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Die UNO-Richtlinien zur Haft von Asylsuchenden und die Schweiz

26.11.2012

Das UNO-Hochkommissariat für Flüchtlinge UNHCR hat neue Richtlinien zur Haft von Asylsuchenden veröffentlicht. Diese ersetzen die UNHCR-Richtlinien von 1999 und widerspiegeln den Stand der Dinge im internationalen Recht.

Die 2012 publizierten Richtlinien enthalten zehn grundlegende Prinzipien. Wichtigster Grundsatz ist, dass jede Person das Recht hat, in anderen Ländern um Asyl zu ersuchen und vor Verfolgung, Menschenrechtsverletzungen und anderen ernsthaften Schäden beschützt zu werden. Ein Asylgesuch stellt demnach immer einen rechtmässigen Akt dar und automatische Formen der Inhaftierung sind nach internationalem Recht in jedem Fall verboten. Weiter ist eine Inhaftierung, welche den Zweck der Abschreckung von zukünftigen Asylsuchenden verfolgt, gemäss den Richtlinien unzulässig. Weitere Prinzipien sind die Garantie der Rechtssicherheit, die Nicht- Diskriminierung, die rechtliche Verankerung der maximalen Haftdauer, menschenwürdige Haftbedingungen, die Beachtung der speziellen Bedürfnisse (insb. Frauen, Kinder, Personen mit Behinderungen, traumatisierte Personen, Opfer von Menschenhandel, ältere Personen, LGBT), sowie eine unabhängige Überprüfung der Haftzentren.

Vorgaben für die Haftbedingungen

Das Verhältnismässigkeitsprinzip muss gemäss den Richtlinien in jedem Fall berücksichtigt werden. So darf eine Inhaftierung von Asylsuchenden nur als letztes Mittel verfügt werden und muss in der Ausgestaltung notwendig und proportional zu einem legitimen Zweck sein.

Die Inhaftierung von Asylsuchenden darf folglich keinen Strafcharakter aufweisen und sollte nicht in Gefängnissen oder Orten des Strafvollzugs erfolgen. Die Richtlinie 8 («Conditions of detention must be humane and dignified») enthält die Bedingungen für eine menschenwürdige Inhaftierung von Asylsuchenden. Ein Asylsuchender sollte hiernach die Möglichkeit haben, regelmässigen Kontakt (via Telefon oder Internet) mit der Aussenwelt zu haben und Besuche von Verwandten und Freunden oder Nicht-Regierungsorganisationen sowie von religiösen Kontaktpersonen zu empfangen. Zudem müssen Möglichkeiten für körperliche Betätigungen im Innern und an der frischen Luft zur Verfügung stehen. Aktivitäten, die auf Kinder und Frauen zugeschnitten sind und welche kulturelle Faktoren berücksichtigen, sind ebenfalls anzubieten. Weiter muss der Zugang zu Lesematerial und aktuellen Informationen (Zeitungen, Internet, TV) sichergestellt sein. Auch sollten die inhaftierten Asylsuchenden Zugang zu Bildung und Berufsausbildungen haben; Kinder haben das Recht auf Grundschuldbildung. Weitere Grundvoraussetzungen sind der Richtlinie 8 zu entnehmen.

  • Detention Guidelines
    UNHCR-Richtlinien zur Haft von Asylsuchenden und Alternativen zur Haft (pdf, 64 p.)

Defizite in der Schweiz: Haftbedingungen

In der Schweiz sind diese Voraussetzungen insbesondere hinsichtlich der Ausschaffungshaft zu einem grossen Teil nicht erfüllt. Die Ausgestaltung dieser Administrativhaft wird schon lange von verschiedenen Seiten als unverhältnismässig kritisiert wird.

Gemäss einer Studie des Schweizerischen Kompetenzzentrums für Menschenrechte (SKMR) zum Thema «Freiheitsentzug, Polizei und Justiz in der Schweiz» entsprechen die Haftmodalitäten der ausländerrechtlichen Administrativhaft in der Schweiz dem Zweck dieser Art von Freiheitsentzug, nämlich der Sicherstellung der Ausreise ausländischer Staatsangehöriger, regelmässig nur bedingt. So ist die Haft «oft in einem eigentlichen Gefängnisumfeld abzusitzen, wo Beschränkungen der persönlichen Freiheit massiv über das hinausgehen, was vom Haftzweck gefordert wäre».

