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Vorgeschichte des Minarettverbotes in der Schweiz

08.06.2009

Parlament erklärt Minarettinitiative für gültig

(Artikel vom 08.06.2009)

Schweizer Stimmbürgerinnen und Stimmbürger werden über die Minarettinitiative abstimmen. Nach dem Nationalrat hat auch der Ständerat die Gültigkeit der Initiative klar bejaht und sie dem Volk zur Ablehnung empfohlen. Die Volksinitiative verletze zwar nicht zwingendes Völkerrecht, schränke aber die Religionsfreiheit in unzulässiger Weise ein, lautete der Grundtenor der Debatte in der kleinen Kammer.

Bevor die kleine Kammer auf die Vorlage eintrat, führten die Kantonsvertreter/innen eine engagierte Debatte über die Bedeutung des Grundrechtskataloges in der Verfassung. Dabei standen sich zwei Meinungen gegenüber: Zum einen argumentierte Theo Maissen (CEg, GB), dass eine Initiative, welche Grundrechte der Verfassung einschränkt, wie dies die Minarettinitiative tut, nicht zur Abstimmung gelangen dürften. Zum andern stellte sich Felix Gutzwiller (FDP, ZH) auf den Standpunkt, dass die Grundrechte zwar nicht verhandelbar seien, dass sie sich allerdings in der konkreten Auseinandersetzung immer wieder bewähren müssten. Er vertraue auf die Grundwerte und sei überzeugt, dass das Stimmvolk die Initiative ablehnen werde.

Justizminiterin Evelyn Widmer-Schlumpf bestätigte in ihrer Stellungnahme, dass eine Annahme der Initiative ähnliche Probleme bieten könnte, wie die Annahme der Verwahrungsinitiative. Die Schweiz müsse dann schauen, wie sie die Initiative EMRK-konform umsetze.

Auch der Nationalrat hatte in der Frühlingssession entschieden, dass die Initiative der SVP gültig ist. Der Entscheid fiel auch in der Grossen Kammer sehr deutlich und auch hier wurde die Initiative dem Volk klar zur Ablehnung empfohlen. Die Schweizer Sektion von Amnesty International hatte vor der Debatte im Nationalrat die Politiker/innen nochmals dazu aufgerufen, die Initiative ungültig zu erklären, weil sie diskriminierend und unnötig sei.  

Religionsfreiheit und Diskriminierungsverbot

Die Volksinitiative «gegen den Bau von Minaretten» war am 8. Juli 2008 von den Initianten aus dem Umfeld der SVP und der EDU mit rund 115'000 Unterschriften bei der Bundeskanzlei eingereicht worden. Erstmals nahm der Bundesrat bereits am Tag der Einreichung einer Initiative Stellung zu deren Inhalt. Er liess verlauten, es stehe ausser Zweifel, dass er den Stimmberechtigten und dem Parlament deren Ablehnung empfehlen werde.

Bei der Verabschiedung der Botschaft zuhanden des Parlaments Ende August 2008 schrieb der Bundesrat so dann, dass ein Bauverbot für Minarette wegen Missachtung der Religionsfreiheit und dem Diskriminierungsverbot mit der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) und dem UNO-Pakt über die bürgerlichen und politischen Rechte nicht vereinbar sei. Dennoch lehnte die Regierung (und nun auch der Nationalrat) es ab, die Initiative für ungültig zu erklären. Sie argumentierte, die Initiative verstosse nicht gegen zwingendes Völkerrecht und sei deshalb gültig.

Zwingendes Völkerrecht oder nicht?

Den Entscheid, ob eine Volksinitiative für ganz oder teilweise ungültig erklärt wird, fällt das Parlament (Art. 139 Abs 3 BV). Die Frage der Gültigkeit der Initiative «gegen den Bau von Minaretten» hat in den letzten Monaten für Zündstoff in der Bundesversammlung gesorgt. Denn welche Teile des internationalen Völkerrechts als zwingend (sogenanntes ius cogens) gelten, ist im einzelnen umstritten. In jedem Fall gehören das zwischenstaatliche Gewaltverbot, das Verbot des Völkermordes, das Non-Refoulement-Gebot sowie das Sklaverei- und das Folterverbot dazu.

