humanrights.ch Logo Icon

Beschleunigte Asylverfahren in der Kritik

11.01.2016

Bekanntlich testet der Bund seit Januar 2014 in einem Asylzentrum in Zürich beschleunigte Asylverfahren. Bislang gab es an den Testverfahren wenig Kritik. Nun stellt ein Gutachten von Migrationsexpertin Martina Caroni (Universität Luzern) fest, dass mehrere Aspekte dieser Verfahren das in der Bundesverfassung verankerte Recht auf ein faires Verfahren in Frage stellen.

«Massive Einschränkung des Zugangs zum Recht»

In der aktuellen Ausgestaltung vermöge auch die bereit gestellte Rechtsvertretung die Einschränkung der Verfahrensrechte nicht zu kompensieren, schreiben die Demokratischen Juristinnen und Juristen Schweiz (DJS) in einer Medienmitteilung. Die DJS, die von Anfang an sowohl aufgrund formeller als auch materieller Aspekte grosse Bedenken zum Testverfahren hegten, hatten das Gutachten bei Prof. Martina Caroni in Auftrag gegeben. Man erachte es als wenig fruchtbar, die massive Einschränkung des Zugangs zum Recht und zu einem justizförmigen Verfahren  kritiklos hinzunehmen, meinen die DJS. Deshalb sei das neue Gesetz abzulehnen.

Das neue Asylgesetz

Der Bund testet die beschleunigten Asylverfahren seit Januar 2014 in einem Bundeszentrum in Zürich. Diese Testverfahren haben die Eidg. Räte im Jahre 2012 ermöglicht, als sie dem Bundesrat die Kompetenz zur Beurteilung neuer Verfahrensabläufe auf Verordnungsstufe übertrugen.  In der Herbstsession 2015 entschied das Parlament sodann, die Testphasenverordnung im revidierten Asylgesetz zu übernehmen. Zudem beschlossen die Räte weitere Verschärfungen des Asylgesetzes, wie etwa die Einführung der umstrittenen geschlossenen Zentren für renitente Asylsuchende (siehe hierzu unseren Artikel).

Mit der Gesetzesrevision, welche die Räte im Herbst 2015 beschlossen haben, würden Asylverfahren inklusiv Beschwerdeweg noch maximal 140 Tage dauern. Asylsuchende würden zudem in der Regel für die gesamte Dauer des Verfahrens in Bundeszentren untergebracht. Als Garantie, dass die Verfahren trotz der kurzen Beschwerdefristen noch korrekt ablaufen, sollen Asylsuchende zudem eine kostenlose Rechtsvertretung erhalten.

Im Moment ist unklar, ob die Revision in dieser Form in Kraft tritt. Die SVP, die sich an der  Rechtsvertretung für Asylsuchende stört, sammelt Unterschriften für ein Volksreferendum.

Inhaltliche Kritik

Das Gutachten Caroni kommt nun unter anderem zum Schluss, dass die Unabhängigkeit der Beratung und der Rechtsvertretung im Testverfahren nur ungenügend gewährleistet ist. Problematisch sind etwa  folgende Punkte: Das Staatssekretariat für Migration (SEM) verfügt über die Letztentscheidungsbefugnis  bei personellen Entscheiden in der Beratung und Rechtsvertretung, der/die eingesetzte/r Rechtsvertreter/in kann über eine allfällige Verweigerung der unentgeltlichen Rechtspflege entscheiden. Zudem erhält die Rechtsvertretung eine pauschale Entschädigung für jeden Fall.

Verkürzte Verfahrens- und Beschwerdefristen

Das Rechtsgutachten hält darüber hinaus fest, dass die Verkürzung der Beschwerdefrist von 30 auf 10 Tage als «unzumutbares Hindernis des Zugangs zu einem Gericht und als Verletzung der Rechtsweggarantie nach Art. 29a BV sowie des Verbots des überspitzten Formalismus nach Art. 29 Abs. 1 BV zu qualifizieren» sei. Das Gutachten sieht in den verkürzten Fristen eine Verletzung des verfassungsmässig garantierten Rechts auf ein faires Verfahren. 

Notwendigkeit offensiver Kritik

Die DJS warnen aufgrund der Analyse von Caroni davor, den verschiedentlich positiv bewerteten Betrieb des Testzentrums vorschnell und unkritisch als bewährtes Modell anzupreisen. Sie bemängeln, dass das Testverfahren im Herbst 2015 per Entscheid der Räte nun schon ins Gesetz eingeflossen ist, «bevor überhaupt eine definitive Evaluation der beschleunigten Verfahren vorlag.» Auf der Grundlage des Rechtsgutachtens plädieren die DJS für offensive Kritik an den beschleunigten Asylverfahren. Sie hinterfragen die Politik der verkürzten Verfahren in Bundesasylzentren mit dem Vermerk: «Wir halten eine Lagerpolitik mit Sonderrecht für brandgefährlich.»

Dokumentation