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Moratorium für nicht-zeitgemässe Sicherheitszelle auf dem Thorberg

17.02.2016

Ein Insasse wurde in der Berner Justizvollzugsanstalt Thorberg anfangs Januar 2016 in einer Überwachungszelle während mehreren Stunden an eine Wand fixiert. Dies berichtete die Tageszeitung «Der Bund». Nach der Veröffentlichung der Geschichte entschied das Amt für Freiheitsentzug und Betreuung, diese Überwachungszelle vorübergehend nicht mehr zu verwenden und alternative Möglichkeiten  zu prüfen.

Die Empfehlungen der NKVF ignoriert?

Die Nationale Kommission zur Verhütung von Folter (NKVF) hatte die betreffende Einrichtung in der Anstalt Thorberg bereits in einem Bericht von 2012 erwähnt: Der Insasse wird bei dieser Massnahme auf einem Bett sitzend mittels Handschellen an zwei an der Wand fixierten Haken an die Wand festgebunden. Sinn und Zweck einer solchen Massnahme ist die Ruhigstellung von Personen, welche die Selbstkontrolle verlieren. Voraussetzung für die Anordnung ist eine Selbst- oder Fremdgefährdung. Um Selbstverletzungen zu verhindern, werde den Betroffenen zudem ein Kopfschutz angezogen.

In ihrem Bericht von 2012 dokumentierte die NKVF, dass gemäss der damaligen Direktion solche Fixierungen nur während maximal 1-2 Stunden durchgeführt würden und diese zwingend durch die Direktion und einen Mitarbeiter des Forensisch-Psychiatrischen Dienstes autorisiert werden müssten. Die NKVF machte damals die Empfehlung, ein internes Reglement für die Nutzung dieser Zelle zu erlassen und ein Register zur Dokumentation zu erstellen. Zudem äusserte die Kommission die Ansicht, dass bei der Fixierung ein Mitglied des medizinischen Dienstes anwesend sein sollte.

Der jüngste Fall zeigt, dass diese Empfehlungen nicht umgesetzt worden sind. So ordnete der aktuelle Thorberg-Direktor, Thomas Egger, die Massnahme auf eigene Faust an. Begründet wurde dies damit, dass sich der Mitarbeiter des Forensisch-Psychiatrischen Dienstes im Pikettdienst befand und die Anreise deshalb so lange dauerte. Der Thorberg-Direktor erklärte ausserdem, dass eine solche Fixierung gut drei bis fünf Stunden dauern kann, - also mehr als doppelt so lang als früher der NKVF mitgeteilt.

Auch hat die Anstalt bis heute keine formellen Richtlinien zur Nutzung dieser Sicherheitszelle erlassen. Diese Empfehlung hatte der Regierungsrat in einer Stellungnahme mit Verweis auf entsprechende geplante Bestimmungen im Betriebshandbuch abgelehnt. Ungeklärt ist, ob die Empfehlung der NKVF zur Anwesenheit eines Vertreters des medizinischen Dienstes umgesetzt und im konkreten Fall angewandt wurde. Nicht umgesetzt wurde offenbar die Empfehlung der Dokumentation der Vorfälle: Thomas Freytag, Vorsteher des Amtes für Freiheitsentzug und Betreuung, sagte in einem Interview mit SRF explizit, dass keine Statistiken vorliegen.

Die Geschäftsführerin der NKVF, Sandra Imhof, kündigte im Bund nun eine Überprüfung der Umsetzungen der Empfehlungen von 2012 durch die NKVF an. Die spezielle Überwachungszelle stufte sie im «Bund»-Artikel als «nicht mehr zeitgemäss» ein. Auch die frühere Leiterin des Forensisch-Psychiatrischen Dienstes (FPD), Anneliese Ermer, bezeichnete das Vorgehen auf dem Thorberg als «unstatthaft».

Der Vorsteher des Amtes für Freiheitsentzug und Betreuung, Thomas Freytag, hat nun rasch reagiert und beschlossen, diese Methode zur Ruhigstellung vorübergehend nicht mehr anzuwenden.

(Menschen-)rechtliche Grundlagen

Gemäss den Empfehlungen des Europarats (Europäische Strafvollzugsgrundsätze 2006, 68.2 ff.) ist die Verwendung von Handfesseln, Zwangsjacken und anderer körperlicher Zwangsmittel nur in absoluten Ausnahmesituationen gestattet: Nämlich dann, wenn andere Sicherungsmassnahmen versagen, um Gefangene von einer Verletzung ihrer selbst oder anderer oder von einer schweren Sachbeschädigung abzuhalten. Der Anstaltsleiter hat in diesen Fällen sofort den/die Arzt/Ärztin zu informieren und der vorgesetzten Strafvollzugsbehörde zu berichten. Zwangsmittel dürfen zudem nicht länger als unbedingt notwendig angewendet werden.

Auch Art. 58 des Gesetzes über den Straf- und Massnahmenvollzug (SMVG), auf welches sich die Anstaltsdirektion stützte, verweist explizit auf das Gebot der Verhältnismässigkeit: So dürfen solche Massnahmen nur solange andauern, wie ein zwingender Grund besteht (Art. 58 Abs. 5). Gemäss Art. 19 Abs. 1 SMVG haben Eingewiesene zudem Anspruch auf Achtung ihrer Persönlichkeit und Menschenwürde.

Warum keine Gummizelle?

Es steht ausser Frage, dass die Handhabung von Extremsituationen, bei welchen inhaftierte Personen die Kontrolle über sich verlieren und sich selber oder andere Menschen gefährden, für alle beteiligten Personen eine grosse Herausforderung darstellt. Es fehlen die notwendigen Informationen, um die Verhältnismässigkeit der Anordnung der Massnahme abschliessend zu beurteilen. Allerdings wäre die Platzierung in einer Gummizelle grundsätzlich das zeitgemässere Mittel, um Personen, die ausrasten zu beruhigen. Doch der Thorberg verfügt über keine Gummizelle: Eine solche müsste deshalb dringend erstellt werden.

Als klar unzumutbar und damit unverhältnismässig erscheint in jedem Fall die lange Dauer der Fixierung von 3 bis 5 Stunden. Eine solche Fixierung stellt einen schwerwiegenden Eingriff in die Grundrechte der betroffenen Person und unter Umständen ein traumatisches Erlebnis dar. Sie darf deshalb nur als letztes Mittel und nur so lange wie unbedingt nötig stattfinden. Vorliegend hätte eine schnellstmögliche Verlegung in eine spezialisierte psychiatrische Abteilung (wie etwa die forensisch-psychiatrische Station Etoine) oder in die Bewachungsstation des Inselspitals vorgenommen werden müssen.

Es bleibt festzuhalten, dass die Anordnung von unverhältnismässigen Zwangsmassnahmen aufgrund fehlender baulicher (Gummizelle) oder personeller Ressourcen, unter keinen Umständen gerechtfertigt werden kann. Die zuständigen Behörden sind angehalten, alle nötigen baulichen und personellen Vorkehrungen zu treffen, um einen solchen Fall in Zukunft zu verhindern. 

Besonders bedenklich ist der Umstand, dass die Empfehlungen der NKVF von 2012 offenbar nur ungenügend umgesetzt oder sogar ignoriert wurden. Es ist kein gutes Zeichen, dass erst die mediale Veröffentlichung eines Einzelfalles zur Sistierung dieser Praxis geführt hat.

Dokumentation