05.04.2010
Gemäss Bundesgericht umfasst das mit der Europäischen Union bestehende Freizügigkeitsabkommen eines in der Schweiz ansässigen Ausländers das Recht auf den Nachzug des Ehegatten samt dessen aus einer vorehelichen Beziehung stammenden Kindern.
Sachverhalt
Der aus dem Kosovo stammende Beschwerdeführer heiratete im Oktober 2002 in seiner Heimat eine französische Staatsangehörige. Im Dezember 2003 zog er mit einer Aufenthaltsbewilligung EG/EFTA zu seiner im Kanton Neuenburg lebenden Ehefrau. Im April 2004 nahm der Beschwerdeführer Wohnsitz im Kanton Zürich, wo er erneut eine Aufenthaltsbewilligung EG/EFTA erhielt, die später bis zum Juli 2012 verlängert wurde.
Am 30. August 2007 ersuchten der Beschwerdeführer und seine Ehefrau um Einreise- und Aufenthaltsbewilligung im Familiennachzug für die beiden im Kosovo lebenden Kinder. Die Kinder stammen aus der Beziehung des damals unverheirateten Beschwerdeführers mit einer ebenfalls im Kosovo lebenden Landsfrau. Mit Verfügung vom 11. Dezember 2007 verweigerte die Sicherheitsdirektion (Migrationsamt) des Kantons Zürich den Nachzug der Kinder.
Am 13. August 2008 wies der Regierungsrat des Kantons Zürich einen dagegen gerichteten Rekurs im Wesentlichen ab. Mit Urteil vom 4. März 2009 wies das Verwaltungsgericht des Kantons Zürich, 4. Kammer, eine dagegen erhobene Beschwerde ebenfalls ab.
Wer wird als Familienangehöriger der Person, welche gestützt auf das Freizügigkeitsabkommen über ein Aufenthaltsrecht verfügt, vom Anspruch auf Familiennachzug erfasst?
Art. 7 lit. d des Abkommens zwischen der Schweiz und der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten über die Freizügigkeit (nachfolgend FZA) regelt unter anderem das Aufenthaltsrecht der Familienangehörigen der Staatsangehörigen der Vertragsstaaten. Das Aufenthaltsrecht gemäss FZA gilt grundsätzlich für alle Familienangehörigen und zwar ungeachtet deren Staatsangehörigkeit.
Gemäss FZA haben die Familienangehörigen einer Person, die Staatsangehörige einer Vertragspartei des Abkommens ist und ein Aufenthaltsrecht hat, das Recht, bei ihr Wohnung zu nehmen. Als Familienangehörige gelten insbesondere, der Ehegatte und die Verwandten in absteigender Linie, die noch nicht 21 Jahre alt sind oder denen Unterhalt gewährt wird, sowie die Verwandten und die Verwandten des Ehegatten in aufsteigender Linie, denen Unterhalt gewährt wird (vgl. Art. 3 Abs. 2 lit. a und b Anhang I FZA). Der Beschwerdeführer ist selbst nicht EU-Bürger; er ist aber mit einer französischen Staatsangehörigen und damit einer Unionsbürgerin verheiratet, die in der Schweiz eine Anwesenheitsbewilligung hat. Gestützt auf Art. 3 Abs. 2 lit. a Anhang I FZA erhielt er damit aufgrund des ehelichen Verhältnisses eine Aufenthaltsbewilligung EG/EFTA.
Strittig war, ob auch die ausländischen Kinder aus einer vorehelichen Beziehung des Beschwerdeführers aus dem Freizügigkeitsabkommen ein Aufenthaltsrecht ableiten können.
Praxisänderung: Vorheriger rechtmässigen Aufenthalts der fraglichen Personen in einem EU- oder Efta-Staat nicht mehr erforderlich
Die kantonalen Behörden hatten den Familiennachzug für die Stiefkinder mit der Begründung verweigert, dass dies nur in Betracht käme, wenn die fraglichen Personen sich schon rechtmässig in einem Staat der EU oder der Efta aufgehalten hätten. Diese Auffassung stützte sich auf die vom Bundesgericht übernommenen Akrich-Praxis des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften, nachfolgend EuGH (Urteil C-109/01 vom 23. September 2003). Diese Praxis wurde jedoch mit dem Urteil Metock vom 25. Juli 2008 (Urteil C-127/08) vom EuGH aufgegeben. Der Gerichtshof begründete die Praxisänderung damit, dass eine Voraussetzung, welche das Recht auf Familiennachzug von einem vorherigen rechtmässigen Aufenthalt in einem Mitgliedstaat abhängig mache, die gemeinschaftsrechtliche Regelung der Familienvereinigung verletze. Die Übernahme dieser Praxisänderung des EuGH drängt sich gemäss Bundesgericht insbesondere im Interesse einer «parallelen Rechtslage» auf.
