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«Drecksasylant» verstösst laut Bundesgericht nicht gegen die Menschenwürde

03.03.2014

Wann ist das unflätige Beschimpfen einer Person nach der Antirassismus-Strafnorm Art. 261bis zu bestrafen? Mit dieser Frage hat sich das Bundesgericht beschäftigt und am 6. Februar 2014 einen Entscheid gefällt, dessen Plausibilität nicht auf der Hand liegt. Bemerkenswert in diesem Zusammenhang: Ohne Kenntnis des Urteils hat der UNO-Ausschuss gegen rassistische Diskriminierung gleichentags die Schweiz im Rahmen des CERD-Berichterstattungsverfahrens aufgefordert, sie müsse «für klare und umfassende Definitionen rassistischer Diskriminierung sorgen».

Der Sachverhalt

An der Uhren- und Schmuckmesse in Basel kam es 2007 zu einem unschönen Zwischenfall. Zwei Polizisten nahmen einen algerischen Asylbewerber fest, weil sie ihn des Taschendiebstahls verdächtigten. Vor der versammelten Menge von Schaulustigen betitelte einer der Polizisten den Verdächtigen als "Drecksasylant" und "Sauausländer". Das Basler Kantonsgericht verurteilte den Polizisten daraufhin wegen rassistischer Diskriminierung und belegte ihn mit einer bedingten Geldstrafe. Das Bundesgericht hat dem Betroffenen nun Recht gegeben und seine Verurteilung aufgehoben.

Nur gegen die Ehre – nicht gegen die Menschenwürde?

Das Bundesgericht baut sein Urteil auf dem Gegensatz des Tatbestands der Beschimpfung (Art. 177 StGB), welche gegen die Ehre einer Person gerichtet ist, und der rassistischen Diskriminierung (Art. 261 bis StGB), bei welcher eine Person oder eine Gruppe von Personen «in einer gegen die Menschenwürde verstossenden Weise» herabgesetzt wird. Letzteres sei dann der Fall, wenn der Angegriffene als «Mensch zweiter Klasse behandelt wird» (Erw. 2.5.1.).

Die zentrale Erwägung 2.5.2. des Bundesgerichts lautet wie folgt: «Begriffe wie "Sau", "Dreck" und ähnliche werden im deutschen Sprachraum seit jeher häufig und verbreitet im Rahmen von Unmutsäusserungen und Missfallenskundgebungen verwendet, um einen anderen zu beleidigen, etwa wegen des Geschlechts, der sexuellen Orientierung oder wegen körperlicher oder geistiger Auffälligkeiten. Derartige Äusserungen werden als blosse Beschimpfungen und nicht als Angriffe auf die Menschenwürde empfunden. Nichts anderes gilt bei der Verwendung von Begriffen wie "Sau", "Dreck" und ähnliche in Verbindung mit bestimmten Nationalitäten beziehungsweise Ethnien. Solche Äusserungen werden, jedenfalls soweit sie gegen konkrete einzelne Personen gerichtet sind, vom unbefangenen durchschnittlichen Dritten als mehr oder weniger primitive fremdenfeindlich motivierte Ehrverletzungen, aber nicht als rassistische Angriffe auf die Menschenwürde aufgefasst.» 

Woher nimmt das Bundesgericht seine Einschätzung, Beschimpfungen aufgrund eines Minderheitenmerkmals in Verbindung mit "Dreck-", "Sau-" etc. würden generell «nicht als Angriffe auf die Menschenwürde» empfunden? Diese Einschätzung ist schlicht nicht nachvollziehbar. Wäre sie richtig, so würden Äusserungen wie die in Erw. 2.2.2. genannten "schwarze Sau", "Dreckjugo", "Saujude" apriori nicht unter die Antirassismus-Strafnorm fallen.

Das Bundesgericht lässt jede Sensibilität für Minderheitenperspektiven vermissen, da es indirekt behauptet, solche Wortverbindungen mit einer Gruppenzugehörigkeit würden eine Person nicht zu einem Menschen zweiter Klasse stempeln. Nach allgemeinem Empfinden ist das Gegenteil der Fall.

«In besonderem Masse deplatziert»

Weiter irritiert an diesem Urteil, dass für das Bundesgericht die konkrete Situation der inkriminierten Äusserungen keine Rolle spielt für die Beurteilung, ob sie nur unter Ehrverletzung oder auch (strafverschärfend) unter rassistische Diskriminierung fällt. Immerhin war es ein Vertreter der Staatgewalt, der nach getätigter Festnahme eines Algeriers im Beisein von Schaulustigen an einem öffentlichen Ort diese Äusserungen getätigt hat. Gerade in dieser Situation des Machtgefälles und der öffentlichen Zurschaustellung erscheint die Äusserung als besonders herabsetzend.

Zwar taxiert das Bundesgericht die Äusserungen in der vorliegenden Situation als in einem besonderen Masse deplatziert und inakzeptabel. Relevant ist dieser Punkt nach Ansicht des Gerichts aber nur, um das Mass des Verschuldens bei der Beschimpfung gemäss Art. 177 StGB  festzulegen.

