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Häusliche Gewalt - Dossier

Häusliche Gewalt - Internationale Ebene

24.08.2023

Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau (CEDAW)

Das UN-Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau (CEDAW) ist ein internationales Instrument zur Bekämpfung von Menschenrechtsverletzungen, die unter anderem durch häusliche Gewalt entstehen.
Zwar enthält das Übereinkommen keine expliziten Bestimmungen gegen Gewalt an Frauen* oder häusliche Gewalt, doch muss sie als eine Form der Diskriminierung im Sinne von Art. 1 CEDAW angesehen werden; denn Frauen* sind im Vergleich zu Männern* unverhältnismässig stark von häuslicher Gewalt betroffen.

Der CEDAW-Ausschuss, der die Anwendung des Übereinkommens in den Mitgliedstaaten überwacht, hat wiederholt festgestellt, dass die Verpflichtung der Staaten, häusliche Gewalt zu verhindern und zu bekämpfen, oft nicht erfüllt wird. Die Expertinnen und Experten des Ausschusses vertraten in den Allgemeinen Empfehlungen Nr. 12 und Nr. 19 die Auffassung, Gewalt gegen Frauen* stelle eine schwere Form der Diskriminierung dar.

Übereinkommen über die Rechte des Kindes

Die UN-Kinderrechtskonvention (KRK), von der Schweiz 1997 ratifiziert, garantiert den Schutz von Kindern vor jeder Form physischer oder psychischer Gewalt, vor Angriffen auf ihre Unversehrtheit, vor Missbrauch, Vernachlässigung, Misshandlung und Ausbeutung, einschliesslich sexuellem Missbrauch. Neben dem Recht auf Schutz umfasst das Übereinkommen auch das Recht auf Förderung und Beteiligung des Kindes an Entscheiden.

Der Ausschuss für die Rechte des Kindes hat die Aufgabe, die Umsetzung der KRK in den Vertragsstaaten zu überwachen und allgemeine Bemerkungen und Empfehlungen abzugeben, in denen auch Gewalt gegen Kinder im familiären Umfeld einbezogen wird.

Istanbul-Konvention

Das Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt (Istanbul-Konvention) stellt das erste rechtsverbindliche Instrument zum Schutz vor jeglicher Form von Gewalt auf regionaler Ebene dar. Die Expertengruppe zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häusliche Gewalt (GREVIO) ist zuständig, dass das Übereinkommens in den Mitgliedstaaten umgesetzt wird. Das Übereinkommen legt ausdrücklich fest, dass häusliche Gewalt als Menschenrechtsverletzung zu verstehen ist (Art. 3 lit. a IK). Es definiert häusliche Gewalt so: «Alle Handlungen körperlicher, sexueller, psychologischer oder wirtschaftlicher Gewalt, die innerhalb der Familie oder des Haushalts oder zwischen ehemaligen oder aktuellen Ehegatten oder Partnern vorkommen, unabhängig davon, ob der Täter mit dem Opfer den Wohnsitz teilt oder je geteilt hat» (Art. 3 lit. b IK).

Das Übereinkommen ermutigt die Vertragsstaaten ausdrücklich, dass es «auf alle Opfer häuslicher Gewalt» anzuwenden ist (Art. 2 Abs. 2 IK). Die Präambel betont, dass auch Männer* Opfer häuslicher Gewalt werden können; ebenso Kinder, denn sie können auch Zeugen von Gewalt in der Familie werden. Die breite und systemische Definition von Gewalt ermöglicht es, jede Art von Gewalt gegen alle Opfer zu erfassen.

Das Übereinkommen legt fest, dass die Vertragsstaaten aktiv Massnahmen ergreifen müssen, um jede Form von Gewalt gegen Frauen* zu verhindern, die Opfer zu schützen und die Täter durch die Einführung koordinierter Massnahmen zu verfolgen und zu bestrafen. Das Übereinkommen verpflichtet die Staaten auch, Massnahmen gegen Gewalt bei der Bestimmung des Sorge- und Obhutsrechts für Kinder zu ergreifen (Art. 31 IK). Daher beinhalten die betroffenen Handlungsfelder sowohl die Prävention von Gewalt als auch den Opferschutz und die Strafverfolgung.