Die Studie bezieht sich auf die Berichte des Europäischen Komitees  zur Verhütung von Folter (CPT), welches das ausländerrechtliche Haftregime in der Schweiz immer wieder kritisiert hat. Gemäss dem Komitee unterscheiden sich die materiellen Bedingungen der ausländerrechtlichen Haft nicht wesentlich von normalen Haftregimen. Weiter verstärkt werde der Gefängnischarakter durch Defizite beim Aktivitätenprogramm sowie mangelnden infrastrukturellen Voraussetzungen. So werde die Administrativhaft häufig in Einrichtungen vollzogen, die auch dem Strafvollzug oder der Untersuchungshaft dienen und die daher schon aus baulichen Gründen kaum geeignet sind, Administrativinhaftierte menschenrechtskonform aufzunehmen. Zusätzlich werde in der ausländerrechtlichen Haft der Kontakt zur Aussenwelt faktisch gleichermassen restriktiv gehandhabt wie im normalen Strafvollzug.

Gemäss einem Manifest des Komitees «stop détention administrative»  haben mehrere Gutachten gezeigt, dass die Haftbedingungen in manchen Zentren sogar schlechter sind als bei Strafgefangenen. So würden Insassen zum Beispiel 20 Stunden pro Tag in ihrer Zelle eingeschlossen (Wallis), oder es bestehe kein Zutritt zu Aussenräumen und keine Arbeitsmöglichkeit (Bern, Luzern, Wallis) und den Kindern der Insassen würden Besuche prinzipiell verweigert (Wallis).

Angesichts der offenkundigen Mängel drängt sich gemäss der SKMR-Studie eine umfassende Analyse der menschenrechtlich zulässigen Haftbedingungen in der Administrativhaft auf. Hierbei könnten die wichtigsten Eckpunkte definiert und in einem Musterreglement zusammengefasst werden.

…und medizinische Betreuung

Weiter ist in den Richtlinien festgehalten, dass den Inhaftierten eine angemessene medizinische Betreuung zur Verfügung gestellt werden muss. Dies bedeutet unter anderem, dass Inhaftierte ein Anrecht haben, beim Eintritt so schnell wie möglich durch eine Ärztin oder einen Arzt untersucht zu werden.

Weil viele Asylsuchende unter psychologischen und physischen Störungen aufgrund ihrer Inhaftierung leiden, muss gemäss den Richtlinien zudem eine periodische Untersuchung durchgeführt werden, sogar wenn bei der Ankunft keine Symptome auszumachen waren. Wenn bei einer Person gesundheitliche Bedenken vorliegen, muss die betroffene Person angemessen behandelt und eine Entlassung bedacht werden. Insbesondere traumatisierten Menschen gebührt besonderer Aufmerksamkeit; sie dürfen prinzipiell nicht inhaftiert werden.

Gemäss der SKMR-Studie besteht in der Schweiz diesbezüglich Handlungsbedarf: Es wäre zu prüfen, ob inhaftierten Personen ein eigentliches Recht auf medizinische Untersuchungen durch eine Ärztin oder einen Arzt einzuräumen und namentlich – auch aus Gründen der Beweissicherung – eine Verpflichtung zur Durchführung einer Eintrittsuntersuchung zu verankern wäre.

Alternativen zur Haft

Die Richtlinie enthält eine nicht-abschliessende Liste mit Alternativen zur Haft von Asylsuchenden. Dazu gehören verschiedene Formen von Meldepflichten und Aufsichtssystemen, sowie die Unterkunft in bestimmten Aufnahmezentren ohne oder nur mit bedingter Einschränkung der Bewegungsfreiheit. Eine solche Alternative zur Haft stellen in der Schweiz die bestehenden Asylunterkünfte und Empfangsstellen dar, oder auch die neu in Art. 26 verankerten «besonderen Zentren» für renitente Asylsuchende.

Die Ausschaffungshaft hingegen ist mit einer massiven Beschränkung von fundamentalen Rechten verbunden und stellt eine Haft im Sinne der Richtlinie dar. Eine Analyse, welche milderen Mittel bestehen und deshalb zwingend vor einer Inhaftierung anzuwenden wären, ist dringend notwendig. Denn es muss immer wieder in Erinnerung gerufen werden, dass hier Personen bis zu 18 Monaten eingesperrt werden können, ohne dass sie ein Delikt begangen haben.

Dokumentation