Die Bundesversammlung führte anlässlich der Behandlung der Verwahrungsinitiative bereits einmal eine kontroverse Debatte über Sinn und Unsinn einer Volksabstimmung bei bestehendem Widerspruch mit dem Völkerrecht. Damals fand sich ebenfalls keine Mehrheit für eine Ungültigerklärung - mit dem Resultat, dass die Umsetzung der Volksinitiative schliesslich weder für Menschenrechtsexperten noch für die Initiantinnen zufriedenstellend ausgefallen ist.

Verbot vor Gerichten kaum haltbar

Ein ähnliches Schicksal dürfte dem Minarettverbot beschert sein, sollte das Stimmvolk die Initiative einst annehmen. «Es gäbe Probleme bei der Umsetzung», sagte der Berner Assistenzprofessor Jörg Künzli dazu gegenüber dem Tagesanzeiger bereits bei Lancierung der Initiative. Künzli geht davon aus, dass ein konkreter Fall an den Menschenrechtsgerichtshof in Strassburg weitergezogen würde – «wenn nicht schon das Bundesgericht die Anwendung der Bestimmung verweigert». 

Bei Annahme der Minarettverbotsinitiative könnte es also erneut zu einer unbefriedigenden Situation kommen, die in ihrer letzten Konsequenz allenfalls gar eine Aufkündigung der EMRK durch die Schweiz zur Folge haben könnte. Nun plädieren Völkerrechtsexperten/-innen wie der Zürcher Professor Daniel Thürer oder die Fribourger Professorin Astrid Epiney dafür, dass das Parlament bei der Prüfung einer Initiative das zwingende Völkerrecht nicht im engsten völkerrechtlichen Sinne auslegt. Eine umfassendere Auslegung sollte demnach jene völkerrechtlichen Normen einbeziehen, die für die Schweiz von so grundlegender Bedeutung sind, dass sie sich ihrer Bindung nicht entziehen kann. Dazu würde unter anderem die EMRK gehören. Das Parlament könnte so Initiativen, die gegen diese Normen verstossen, für ungültig erklären. In der Folge würden Initiativen, die nicht umsetzbar sind auch nicht zur Abstimmung gelangen.

Erste mutige Vorschläge auf Kommissionsebene

Die Staatspolitische Kommission des Nationalrats hat sich Ende August 2008 des Themas angenommen und will nun weitere materielle Ungültigkeitsgründe prüfen, damit in Zukunft nur noch Volksbegehren zur Abstimmung zugelassen sind, die anschliessend auch tatsächlich umgesetzt werden können.

Die Kommission schlägt dem Nationalrat vor, dass es künftig zu den Kompetenzen des Bundesgerichts gehören soll, entsprechende Entscheide zu fällen. In einem aus politischer Sicht erstaunlichen Entscheid sprach sich die Mehrheit der Kommission per Stichentscheid des Präsidenten gar für die Verfassungsgerichtsbarkeit aus. Geht es nach dem Willen der Kommissionsmehrheit, soll das Bundesgericht in Zukunft nicht nur Initiativen, sondern auch die Bundesgesetze auf ihre Verfassungsmässigkeit überprüfen. Allerdings ist die Wahrscheinlichkeit klein, dass die Verfassungsgerichtsbarkeit im Parlament eine Mehrheit finden wird.

Medienmitteilungen

Weiterführende Information

SVP auf Kurs gegen die Religionsfreiheit

(Artikel vom 03.06.2007)

Das Bestreben von lokalen Komitees und verschiedenen Kantonalparteien der SVP, den Bau von Minaretten in der Schweiz zu unterbinden, mündet in eine nationale Initiative für ein generelles Minarett-Verbot. Wenn es nach dem Initiativkomitee geht, das sich aus Politiker/innen der SVP und der EDU zusammensetzt, würde die Bundesverfassung um folgenden Satz ergänzt: «Der Bau von Minaretten ist verboten.» Die Dachorganisationen der Muslime in der Schweiz reagierten mit Besorgnis.