Vor der Ratifizierung des Istanbul-Übereinkommens am 14. Dezember 2017 führte die Schweiz vier Vorbehalte zu dessen Umsetzung an. Insbesondere will sie sich nicht zur bedingungslosen Strafverfolgung von Straftaten im Rahmen des Übereinkommens verpflichten, wenn

  • die Straftaten von einer Person mit gewöhnlichem Aufenthalt in der Schweiz begangen werden (Art. 44 IK),
  • die Straftat nur teilweise auf ihrem Hoheitsgebiet stattfindet (Art. 55 IK) und
  • sexuelle Gewalt gegen Erwachsene (Art. 36 IK) oder Zwangsabtreibungen und Zwangssterilisationen (Art. 39 IK) in dem Land, in dem diese Taten begangen wird, nicht unter Strafe stehen.
Darüber hinaus will die Schweiz (Artikel 59 IK) keine Ausweitung des im Ausländer- und Integrationsgesetz (Art. 50 AIG) vorgesehenen Opferschutzes für Ehefrauen von Personen mit
  • einer Aufenthaltsbewilligung (Ausweis B),
  • einer Kurzaufenthaltsbewilligung (Ausweis L),
  • einer vorläufigen Aufnahme (Ausweis F) oder
  • von Asylsuchenden (Ausweis N) sowie
  • von Personen mit einer Niederlassungsbewilligung (Ausweis C).

Diese Bestimmung im AIG bietet nämlich einen Anspruch auf eine Verlängerung der Aufenthalts-Bewilligung, wenn der weitere Aufenthalt in der Schweiz aus wichtigen persönlichen Gründen erforderlich ist, insbesondere wenn der/die Ehepartner/in Opfer von häuslicher Gewalt geworden ist.

Europäische Menschenrechtskonvention

2009 definierte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) häusliche Gewalt erstmals als ein Sachverhalt, der verschiedene Formen annehmen kann: «physische Angriffe, psychische Gewalt, Beleidigungen, die nicht immer ans Licht kommen, da sie häufig im Rahmen persönlicher Beziehungen oder im engen Kreis stattfinden und nicht ausschliesslich Frauen betrifft» (Opuz v. Türkei, 9. Juni 2009). So können auch Männer* und Kinder direkt oder indirekt Opfer häuslicher Gewalt werden.

Der EGMR hat im Zusammenhang mit Fällen häuslicher Gewalt bei mehreren Urteilen der Schweiz Verstösse gegen die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) festgestellt. Es wurden Verstösse

  • gegen das Recht auf Leben (Art. 2 EMRK),
  • das Verbot von Folter und unmenschlicher oder
  • erniedrigender Behandlung (Art. 3 EMRK),
  • das Recht auf ein faires Verfahren (Art. 6 EMRK),
  • das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens und
  • der Korrespondenz (Art. 8 EMRK) und
  • das Verbot der Diskriminierung (Art. 14 EMRK) festgestellt.

Körperliche Züchtigung von Kindern und Vernachlässigung durch die Eltern über einen längeren Zeitraum fallen unter Art. 3 EMRK.

Gemäss der EMRK sind die Vertragsstaaten neben der Pflicht zum Rechtsschutz auch angehalten, politische Massnahmen zu verstärken: Opfern soll geholfen und wirksame Untersuchungen durchgeführt, Präventions- und Sensibilisierungsmassnahmen ergriffen sowie Daten überwacht und gesammelt werden.

Einige Vertragsstaaten wurden der Verletzung ihrer Schutzpflicht für schuldig befunden, wenn ihre Behörden es versäumten, Massnahmen zu ergreifen, um den Tod eines Kindes und seiner Mutter zu verhindern (Branko Tomašić und andere gegen Kroatien, 15. Januar 2009) oder wenn das Rechtssystem eines Staates eine Strafverfolgung nicht zuliess, weil Anzeigen zurückgezogen wurden (Opuz gegen Türkei, 9. Juni 2009). Häusliche Gewalt als «Privatangelegenheit» zu betrachten, ist nicht mit der Verpflichtung der Behörden vereinbar, das Familienleben der Beschwerdeführer zu schützen; dies würde zu einer Verletzung von Art. 8 EMRK (Recht auf Achtung des Familienlebens) führen (Bevacqua und S. v. Bulgarien, 12. Juni 2008). Schliesslich kann auch die Untätigkeit der Polizei, die als systemisches Versagen angesehen wird, eine Verletzung der Pflichten eines Vertragsstaates darstellen (Tkhelidze v. Georgien, 8. Juli 2021).

* Der Begriff «Männer» bezieht sich auf Personen, die sich ganz oder teilweise mit dem männlichen Geschlecht identifizieren oder die als Jungen/Männer wahrgenommen werden. Diese Definition schliesst Trans-, nicht-binäre und intergeschlechtliche Personen ein.

* Der Begriff «Frauen» bezieht sich auf Personen, die sich ganz oder teilweise mit dem weiblichen Geschlecht identifizieren oder die als Mädchen/Frauen wahrgenommen werden. Diese Definition schliesst trans-, nicht-binäre und intergeschlechtliche Personen ein.

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