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Der Schutz der Privatsphäre am Arbeitsplatz

04.08.2015

Arbeitgeber haben dank moderner Technologien ungeahnte Möglichkeiten, ihre Angestellten zu überwachen und zu kontrollieren. Es stellt sich die Frage, ob und unter welchen Umständen sich Arbeitnehmende gegen diese Form der Kontrolle wehren können. Professor Dr. Kurt Pärli, Dozent für Europarecht, Arbeits- und Sozialrecht und Leiter Zentrum für Sozialrecht an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW), geht in einem Artikel für die Europäische Zeitschrift für Arbeitsrecht (EUZA) dieser Frage nach. Er zeigt darin unter anderem auf, welche Praktiken der Arbeitgeber nicht erlaubt sind.

Auswirkungen der Digitalisierung auf die Privatsphäre

Der Artikel von Pärli befasst sich mit einem Thema, das bisher wenig Beachtung fand, obwohl die Überwachung eines Arbeitnehmenden teilweise weitgehende Eingriffe in dessen Grundrechte zur Folge hat. Die Bedrohung der Privatsphäre von Arbeitnehmenden durch den technologischen Fortschritt ist zwar nicht erst mit dem Internetzeitalter aufgetaucht. Die Entwicklungen der letzten Jahre und die damit einhergehende Digitalisierung verstärken die Überwachungs- und Kontrollmöglichkeiten gemäss Pärli jedoch enorm. Software, spezifische Geräte, Datenverknüpfung und Datenanalyse erlauben den Arbeitgebenden genaue Informationen über das Verhalten ihrer Angestellten zu erhalten.

Lidl überwachte, wie oft Angestellte auf die Toilette gehen

Die digitale Überwachung von Arbeitnehmenden ist nicht eine mögliche Bedrohung der Zukunft, sondern Realität, wie Pärli mit Blick auf die gerichtliche Praxis feststellt. So hat beispielsweise der Lidl-Konzern mittels versteckter Kameras die Häufigkeit des Toilettengangs der Angestellten überprüft. Datenschutzbehörden mehrerer deutscher Bundesländer verlangten für dieses rechtswidrige Verhalten des Unternehmens fast 1,5 Mio. Euro Bussgelder.

In einem anderen Fall kam das Schweizerische Bundesgericht zum Schluss, dass der Einsatz von Spionage-Software unzulässig sei, obwohl damit nachgewiesen werden konnte, dass der fragliche Mitarbeiter 70% seiner Zeit am Computer für ausserdienstliche Zwecke benutzte. Die illegal erhobenen Beweise waren somit nicht verwertbar und die fristlose Entlassung unrechtmässig.

Auch die Deutsche Bahn hat sich im Jahr 2009 mit der Durchsuchung von E-Mails und Computern von 173‘000 Beschäftigten ohne Verdachtsgrund strafbar gemacht und ist für dieses Fehlverhalten von den Berliner Datenschutzbehörden gebüsst worden.

Zudem kommt es immer wieder zu Fällen, in denen Unternehmen ihren Mitarbeitenden auf Facebook nachspionieren oder unerlaubt umfangreiche Internetrecherchen zu Stellenbewerbenden tätigen. Ein weiteres Problem für den Schutz der Privatsphäre von Arbeitnehmenden können automatisch optimierte Arbeitsabläufe darstellen. Wenn mittels Computer die Pausenzeiten der Beschäftigten festgelegt werden, ist es diesen unter anderem nicht möglich sich mit bestimmten Kollegen oder Kolleginnen für die Pause zu verabreden.

Abwägung verschiedener Interessen

Das Verhältnis zwischen der Digitalisierung und der Bedrohung der Privatsphäre am Arbeitsplatz stellt sich als vielschichtig und komplex heraus, wie Pärli darlegt. Die Digitalisierung geht demnach nicht nur mit der Möglichkeit eines Unternehmens zur Überwachung seiner Beschäftigten einher, sondern stellt mit der E-Mail- und Internetnutzung durch die Arbeitnehmenden im Gegenzug auch ein Missbrauchspotential zulasten der Arbeitgeber dar. Auch die Aufhebung der Trennung zwischen Arbeits- und Freizeit ist nicht per se gut oder schlecht, wie Pärli schreibt, da sie einerseits die Privatsphäre einschränken kann, andererseits jedoch eine bessere Organisation der Freizeitaktivitäten und des Familienlebens der Arbeitnehmenden ermöglicht.

