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Fehlende Halteplätze für fahrende Roma aus dem Ausland

31.10.2017

Die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) hat am 31. Okt. 2017 einen Bericht publiziert, der Aufschluss gibt über die Situation der fahrenden ausländischen Roma in der Schweiz sowie die Perspektive der Polizei zum Problem der fehlenden Halteplätze. Grundlage des Berichts sind Interviews mit fahrenden Romas und mit Polizisten verschiedener Kantone. Die Schaffung von zusätzlichen Halteplätzen ist nicht nur ein Bedürfnis der fahrenden Minderheiten, sondern auch ein klares Anliegen der Polizei.

In der Folge übernehmen wir die Medienmitteilung der Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) vom 31. Okt. 2017.

Medienmitteilung der GfbV

«Von Frühling bis Herbst bereisen seit Jahrzehnten fahrende Roma-Gruppen die Schweiz. Gemäss den Schätzungen des VSRS befinden sich in den Reisemonaten März bis September regelmässig 500 bis 800, in den Spitzenmonaten Juli und August zwischen 1200 bis 1500 ausländische Wohnwagen in unserem Land. Aufgrund des Diskriminierungsverbotes, des Freizügigkeitsabkommens mit der EU sowie weiteren multilateralen Abkommen haben nicht nur Schweizer, sondern auch ausländische fahrende Minderheiten Anspruch auf Halteplätze in der Schweiz. Die Situation hat sich jedoch in den letzten Jahren für fahrende Roma stark verschlechtert. Der akute Mangel an offiziellen Halteplätzen zwingt sie zunehmend, auf den sogenannten «Spontanhalt» auszuweichen. Mit diesem Begriff werden kurzfristige Aufenthalte ausserhalb offizieller Halteplätze bezeichnet, wobei Wohnwagen gegen Entgelt bei Landwirten oder auf öffentlichen Gemeindeflächen aufgestellt werden. In der Regel verlaufen diese unaufgeregt. In einigen Fällen kommt es jedoch zu Konflikten, die in der ereignisarmen Sommerzeit von Medien und Politik als «illegale Besetzungen» aufgegriffen und ausgeschlachtet werden.

Fahrende Roma: Seit Jahrzehnten in der Schweiz erwerbstätig und gefragt

Um die Perspektive der fahrenden Roma zu erfassen, haben die GfbV und der VSRS im Sommer 2017 Interviews mit 29 Vertreterinnen und Vertretern fahrender Roma-Gruppen in der Schweiz durchgeführt. Die Ergebnisse zeigen, dass die meisten aus West- und Nordeuropa stammen und seit Jahrzehnten aufgrund ihrer Erwerbstätigkeit in der Schweiz unterwegs sind. Viele verfügen über einen fixen Kundenstamm, scheinen mit ihren Tätigkeitsfeldern Nischen zu besetzen und eine gewisse Nachfrage in der Bevölkerung abzudecken. Insbesondere die Annahme, dass sich die fahrenden Roma nur für kurze Zeit in der Schweiz aufhalten und auf «Durchreise» sind, bildet die Realität nur beschränkt ab: Sie bleiben oft zwei bis drei Monate in der Schweiz. Die Infrastruktur auf den Halteplätzen sollte daher entsprechend angepasst werden.

Schaffung von zusätzlichen Halteplätzen auch Anliegen der Polizei

Um die Sicht der Polizei zu erfassen, wurden Polizeistellen in frequentierten Kantonen angefragt. Fünf Polizeibeamte aus den Kantonen Thurgau, Zürich, Aargau und Bern fanden sich bereit, ihre Erfahrungen zu teilen. So übernimmt die Polizei im Zusammenhang mit fahrenden Roma oft Aufgaben, die nicht in ihr primäres Tätigkeitsfeld fallen. Die meisten Durchgangs- und Transitplätze werden direkt von der Polizei verwaltet. Beim Spontanhalt kommt es regelmässig vor, dass die nötige Infrastruktur von der Polizei bereitgestellt und kontrolliert wird. Die Schaffung von offiziellen Halteplätzen scheint auch ein dringendes Anliegen der Polizei zu sein. Ihr Verhandlungsspielraum gegenüber fahrenden Roma wird durch den Platzmangel stark eingeschränkt. Der akute Platzmangel sei auch einer der Hauptkonfliktpunkte zwischen den fahrenden Roma-Gruppen und der Polizei. Eine Zunahme der Kriminalität, die im Zusammenhang mit fahrenden Roma insbesondere von der Politik suggeriert wird, lässt sich laut den befragten Polizisten nicht feststellen.

Um die Situation der fahrenden Roma in der Schweiz zu verbessern und die gegenwärtigen Konflikte nachhaltig zu entschärfen, fordern die GfbV und der VSRS Politik, Behörden und die Polizei auf, folgende Massnahmen umzusetzen:

Halteplätze

  • Es sollen mehr Plätze für alle fahrenden Gruppen mit der nötigen Infrastruktur für einen mehrmonatigen Aufenthalt eingeplant werden.

Partizipation

  • Fahrende Roma sollen in Planungsprozesse von Halteplätzen einbezogen werden.
  • Interkulturelle Vermittlung zwischen Fahrenden und Sesshaften soll unterstützt, ausgeweitet und institutionalisiert werden.
  • Die Halteplätze in der Schweiz sollen künftig nicht mehr von der Polizei, sondern von Privatpersonen verwaltet werden.

Polizei, Politik, Behörden und Landbesitzende

  • Die Koordination zwischen den Fachstellen für Raumplanung, den kantonalen Polizeibehörden und den Landbesitzenden soll verbessert werden.
  • Polizeiliche Ausbildungsstätten sollen Workshops und Weiterbildung zum Thema Geschichte, Kultur und Bedürfnisse von fahrenden Minderheiten anbieten.»

Dokumentation