12.09.2013
Ausländer, die lediglich über eine Aufenthaltsbewilligung verfügen, können einen absoluten Anspruch auf Nachzug ihres Ehegatten haben. Laut Bundesgericht ergibt sich diese Abweichung vom Ausländergesetz aus der Europäischen Menschenrechtskonvention.
Artikel 44 des Ausländergesetzes (AuG) sieht vor, dass «Personen mit Aufenthaltsbewilligung der Nachzug des Ehegatten erlaubt werden kann». Möglich ist dies unter anderem dann, wenn die Betroffenen später in der Schweiz nicht auf Sozialhilfe angewiesen sind.
Aus «kann» wird «muss»
Das Bundesgericht hat nun entschieden, dass aus dem «kann» in Artikel 44 AuG in gewissen Situation ein «muss» wird. Laut Gericht ergibt sich ein solcher unbedingter Anspruch auf Nachzug direkt aus dem Recht auf Achtung des Familienlebens gemäss Artikel 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK).
Einen entsprechenden Fall hatte das Gericht an seiner öffentlichen Beratung vom 5. September 2013 zu beurteilen. Dabei ging es um einen anerkannten Flüchtling aus Eritrea, der über eine Aufenthaltsbewilligung verfügt. Er hatte erst nach seiner Flucht in die Schweiz eine Landsfrau geheiratet, die sich im Sudan aufhält.
Die Zürcher Justiz hatte es abgelehnt, der Frau eine Aufenthaltsbewilligung zu erteilen. Das Bundesgericht hat diesen Entscheid nun zwar bestätigt, da es wie die Zürcher Justiz davon ausgeht, dass das Paar in der Schweiz sozialhilfeabhängig wäre.
Zusammenleben nur hier zumutbar
Wäre dies nicht der Fall und wären auch die übrigen rechtlichen Voraussetzungen erfüllt, hätte dem Mann allerdings nach Ansicht der Richtermehrheit trotz der «Kann-Vorschrift» von Artikel 44 AuG der Nachzug seiner Gattin erlaubt werden müssen.
Das ergebe sich aus der EMRK, weil dem Ehepaar ein Zusammenleben weder in Eritrea noch im Sudan zuzumuten sei. Der unterlegene Richter hatte die Ansicht vertreten, dass sich aus der Praxis des Menschenrechtsgerichtshof auch in solchen Fällen kein Nachzugsrecht ergebe. Artikel 44 AuG sei ohne Abstriche mit der EMRK vereinbar.
Dem wurde entgegengehalten, dass der Gesetzgeber mit Artikel 44 AuG nicht die Situation von Flüchtlingen im Auge gehabt habe. Dem Bundesgericht komme auch die Aufgabe zu, der EMRK innerhalb der Schweizer Rechtsordnung zur Anwendung zu verhelfen. Es sei wenig sinnvoll, zunächst eine Verurteilung aus Strassburg abzuwarten.
(Quelle: sda)