antwort angesichts der zunehmenden Warnungen der Wissenschaft vor der Klimakrise und der eindeutigen Verletzungen der Menschenrechte für unverständlich.

Zahlreiche renommierte Unterstützer*innen reichten beim EGMR Drittinterventionen ein  darunter die UNO-Hochkommissarin für Menschenrechte Michelle Bachelet, zwei UNO-Sonderberichterstatter*innen, eine unabhängige Expertin der UNO sowie das Europäische Netzwerk der Nationalen Menschenrechtsinstitutionen (ENNHRI).

Am 29. April 2022 hat der EGMR bekannt gegeben, dass die für die Klimaklage zuständige Kammer den Fall an die Grosse Kammer des EGMR abgibt. Diese besteht aus 17 Richter*innen, welche in schwerwiegenden Fragen zur Auslegung oder Anwendung der EMRK entscheiden. Nur wenige der am EGMR hängigen Fälle werden in dieser Kammer verhandelt.

Die öffentliche Anhörung vor der Grossen Kammer fand am 29. März 2023 statt und stiess auf grosses Interesse: neben den Klimaseniorinnen und ihren Anwält*innen reisten zahlreiche Journalist*innen und weitere Unterstützer*innen zum Gerichtshof nach Strassburg. Auch humanrights.ch war vor Ort. Dies zeigt, dass es den Klimaseniorinnen gelungen ist, einen Präzedenzfall zu schaffen. Das Urteil zu dieser und zwei weiteren Klimaklagen wird frühestens Ende 2023 erwartet und wird wegweisend für alle Mitgliedstaaten des Europarates sein.

Ausführlichere Informationen zum erstinstanzlichen Entscheid des UVEK finden Sie hier auf unserer Informationsplattform.

Im Podcast «treibhaus - der klimapodcast» spricht Cordelia Bähr, leitende Rechtsanwältin der KlimaSeniorinnen, über den Hintergrund der Klimaklage.

kontakt

Marianne Aeberhard
Leiterin Projekt Zugang zum Recht / Geschäftsleiterin

marianne.aeberhard@humanrights.ch
031 302 01 61
Bürozeiten: Mo/Di/Do/Fr

kontakt

Marianne Aeberhard
Leiterin Projekt Zugang zum Recht / Geschäftsleiterin

marianne.aeberhard@humanrights.ch
031 302 01 61
Bürozeiten: Mo/Di/Do/Fr