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Häusliche Gewalt - Dossier

Häusliche Gewalt – Dossier

Was ist häusliche Gewalt?

Unter den Begriff «Häusliche Gewalt» fallen Handlungen, bei denen eine Person Gewalt androht oder ausübt, sei es innerhalb einer bestehenden oder aufgelösten familiären, ehelichen, eheähnlichen oder partnerschaftlichen Beziehung. Häusliche Gewalt zeigt sich in verschiedenen Formen: physisch, sexuell, psychisch oder ökonomisch. Auch obsessive Belästigung (Stalking), sexuelle Belästigung oder Zwangsheirat und deren Fortführung fallen unter die Definition von häuslicher Gewalt.

Das Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt, genannt Istanbul-Konvention (IK), fungiert für die Schweizer Behörden als Definitionsgrundlage für den Begriff «häusliche Gewalt» (Art. 3 lit. b IK). Der Begriff wird jedoch kritisiert, weil er sich nur auf den privaten Bereich bezieht. Diese Art von Gewalt ist aber viel weiter zu fassen. Sie ist auf Dominanzverhalten zurückzuführen: zwischen Frauen* und Männern* oder Erwachsenen und Kindern sowohl in der Gesellschaft als auch in der Familie. Häusliche Gewalt muss daher als gesellschaftliches Problem und als eine Angelegenheit der öffentlichen Gesundheit betrachtet werden.
«Sexuelle Gewalt» kann zwar in den Bereich «häusliche Gewalt» fallen; sie unterscheidet sich jedoch insofern, als sie auch an öffentlichen Orten oder am Arbeitsplatz vorkommt; sie umfasst im weiteren Sinne auch die Ausbeutung mittels Prostitution, Frauen*- und Mädchenhandel, Zwangsheirat und Genitalverstümmelung sowie geschlechtsspezifische Gewalt gegen heterosexuelle, homosexuelle, bi-sexuelle, weibliche*, männliche* oder intersexuelle Personen.

Häusliche Gewalt und Gewalt gegen Frauen

Der Begriff «häusliche Gewalt» wird häufig mit dem Begriff «Gewalt gegen Frauen» verbunden. Die beiden Realitäten sind eng miteinander verknüpft: Frauen sind überdurchschnittlich stark betroffen, insbesondere wenn es sich um Gewalt durch nahestehende Personen handelt (70% der Opfer sind Frauen). Gewalt gegen Männer ist eine weniger verbreitete auch wenn existierende geschlechtsspezifische Form von Gewalt. Gewalt in der Ehe ist eine Form der häuslichen Gewalt, hingegen wird mit diesem Begriff die Gewalt gegen Frauen* als Ausdrucksform männlicher* Dominanz nicht identifiziert, wodurch dieser Begriff die Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern verschleiert.
Die Herangehensweise an häusliche Gewalt bleibt hetero-normativ, wenn die Fälle in einem Schema der Kernfamilie Vater-Mutter-Kind oder des Paares Mann*-Frau* betrachtet werden, denn die Zusammensetzung der Paare ist in Wirklichkeit viel mannigfaltiger. Studien zur Gewalt gegen homosexuelle Menschen zeigen, dass sie genauso oder sogar stärker von häuslicher Gewalt betroffen sind wie heterosexuelle Menschen. Ebenso wird Gewalt gegen Frauen* meist immer noch in einem binären Geschlechterkonzept verstanden.

Kinder, eine besonders gefährdete Gruppe

Kinder sind von häuslicher Gewalt besonders betroffen: In fast der Hälfte der Polizeieinsätze wegen häuslicher Gewalt sind Kinder zugegen. Sie sind in knapp 20% der strafrechtlich verfolgten Fälle Opfer von häuslicher Gewalt, unabhängig davon, ob die Gewalt von Eltern gegen ihre Kinder, von Kindern gegen ihre Eltern oder zwischen Eltern vorkommt. Die Massnahmen, die zur Bekämpfung der häuslichen Gewalt entwickelt wurden, berücksichtigen die Kinder noch viel zu wenig.

Eine Vielzahl von Einflussfaktoren

Die historisch gewachsenen, ungleichen Machtverhältnisse zwischen Männern* und Frauen* sind eine indirekte Ursache von häuslicher Gewalt, welcher in diesem Sinne einen strukturellen und systemischen Charakter zugeschrieben werden muss. Soziale, wirtschaftliche und persönliche Krisen, die sich mit bestimmten kulturellen Dynamiken, mit Veränderungen in der Partnerschaft, mit interfamiliären Machtunterschieden, mit Abhängigkeiten und/oder mit Isolation verbinden, sind direkte Ursachen für häusliche Gewalt. Das sind Alkoholkonsum, eigene Gewalterfahrungen, Besitzansprüche und das traditionelle Frauenbild* der Gewalttäter, um nur einige Beispiele zu nennen.

* Der Begriff «Männer» bezieht sich auf Personen, die sich ganz oder teilweise mit dem männlichen Geschlecht identifizieren oder die als Jungen/Männer wahrgenommen werden. Diese Definition schließt Transpersonen, nicht-binäre und intergeschlechtliche Menschen ein.

* Der Begriff «Frauen» bezieht sich auf Personen, die sich ganz oder teilweise mit dem weiblichen Geschlecht identifizieren oder die als Mädchen/Frauen wahrgenommen werden. Diese Definition schliesst Transpersonen, nicht-binäre und intergeschlechtliche Menschen ein.

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