Ob die SVP die Initiative auch offiziell unterstützen wird, ist noch unklar. Völkerrechtsexperten wie der Zürcher Professor Daniel Thürer und der Berner Assistenzprofessor Jörg Künzli sowie der emeritierte Berner Staatsrechtsprofessor Jörg Paul Müller geben derweil zu bedenken, dass eine entsprechende Verfassungsänderung die Religionsfreiheit gefährden und internationales Recht (EMRK, UNO-Pakt II) verletzen würde.

Die SVP versucht seit einiger Zeit, mittels Vorstössen in kantonalen Parlamenten den Bau von Minaretten zu verbieten. Im Kanton Zürich etwa prüft der Kantonsrat ein solches Verbot. Im September hatte sich ein Drittel der Zürcher Kantonsräte für eine entsprechende parlamentarische Initiative der SVP ausgesprochen. Ähnliche Bestrebungen gibt es nun auch im Kanton Tessin. Im Kanton Solothurn hat sich der Kantonsrat ebenfalls auf Drängen der SVP mit der Frage beschäftigt und sich im Juni 2006 gegen ein generelles Verbot ausgesprochen.

Minarett als «Symbol der Eroberung»

«Baubewilligungen für Gebäude mit Minaretten werden auf dem Gebiet des Kantons Zürich nicht erteilt.» Geht es nach der SVP wird dieser Satz bald im Planungs- und Baugesetz des Kantons Zürich stehen. Der Islam erweise sich als «expansive, aggressive Religion» begründete SVP-Kantonsparlamentarierin Barbara Steinemann ihren Vorstoss im Kantonsrat Zürich. Minarette seien ein Symbol für die Eroberung eines Gebietes erklärte die junge Juristin weiter.

Pragmatismus statt Ideologie

Darauf gab ein Kommentator in der NZZ richtigerweise zu bedenken, es sei offenkundig, dass solche «Besorgnisse» weit mehr mit politischer Ideologie als mit schweizerischen Realitäten zu tun hätten. Er sprach sich für lokal angepasste Regelungen aus und gegen gerichtliche Grundsatzentscheide. Wichtiger sei ein Pragmatismus und nüchterner Geist, der die übergeordneten Werte im Auge behalte. Zudem erinnerte der Kommentator daran, dass die gelassene Suche nach vernünftigen Lösungen und Kompromissen als typisch eidgenössisches Verfahren mit bisher einigem Erfolg gelten könne.

62 Kantonsräte stimmten im Zürcher Parlament für die Initiative - zur SVP, die in dieser Sache geschlossen abstimmte, gesellten sich die Vertreter der EDU und der Schweizer Demokraten. Eine Kommission des Kantonsrates muss nun ein Minarettverbot prüfen und dem Rat einen Antrag vorlegen. Die SVP droht jedoch bereits im voraus, sollte das Verbot nicht zustande kommen, werde sie im Kanton Zürich eine entsprechende Volksinitiative lancieren.

Kirche nicht gegen Minarette

«Natürlich können Minarette gebaut werden» sagte der Beauftragte für Ethik beim Institut für Theologie und Ethik des Evangelischen Kirchenbundes, Frank Mathwig. Es sei ein Teil der Religionsfreiheit und dieses Menschenrecht dürfe nicht von Mehrheitsentscheidungen abhängig gemacht werden, sagte er in einem Interview mit dem Schweizer Fernsehen.

Auch der Basler Bischof Kurt Koch sprach sich in einem Interview mit der NZZ für den Bau von Minaretten aus. Für ihn ist klar, dass Minarette ein Zeichen der muslimischen Identität sind und für Muslime wichtig sind, um öffentlich zu ihrer Religion stehen können. Für ihn stehen hinter den Minarett-Streitigkeiten ganz andere Probleme, die im Grunde auf die Schwäche des Christentums zurückzuführen seien: «Wenn wir zu unseren Wurzeln, zu unseren Überzeugungen stehen würden, könnten wir offener auf andere Religionen zugehen».