"Rasse" als Sammelbegriff

Mehrere kantonale Gerichtsinstanzen haben die Begriffe "Sauausländer" oder "Drecksasylant" schon als diskriminierend bewertet. Denn wie M.A. Niggli festhält, ist Art. 261bis durchaus anwendbar, wenn sich im konkreten Fall ergibt, dass die Begriffe "Ausländer" oder "Asylant" als blosses Synonym oder als Sammelbegriff für die von der UNO-Konvention gegen rassistische Diskriminierung geschützten Gruppen verwendet wird. «Ein Verhalten wird nicht dadurch straflos, dass es sich gegen mehrere Ethnien bzw. "Rassen" gleichzeitig wendet und die einzelnen Gruppen nicht gesondert aufzählt.» 

Zur Frage, ob Art. 261bis überhaupt auf Begriffe wie "Ausländer" oder "Asylant" angewandt werden kann, welche offensichtlich weder eine "Rasse" noch eine "Ethnie" oder "Religion" ausmachen, nimmt das Bundesgericht nicht eindeutig Stellung. Falls man im Einzelfall annehmen könne, es sei der «rechtliche Status als Ausländer und Asylant» gemeint, so falle dies unstreitig nicht unter den Schutzbereich von Art. 261bis. Doch diese Frage ist für das Bundesgericht letztlich unerheblich, weil es seinen Entscheid einzig auf dem Kriterium des Verstosses gegen die Menschenwürde aufbaut.

Kommentar

Bei näherem Hinsehen erweisen sich die Erwägungen des Bundesgerichts als weltfremd und sophistisch. Denn in der praktischen Anwendung dienen die Ausdrücke "Drecksasylant" und "Sauausländer" zweifellos dazu, einen andern Menschen in seiner Würde herabzusetzen, weil er einer andern Menschenkategorie zugerechnet wird. Diese andere Menschenkategorie wird im Falle der "Ausländer" und "Asylanten" als einfacher Gegensatz zu den "Schweizern" gebildet.  Dies sind typische rassistische Konstrukte.

"Rasse" ist im heutigen sozialwissenschaftlichen Verständnis ein Konstrukt ohne konkreten Gegenstand. Vorbei sind die Zeiten des 18. und 19. Jahrhunderts, wo man sagen konnte, es gibt vier "Rassen", und diese unterscheiden sich nach Physiognomie und Hautfarbe. Heute besteht ein wissenschaftlicher Konsens, dass es solche "Rassen" nicht gibt. Es existiert keine enge wörtliche Bedeutung von "Rasse" mehr.

Im heutigen Verständnis bezeichnet der Begriff "Rasse" die ideologische Vorstellung von Menschengruppen, die als fremd und bedrohlich dargestellt und deshalb als negativ beurteilt und auch bekämpft werden. "Rasse" meint also das verallgemeinerte negative Stereotyp eines fremden Kollektivs, das dem eigenen als Gegenpol entgegengesetzt wird. Inhaltlich kann sich dieses Konstrukt sowohl auf Schwarze wie auch auf "Asylanten" oder "Ausländer/innen" oder "Leute aus dem Balkan" beziehen. Wenn diese Ausdrücke mit beleidigendem Zusatz "Sau-" oder "Dreck-" explizit negativ aufgeladen werden, handelt es sich zweifellos um eine rassistische Herabsetzung. Wird diese auf eine einzelne Person gemünzt, kommt noch die Beschimpfung hinzu.

Die nun vorliegende Auslegung des Art. 261bis StGB durch das Bundesgericht trägt dazu bei, den Schutzzweck der Norm, nämlich den Schutz vor rassistischen Diskriminierungen und der Bekämpfung von Rassismus auszuhöhlen.

Das Bundesgerichts-Urteil lässt sich mit den Vorgaben des internationalen Menschrechtsschutzes nicht vereinbaren. Zufällig hat am Tag der Veröffentlichung des Bundesgerichts-Urteils der UNO-Ausschuss gegen Rassismus (CERD) seine Empfehlungen zum neusten Berichtsverfahren der Schweiz bekannt gemacht. In Punkt 7 auf S. 2 der Concluding Observations äussert der CERD seine Besorgnis über die restriktive Interpretation des Art. 261bis StGB, welche dazu führe, dass die Gerichte Fälle von diskriminierenden Äusserungen oder Handlungen nicht weiter verfolgen mit der Begründung, dass sie sich nicht gegen eine bestimmte Nationalität oder Ethnie richten würden. Das Urteil des Bundesgerichts gibt leider eine ausgezeichnete Illustration für diesen Vorwurf, auch wenn die Begründung eine andere war.

Fazit: Das Bundesgericht hat in diesem Falle – im Gegensatz zum ebenfalls kontrovers aufgenommenen BGE 138 III 641, der auch vom Rassismus-Verständnis handelte - leider völlig an der Sache vorbei geurteilt. Es wäre sehr zu wünschen, wenn es in diesem Punkt über die Bücher gehen würde.

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