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THEO W.

Theo W.: Chronik eines angekündigten Todes in der Psychiatrie

14.04.2024

Der 18-jährige Theo W. starb am 2. Januar 2021 im Universitätsspital Zürich an einem schweren Schädelhirntrauma. Er war als Notfall per Hubschrauber aus der PDAG (Psychiatrischen Klinik Königsfelden im Kanton Aargau) eingeliefert worden. Obwohl er sich selbst seit über einer Woche Verletzungen zugefügt hatte, wurden die sichtbaren körperlichen Verletzungen erst behandelt, als er im Koma lag.

Theo litt am Asperger-Syndrom und wurde auf Anraten der behandelnden Psychologin im Mai 2020 in der Kinder- und Jugendpsychiatrie der Psychiatrischen Dienste Aargau (PDAG) vorgestellt und aufgenommen. Seine Verhaltensauffälligkeiten hatten sich durch die Situation während der Corona-Pandemie und dem Schulstress akzentuiert und die Eltern wussten nicht mehr damit umzugehen. Lange waren sich die Psychiater*innen in der PDAG nicht sicher, welche Probleme Theo hatte. Letztendlich schwankten sie zwischen einer Zwangserkrankung und Psychose, auf das Asperger-Syndrom wurde kaum eingegangen. Mit der Zeit entwickelte Theo dort immer mehr und schlimmere Zwänge. Versuche ihn nach Hause zu holen, scheiterten. Nach einem Vorfall (Theo schubste seine Mutter) wurde er schliesslich am 18. November 2020 in einer spontanen Aktion von der Kinderpsychiatrie in die Erwachsenenabteilung verlegt. Dies, weil er vermehrt, meist verbal-aggressives Verhalten zeigte und man in der KJP mit seinem Verhalten überfordert war. Der Wechsel war für Theo als Person mit Asperger-Syndrom zu schnell und er vermisste auch die bekannten Pflegerinnen. Auf die Frage der Mutter, warum er diese inakzeptablen Verhaltensweisen zeige, meinte Theo mehrmals, durch die Medikamente fühle er nichts mehr – das sei so schlimm, dass er versuche, wieder Angst zu spüren.

In der Erwachsenenabteilung nahm laut den Eltern «das Unheil seinen Lauf». Den Eltern wurde relativ schnell nach Eintritt mitgeteilt, dass sich Theo von ihnen «abnabeln» müsste. Weil er sich aufregen würde, wenn die Eltern kämen, würden Besuche nur noch einmal pro Woche gewährt. Später wurden die Besuche wegen den Einschränkungen während der Corona-Pandemie eine Zeit lang gänzlich untersagt. Auch telefonieren durften die Eltern nur noch selten mit ihm.

Theo hatte seine Eltern schriftlich als Vertrauenspersonen eingesetzt. Trotzdem unterliess man es in der Erwachsenenpsychiatrie nach einer gewissen Zeit, die Eltern hinsichtlich der Behandlung und der Änderung von Medikation etc. einzubinden und zu informieren. Viele rechtliche Dokumente wurden nicht übergeben. Die Eltern wurden überdies nicht konsultiert, als die Fürsorgerische Unterbringung verfügt und am 22.12.2020 verlängert wurde.

Gemäss dem Prognoseinstrument BROESET zur Einschätzung des Gewaltrisikos wies Theo ein sehr geringes Gewaltpotenzial auf. Trotzdem wurde er aufgrund seiner Verhaltensauffälligkeiten isoliert. Vom 29.11.2020 befand er sich bis am 30.12.2020 an den meisten Tagen während ca. 23 Stunden in einer Isolationszelle. Ab Ende November 2020, also über 30 Tage, war er sich durchgehend in einem Isolationszimmer. Dies, obwohl die krank machenden Auswirkungen solcher Isolationen sehr gut erforscht sind. Sie umfassen:

  • Angst, Panikattacken, Depression, Ärger, rasende Wut, Wahrnehmungsstörungen bis hin zur totalen Konfusion, Sinnesstörungen, Halluzinationen, Paranoia, Psychose, Selbstverletzung und Suizid.
  • Die Praxis der «Langzeit-Einzelhaft» - eine mehr als 15 aufeinanderfolgende Tage andauernde Einzelhaft – ist durch die Nelson Mandela Regeln absolut verboten (Regel 43). Trotzdem wird diese gesundheitsschädigende Praxis in der Schweiz nach wie vor regelmässig und teilweise während Monaten oder Jahren angewendet.
  • Der UNO-Sonderberichterstatter Nils Melzer hatte die Schweiz im Fall Brian für diese Praxis besonders scharf kritisiert: «Jede Überschreitung der 15 Tage verletzt das Misshandlungsverbot», so Melzer.
  • Entgegen einem in der Schweiz vorherrschenden Irrtum beziehe sich dieses Verbot nicht nur auf «Isolationshaft», bei der die Sinneswahrnehmung gezielt beeinträchtigt wird (sensory isolation), sondern ausdrücklich auf jede Form der Einzelhaft (solitary confinement). Also auf jede Absonderung des Gefangenen für mindestens 22 Stunden pro Tag ohne wirklichen zwischenmenschlichen Kontakt. Theo war in der Fürsorgerischen Unterbringung über 30 Tage lang isoliert. Er hatte nie eine Straftat begangen.

Bei Theo waren die negativen Folgen dieser langen Isolation deutlich sichtbar. Es wurde zugesehen, wie er sich selbst verletzt. Dennoch liessen ihn die Verantwortlichen in Isolation. In der KJP wurde Theo als humorvoll und liebevoll beschrieben und es wurde angemerkt, dass Theo viel Spaziergänge brauche und einen hohen Bewegungsdrang habe. Bereits im November 2020 verletzte sich Theo ein erstes Mal selbst. Es folgten ab dem 21.12.2020, also nach über 3 Wochen Isolation, kontinuierliche Selbstverletzungen. Mehrmals warf sich Theo unter Beobachtung des Pflegepersonals auf den Boden und schlug mit dem Kopf auf. Trotz sichtbaren Kopfverletzungen und zahlreichen Hämatomen am ganzen Körper lieferte man ihn nicht in ein Spital ein.

Am 30.12.2020 fand man Theo bewusstlos im Isolationszimmer. Er wurde per Helikopter ins Universitätsspital Zürich gebracht. Die Ärzte teilten den Eltern mit, dass der Zustand von Theos Gehirn bedeute, dass er keine Chance auf ein Leben habe. Am 2. Januar 2021 verstarb Theo an seinen Hirnverletzungen. Theo hätte niemals so lange im Isolationszimmer sein dürfen.
Die Eltern meldeten den Tod ihres Sohnes beim Departement für Gesundheit des Kantons Aargau und dieses hat ein Aufsichtsverfahren gegen die PDAG im Jahr 2021 eingeleitet sowohl zur Organisation als auch zum Fall ihres Sohnes. Dieses ist noch nicht abgeschlossen. Die Staatsanwaltschaft hat Ermittlungen eröffnet.

Der Menschenrechtsanwalt Philip Stolkin unterstützt die Eltern und führt das Verfahren. Laut Stolkin war es die Lieblosigkeit im Umgang mit Theo, die menschenverachtende Arroganz, die Isolation und die Selbstgerechtigkeit der Ärzt*innen, die Theo das Leben gekostet haben.

kontakt

Livia Schmid
Leiterin Beratungsstelle Freiheitsentzug

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