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Das Minarettverbot in der Schweiz

30.11.2009

Die Schweizer Stimmbevölkerung hat am 29. November 2009 die Anti-Minarett-Initiative mit 57.5 Prozent der Stimmen klar angenommen. Damit ist der Bau von Minaretten auf Verfassungsebene verboten. Diese Verfassungsbestimmung beschneidet die Grundrechte der muslimischen Glaubensgemeinschaft in der Schweiz in einer Weise, welche mit den Menschenrechten nicht zu vereinbaren ist.

Religionsfreiheit, Diskriminierungsverbot und mehr

Die sowohl in der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) wie auch in der Bundesverfassung verankerte Religionsfreiheit (Art. 9 EMRK und Art 15 BV) wird in nicht zu rechtfertigender Weise eingeschränkt. Einschränkungen der Religionsfreiheit sind gemäss EMRK nur dann möglich, wenn sie «in einer demokratischen Gesellschaft notwendig sind für die öffentliche Sicherheit, zum Schutz der öffentlichen Ordnung, Gesundheit oder Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer» (Art. 9 Abs. 2 EMRK).

Unhaltbar ist das Verbot zudem unter dem Gesichtspunkt des Diskriminierungsverbots (Art. 8 Abs. 2 BV), denn es benachteiligt auf eine herabsetzende Weise die Musliminnen und Muslime in der Schweiz. Es gibt keine sachliche Rechtfertigung dafür, dass ausschliesslich der Bau von muslimischen Sakraltürmen verboten wird. In ästhetischer und baurechtlicher Hinsicht gibt es keinen Unterschied zu andern religiösen Bauten, etwa buddhistischen oder hinduistischen Tempeln oder christlichen Kirchtürmen. Eine Diskriminierung ist nach Rechtssprechung des Bundesgerichts jedoch genau dann gegeben, wenn die Rechte von Menschen mit stigmatisierbaren Gruppenmerkmalen (wie es eine Religionszugehörigkeit ist) eingeschränkt werden, ohne dass sich dies mit vernünftigen Argumenten rechtfertigen lässt.

Weiter steht ein Minarettverbot im Widerspruch mit der verfassungsrechtlich gewährleisteten Einhaltung der Verhältnismässigkeit (Art. 5 Abs. 2) und des Völkerrechtes (Art. 5 Abs. 4 BV). Es wird allgemein angenommen, dass bei Annahme der Initiative die Schweiz vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Strassburg wegen Verletzung der EMRK verurteilt würde.

Dokumentation

Buchtipp

  • Streit um das Minarett. Zusammenleben in der religiös-pluralistischen Gesellschaft
    Hrsg. von Mathias Tanner, Felix Müller, Wolfgang Liebemann. Zürich 2009
    Inhaltsverzeichnis (pdf, 1 S.)

Kommentar zur Annahme der Anti-Minarett-Initiative

von Alex Sutter, Leiter der Informationsplattform humanrights.ch

Am Tag nach der Abstimmung reiben sich viele die Augen. Eine satte Mehrheit des Stimmvolks hat sich nicht nur für ein grundsätzliches Verbot der Minarette in der Schweiz ausgesprochen, sondern auch für ein Misstrauensvotum gegenüber der muslimischen Minderheit in der Schweiz.

Überraschen mag das Ausmass des Debakels, aber nicht wirklich das Resultat der Abstimmung. Wer hingeschaut hat, konnte nicht übersehen, dass die SVP schon seit mehreren Jahren eine gezielte Identitätspolitik zu Lasten der muslimischen Minderheit betrieben hat. Das muss wohl ein strategischer Entscheid gewesen sein. Denn die Erfolgsaussichten einer solchen Politik der Angstmacherei sind glänzend in einer Situation, die weltweit geprägt ist durch eine aggressiven Polarisierung zwischen «dem Westen» und «dem Islam». Aus diesem Blickwinkel erweist sich die SVP als eine zynische Trittbrettfahrerin mit viel Machtinstinkt.

Dass allerdings Bundesrat und Parlament das Spiel nicht durchschaut und die Gefahr nicht richtig eingeschätzt haben, macht die Angelegenheit zu einer veritablen Staatsaffäre. Aus Angst vor einem populistischen Entrüstungssturm haben National- und Ständerat die Anti-Minarett-Initiative zugelassen, obwohl von Anfang an klar war, dass diese nicht nur eine übermässige Einschränkung der Religionsfreiheit sondern auch einen krassen Verstoss gegen das Diskriminierungsverbot der Bundesverfassung bezweckt. Dieses Laisser-passer war damals kleinmütig und stellt sich heute als grosser Fehler heraus. Denn es hätte durchaus in der Kompetenz von National- und Ständerat gelegen, die Zulassungsregeln für Volksinitiativen zu verschärfen, so dass nicht nur ein Verstoss gegen «zwingendes Völkerrecht» (ohnehin eine etwas zweifelhafte Konstruktion) sondern auch gegen Kerngehalte der Bundesverfassung und der internationalen Menschenrechtsverträge als zureichender Grund gelten würde, um eine Initiative für ungültig zu erklären. Und das Diskriminierungsverbot gehört tatsächlich zum Kerngehalt der Grund- und Menschenrechte.

Das Parlament hat diesen staatspolitisch notwendigen Schritt nicht gewagt und es hat nun den entstandenen Scherbenhaufen zu verantworten. Das weitere Szenario ist klar: Die gestärkte SVP wird die Konfrontation zwischen ihren identitätspolitischen Parolen und den Menschenrechtsverpflichtungen der Schweiz suchen. Sollte es in Sachen Minarettverbot zu einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs gegen die Schweiz kommen, wird sich die SVP nicht scheuen, ihre Propagandamaschine gegen die Geltung der Europäischen Menschenrechtskonvention einzusetzen.

Allen, die es bis jetzt noch nicht bemerkt haben, sei gesagt: Eine mehrheitsfähige Partei, die aus Machttrieb ganz bewusst die Menschenrechte aufs Spiel setzt, muss als sehr gefährlich eingeschätzt werden. Und ein Parlament, das solchen Machenschaften nicht mit den nötigen institutionellen Vorkehrungen Einhalt gebietet, ist rechtsstaatlich gesehen als höchst fahrlässig einzustufen.

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