Somit hängt ein allfälliger Nachzug der Kinder eines ausländischen Ehegatten einer Person, welche gestützt auf das Freizügigkeitsabkommens über ein Aufenthaltsrecht verfügt, nicht mehr davon ab, ob die Kinder sich bereits rechtmässig in einem EU- oder Efta-Staat aufgehalten haben.
Auch Stiefkinder zählen zu denjenigen Personen, für welche der Familiennachzug geltend gemacht werden kann
Zu klären war noch die Frage, ob auch Stiefkinder vom Anspruch auf Familiennachzug erfasst werden. Gemäss Art. 3 Abs. 2 Anhang I lit. a FZA werden «der Ehegatte und die Verwandten in absteigender Linie», nach lit. b «die Verwandten und die Verwandten des Ehegatten in aufsteigender Linie» zu den nachzugsberechtigten Familienangehörigen gezählt. Das Bundesgericht stellte fest, dass aufgrund des deutschen Wortlauts des Freizügigkeitsabkommens zwar daran gezweifelt werden könne, ob auch Stiefkinder vom Familiennachzug erfasst würden, doch sprächen der französische und der italienische Text für eine Ausweitung auf Stiefkinder. Diese Interpretation entspreche im Übrigen auch dem Zweck der Familienvereinigung.
Kein vorbehaltloser Anspruch auf Familiennachzug
Anzumerken bleibt, dass der Anspruch auf Familiennachzug nicht vorbehaltlos gilt.
Voraussetzung ist zunächst, wie bereits ausgeführt, dass die Kinder noch nicht 21 Jahre alt sein dürfen, ansonsten diese vom Anwendungsbereich des Art. 3 Abs. 2 Anhang I FZA gar nicht erfasst werden.
Des Weiteren muss der EU-Angehörige, um dessen Personenfreizügigkeit es ja letztlich gehe, mit dem Nachzug der Stiefkinder einverstanden sein, da dieser sonst gar nicht der Gewährleistung des Freizügigkeitsrechts diene.
Im Übrigen gilt es aus Sicht des Bundesgerichts insbesondere, «familienrechtliche Scheinbeziehungen vom Nachzugsrecht auszuschliessen». Diesbezüglich sei zu verlangen, dass bereits vor der Familienvereinigung ein (soziales) Familienleben tatsächlich bestanden habe, wobei die Familienangehörigen freilich nicht zusammen gewohnt, wohl aber ihre Beziehung mit minimaler Intensität gelebt haben müssten. Bei Minderjährigen habe der nachziehende Ehegatte sodann die zivilrechtliche Verantwortung für das Kind zu tragen; er müsse daher entweder über das Sorgerecht oder bei geteiltem Sorgerecht über das Einverständnis des anderen Elternteils verfügen. Damit die nachzuziehenden Angehörigen bei der freizügigkeitsberechtigten Person Wohnung nehmen können (vgl. Art. 3 Abs. 1 erster Satz Anhang I FZA), habe dafür auch eine Wohnung vorhanden zu sein, die den für Inländer geltenden normalen Anforderungen entspreche (vgl. Art. 3 Abs. 1 zweiter Satz Anhang I FZA). Schliesslich dürfe der Nachzugsentscheid der Eltern mit Blick auf die Anforderungen der Kinderrechtskonvention nicht in offensichtlichem Widerspruch zum Kindeswohl stehen.
- Familiennachzug von Drittstaatsangehörigen durch Staatsangehörige aus
der EU /
Übernahme des Urteils Metock des EuGH vom 25. Juli 2008 (C-127/08) durch das BGer (pdf, 3 S.)
Rundschreiben des Bundesamtes für Migration vom 27. Januar 2010