So kann, falls das öffentliche oder private Interesse des Arbeitgebers überwiegt, durchaus eine Einschränkung der Privatsphäre zulässig sein, wie Pärli festhält. Bei der Beurteilung eines möglichen Eingriffes in die Privatsphäre des/der Arbeitnehmenden am Arbeitsplatz stellt sich für die Rechtspraxis die schwierige und bedeutende Aufgabe, zwischen den berechtigten Interessen der Arbeitnehmenden und Arbeitgeber sachgerechte Abwägungen vorzunehmen. Als Orientierungsrahmen dienen dabei Gehalt und Schranken des Rechts auf Privatsphäre am Arbeitsplatz, wie sie etwa in der Rechtsprechung des EGMR zu Art. 8 EMRK herausgearbeitet worden sind.

Der Schutzbereich von Art. 8 EMRK

Nach Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jede Person das Recht auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens, ihrer Wohnung und ihrer Korrespondenz. Eingriffe in dieses Menschenrecht sind nur unter gewissen in Art. 8 Abs. 2 EMRK aufgeführten Bedingungen zulässig. Mehrere wichtige Entscheide des EGMR haben dazu geführt, dass der Schutz der Privatsphäre am Arbeitsplatz heute klarer umrissen werden kann. Der EGMR weitete den Geltungsbereich von Art. 8 EMRK nämlich auch auf den Arbeitsplatz aus, indem er die Berufswelt unter den Schutzbereich des Privatlebens subsumierte und als er entschied, dass der Begriff der Korrespondenz auch E-Mails und Internetnutzung beinhalte. Das Recht auf Privatleben umfasst gemäss dem EGMR unter anderem auch das Recht, Beziehungen mit anderen Menschen zu knüpfen und zu pflegen, miteingeschlossen am Arbeitsplatz. Dementsprechend tangieren betriebliche Pausenregelungen, die einen sozialen Austausch verunmöglichen, Kodizes, die Liebesbeziehungen oder einfache private «Dates» zwischen Mitarbeitenden verschiedener Hierarchiestufen verbieten sowie Betriebsreglemente, die jede private Nutzung von E-Mail, Telefon oder Internet während der Arbeitszeit untersagen, das Recht auf Privatleben nach Art. 8 Abs. 1 EMRK.

Dahingehende Reglemente sind an sich nicht verboten, müssen aber im Sinne von Art. 8 Abs. 2 EMRK gerechtfertigt werden können. Für die Zulässigkeit eines Eingriffes ist also eine gesetzliche Grundlage notwendig, der Eingriff muss einem in Art. 8 Abs. 2 EMRK aufgeführten Zweck dienen und überdies verhältnismässig sein. Eine sachgerechte Interessenabwägung ist demnach notwendig, wobei das rein betriebliche Interesse des/der Arbeitsgebers/-in keinen ausreichenden Rechtfertigungsgrund für eine Einschränkung darstellt.

Verantwortung der Gerichte, Gesetzgeber und Sozialpartner

Das Recht auf Privatsphäre erstreckt sich also auch auf den Arbeitsplatz. Bei allfälligen möglichen Einschränkungen sind die innerstaatlichen Gerichte gefordert, die Abwägungsentscheide zwischen den unterschiedlichen Interessen der Arbeitgeber und der Arbeitnehmenden zu gewährleisten. Um solche Fragen und Herausforderungen effizient angehen zu können, bedarf es gemäss Pärli allerdings mehr als dem in völkerrechtlichen Verträgen und verfassungsmässig gesicherten Menschenrecht auf Schutz der Privatsphäre und Datenschutz. Pärli vertritt die Ansicht, dass auch die innerstaatlichen Gesetzgeber einen Teil der Verantwortung übernehmen müssen, indem sie das bestehende Recht auf Gesetzes- und Verordnungsstufe konkretisieren. Nicht zuletzt seien die Sozialpartner gefordert, der Thematik bei der Ausarbeitung von Gesamtarbeitsverträgen und in der konkreten betrieblichen Umsetzung die nötige Beachtung zu schenken.